The Day before

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Joshua lehnte mit dem Rücken an die Wand des Geschäftes. Eine steife Briese blies durch den dunklen Abend und zerzauste seine braunen Haare. Er kramte mit der linken Hand in der Tasche seiner Lederjacke. Er suchte nach einem Kaugummi um die Zeit zu vertreiben, bis Alex endlich aus dem "Lope Shop" herauskommt. Nach einer Weile wurde er fündig und zog einen alten, verstaubte Kaugummi aus seiner Tasche. Enttäuscht warf er den Kaugummi auf die Straße vor ihm. Joshua hebte wieder seinen Blick und musterte die Gegend genauer. Auf der anderen Straßenseite, gegenüber von ihm, lag eine Lange Reihe von Reihenhäusern. Er lehnte links, neben dem Ausgang des Geschäftes an die Wand. Rechts von ihm war ein großes Hotel mit dem Namen "Eisbear-Hotel". Überall an dem Gebäude hingen Glitzerketten, bei welchen Epileptiker geradezu verrückt werden würde. Joshua fixierte sein Blickfeld wieder auf den Ausgang des Shops, doch Alex war noch immer nicht erschienen. Mit einem Seufzer ließ der Junge seine Hände in die Hosentasche gleiten. Langsam wurde ihm auf den Beinen kalt. Am 16. April war eine dünne, schwarze Jeans wohl nicht unbedingt das Beste vom Besten. Da öffnete sich die Tür und Alex kam mit zwei vollen Taschen heraus. „Du hast jetzt nicht wirklich unser ganzes Ersparnis der letzten Wochen mit diesem Einkauf ausgegeben, oder?”, fragte Joshua ihn mit einem drohenden Unterton. Sofort lief Alex rot an und sah weg. Joshua stöhnte und ging auf Alex zu, um ihm eine Tasche abzunehmen. Dankbar sah er ihn an und klopfte, mit seiner nun freien, rechten Hand, seine schwarze Jacke ab. Joshua zog sich sich die Kapuze über den Kopf und ging dann an Alex vorbei, in die entgegengesetzte Richtung vom Hotel.

Mit der Zeit wurden die Straßen von immer mehr Lichterketten, von Clubs und Diskotheken, heller beleuchtet. Die beiden Freunde drängten sich durch die Menschenmasse und betrachteten währenddessen die Clublichter. Mit einem Rufen brachte Alex Joshua zum Stehen: „Warte kurz! Dort hinten steht ein Zigaretteneautomat.” „Muss das sein? Du nimmst eh schon viel zu viel von dem Zeug!”, beschwerte sich darauf sein Freund, doch als hätte Alex ihn nicht gehört, lief er durch die Masse zu dem alten, blauen Zigarettenautomatem. Stöhnend folgte Joshua ihm. Während Alex bereits das Restgeld vom Einkauf einwarf, kam Joshua hinter ihm zum stehen. „Diesmal gehst du aber sparsam damit um, klar?”, fragte Joshua Alex. Dieser nickte nur und zog eine rote Zigarettenschachtel aus dem Auswurf. Dann forderte er Joshua auf, ihm ein Feuerzeug zu geben. Joshuas Hand verschwand in einer Hosentasche und Augenblicke später kam sie mit einer Streichholzschachtel wieder hinaus. Alex nahm es dankbar entgegen. Inzwischen schaute sich Joshua nach einer Uhr um. Nach ein paar Sekunden wurde er fündig. Bei einem Geschäft hing eine Uhr an der Außenwand. Es war 22:26. „Komm, wir müssen los.”, sagte Joshua zu Alex, welcher gerade seine Zigarette angezündet hatte. Alex bückte sich mit einem meckernden Geräusch, herunter um seine Einkaufstasche aufzuheben. Doch Joshua war bereits losgegangen und Alex eilte schnell hinterher.
"23:12" zeigte die Uhr, welche draußen am DM hing. Sie waren schon aus dem Hauptviertel des Bezirks heraus und Clubs, Diskotheken und Geschäfte wurden immer weniger. Dasselbe betraf auch die Menschen auf den Straßen. Joshua ging mit flottem Schritttempo. Da hörte er von hinten Alex' Stimme: „Warte Mal! Sieh dir Mal das an!”. Joshua blieb stehen und drehte sich zu Alex um. Alex deutete mit dem Kopf auf die andere Straßenseite. Joshua folgte seinen Andeutungen mit dem Blick und erkannte auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen kleinen Stand, umringt von lauter Obdachlosen, was man an der Kleidung erkennen konnte. Joshua betrachtete die Situation genauer und stutze. Dort stand ein großer grüner Van mit der Aufschrift "Caritas". Der Kofferraum war geöffnet und in dem Fahrzeug waren lauter Sandwiches zu sehen. „Ich dachte die Typen gibts nicht mehr! Komm, lass hingehen!”, meinte Alex, während er eine Zigarettenrauchwolke in die Nachtluft blies. „Spinnst du? Die stecken uns in irgendeins von diesen Jugendheimen! Da kommen wir nie wieder 'raus!”, blaffte Joshua, doch Alex hatte seine Tasche schon hingelegt und war bereits am Straßenrand. Sofort sprintete Joshua hinterher, packte ihm an den Schultern und drehte ihn zu sich. „Bist du jetzt komplett übergeschnappt?”, fuhr Joshua Alex an. Dieser allerdings riss sich nur von seinem Griff los, lief aber nicht wieder zum Caritas-Van. „Ich kann tun, was ich will und diese Caritas-Typen sind da um mir einen Sandwich zu geben. Du bist nicht meine Mutter!”, meinte Alex beleidigt.  Joshua verbeugte sich und sagte spaßhalber: „Entschuldigt, meine Hoheit, wenn ich euch beleidigt haben sollte. Aber Vater oder Mutter habt ihr, genauso wie ich, nicht.” Alex lachte kurz und tat ihm dann die Verbeugung gleich. Joshua nahm Alex Tasche und ging vor. Alex lächelte ihn noch einmal dankbar an, nahm einen Zug von der Zigarette und folgte ihm dann.
