Sprachlos

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Als ich die Diele betrat, sah ich, wie Lockwood mich angrinste. Und zwar mit diesem unglaublich charmanten und ansteckend wirkenden Grinsen, das so typisch für ihn war.

"Komm Luce, gehen wir, bevor Kipps sich noch darüber beschwert, dass wir nicht bei den Renovierungsarbeiten helfen."

Wir liefen eine Weile schweigend die Portland Row entlang und bogen dann in eine kleinere Straße ab. Wir gingen nah beieinander und jedes Mal, wenn sich unsere Hände berührten, fing mein Herz an zu klopfen. Vielleicht hatte der Schädel doch Recht gehabt, vielleicht war ich Lockwood gnadenlos verfallen. Aber dieser Gedanke erschien mir jetzt nicht mehr so gefährlich. Alles erschien mir jetzt sowieso viel einfacher. Ich hatte keine Angst mehr, ihn zu verlieren, diese dumme Prophezeiung hatte sich ja sowieso nicht bewahrheitet. Wenn es überhaupt eine "Prophezeiung" war und ich nicht einfach irgendeinen Mist in unbedeutende Dinge reininterpretiert hatte...

"Ich habe gesehen, dass du die Kette trägst", unterbrach Loockwood meine Gedanken. "Sie steht dir wirklich sehr gut. Meine Mutter hätte gewollt, dass du die Kette weiterträgst, anstatt, dass sie in irgendeiner Schublade verstaubt." Kurz schweifte sein Blick ab.

"Wie war sie so? Deine Mutter natürlich, nicht die Kette."

Wir kamen auf einen kleinen Platz, auf dem im Halbkreis Parkbänke aufgestellt waren. Dann antwortete Lockwood mir. "Ich erinnere mich noch daran, dass sie immer gut gelaunt war. Meine Schwester hat mir dann nach ihrem Tod erzählt, dass immer wenn meine Mutter einen Raum betrat, die Stimmung augenblicklich besser wurde, als würde die Sonne hereinscheinen. Mein Vater muss sie sehr geliebt haben."

"Ich hätte deine Eltern gerne kennengelernt."  Ich blickte ihm in die Augen.

"Sie hätten dich sehr gemocht," er setzte sich auf eine der Bänke und ich nahm nehben ihm Platz. "Aber Luce, es gibt da noch etwas, das ich dich fragen wollte. Warum bist du beim Kampf im Fittes Haus nicht geflohen, als ich dir die Möglichkeit dazu gegeben habe?" Er schaute mich an, nicht anklagend, sondern eher neugierig.

Und wisst ihr, dass war einer der Momente, bei denen man einfach weiß, was man zu tun hat. "Lockwood, ich muss dir etwas erzählen. Damals, als ich in den Katakomben vom Aickmere Kaufhaus festsaß, habe ich deinen Geist gesehen. Oder naja, besser gesagt eine Schimäre, die sich als deinen Geist ausgegeben hat. Bevor du kamst, hat sie mir prophezeit, dass du dich irgendwann für mich opfern und dabei den Tod finden würdest. Natürlich weiß ich, dass man einem Geist nicht vertrauen kann, aber diese Begegnung hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Und dann war da noch die Sache im Palace Theatre. Da hat mir eine mechanische Hexe das Gleiche prophezeit. Ich weiß, ich klinge jetzt vielleicht verrückt und abergläubisch, aber ich konnte einfach nicht zulassen, dass du genau das für mich tust. Ich könnte einfach nicht mehr weitermachen, wenn du tod wärst."  Ich starrtete auf meine Füße. Lockwood beugte sich vor, zögerte kurz und nahm dann meine Hand.

"Lucy, alles ist gut. Ich halte dich nicht für verrückt oder so. Weißt du, ich hätte genau das Gleiche getan, wenn ich in deiner Situation wäre." Er lächelte mich an. "Es gibt da noch eine zweite Sache. Erinnerst du dich noch, kurz vor dem Kampf, als ich dir die Kette gegeben habe und dich etwas fragen wollte und Kipps uns dann unterbrochen hat? Naja...also," plötzlich wurde er ganz nervös und nestelte wieder an seinem Mantelkragen herum.  "Also ich wollte dich Fragen," sein Blick fand meinen und ich sah in seine wunderschönen dunklen Augen. "Ich wollte dich fragen, ob du das Gleiche für mich empfindest, wie ich für dich. Wenn du die gleiche Zuneigung für mich spürst, dann kannst du es mir jetzt sagen."

Und da wusste ich es, ich liebte ihn. Ich war Hals über Kopf in ihn verschossen. Doch ich war sprachlos.

Langsam zog er seine Hand zurück, er atmete hörbar aus. "Jetzt weißt du es.  Aber wenn du nicht so empfindest, kannst du jetzt natürlich gehen. Du kannst auch die Agentur verlassen, wenn es dir komisch vorkommt weiter mit mir zu arbeiten. Es tut mir..." Und dann beugte ich mich vor und küsste ihn. Meine Lippen trafen auf seine. Er erwiederte den Kuss und legte seine Hand zärtlich auf meine Wange.

Und für mich war es das schönste Gefühl, das ich jemals gespürt habe.



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