Sie gingen an der letzten Diskothek auf ihrem Weg an. Alex tippte Joshua auf die Schulter. „Machen wir noch einen kleinen Abstecher da rein?”, fragte er augenzwinkernd und zeigte auf den Eingang. „Sicher nicht! Wir müssen morgen früh aufstehen um die ersten Kunden zu sein und einen gratis Einkauf zu bekommen, weil du ja unser ganzes Geld verpfeff-Hey!”, Joshua bekam von Alex eine Rauchwolke ins Gesicht geblasen. Wütend ließ Joshua eine Tasche fallen und funkelte Alex an. „Du weißt, dass ich das hasse! Die Tasche kannst jetzt du tragen.”, fauchte er Alex an und stolzierte vor ihm weg. Beide wütend auf einender gingen sie den immer mehr ungepflegten Fußgängerweg, als Alex das Schweigen brach: „Wie lange willst du so noch weitermachen? Wie lange willst du noch warten, bis wir uns um einen Job bewerben? Ich bin es leid, nur von unserem Glück zu leben. Im Winter wird der Helikopter auch nicht mehr viel Wärme spenden.” Joshua fuhr herum und blaffte Alex an: „Ich bin auch nur ein obdachloser 15-Jähriger. Wenn du doch so toll bist, dann trete ich gerne die Anführerposition ab an dich. Dann kannst du uns beide führen. Ich tue das was ich kann!” „Entschuldigung”, sagte Alex kleinlaut. „Nein, es ist meine Schuld, ich hätte nicht so empfindlich sein dürfen.”, gab Joshua zu. Weiterhin schweigend setzten sie ihren Weg fort. Nach ein paar Minuten, welche sich für Joshua wie Jahre anfühlten, kamen sie an einem Kirchturm an. „Verdammt, Alex! Es ist schon halb zwölf!” Die beiden fingen an zu rennen. 
Keuchend kamen sie am Straßenende an. Dort war ein großes rostiges Gittertor mit scharfen Spitzen zu sehen. Links und rechts vom Tor war ein langer Zaun aus demselben Material zu erkennen. Im hellen Mondlicht und dem Restlicht der Straßenlaternen konnte man hinter dem Gitter lauter verrostetes Zeug zu sehen. Es war ein verlassener Schrottplatz. Alex trat vor und blickte nach hinten, zu Joshua. Joshua erwiederte seinen Blick und nickte. Darauf trat Ale näher zum Tor hin und drückte mit der Schulter dagegen. Kurz darauf öffnete sich die Tür mit einem Kreischen, was Joshua in den Ohren weh tat. Alex machte einen Schritt zurück und ließ Joshua den Vortritt. Joshua ging vor zum Tor, sodass er neben Alex stand und trat dann ein. Er hörte dass Alex ihm folgte. Dann sah er sich nochmals den Schrottplatz an. Vor ihm war eine Art Trampelpfad im Schrott zu erkennen. „Soll ich wieder zumachen?”, fragte Alex Joshua. „Sicher ist sicher...”, entgegnete dieser und drehte sich um und beobachtete Alex, wie er die Tür schloss. Kreischend fiel das alte Gittertor ins Schloss. Plötzlich fing Alex an in seiner Jackentasche zu suchen. „Warte kurz, ich hol' einen Kaugummi raus.”, meinte er dabei. Joshua hib seinen Blick von Alex und musterte die mondbeschienenen heruntergekommenen Häuser. Da erkannte er im Augenwinkel etwas im Sternenhimmel, was seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. „Zieh dir Mal das rein, Alex! Eine Sternschnuppe!”, rief er und deutete mit dem Kopf auf den sich bewegenden Punkt im Sternenhimmel. Alex schien sich jedoch nicht besonders dafür zu interessieren. Da verglühte die Sternschnuppe. „Seltsam”, dachte sich Joshua, „War da nicht ein violetter Punkt, als die Sternschnuppe verglüht ist?” Joshua schüttelte den Gedanken ab. Das war doch lächerlich. Da hörte er Alex fluchen und senkte seinen Blick: „Was ist denn jetzt schon wieder, Alex?” „Ich hab die gottverdammten Kaugummis anscheinend auf dem Weg vergessen!”, entgegnete dieser. Seufzend drehte sich Joshua dem Trampelpfad zu und stapfte los.
Sie waren jetzt bereits einige Minuten den Weg entlangspaziert. Die beiden hatten unmittelbar auf dem Weg gestoppt. Der Trampelpfad war noch nicht zu Ende, aber sie mussten jetzt links in den unaufgeräumten Schrott. Mühselig stapften sie durch alle möglichen elektronischen kaputten Geräte. Beide grummelten vor sich her, da sie sich immer wieder im Schrott und in den Kabeln hängen blieben. Nach wenigen Minuten waren sie an einer Art Lichtung angekommen. Inmitten der "Schrottfreien Zone" war ein alter
Militär-Helikopter platziert. Die Scheibe des Cockpits war von Rissen durchzogen. Die Außenwände hatten eine Camouflagelackierung welche sich bereits von dem Metall ablöste. Der Heli war ein typischer Einheitentransporter, was hieß, dass er zwei Rotoren und jede Menge Platz in sich hatte. Die hinteren Rotorblätter waren abgebrochen und lagen um den Helikopter verstreut. Ächzend ließ Joshua die beiden Einkaufstaschen fallen' „Öffne du, Alex!”. Sofort ging Alex zum Helikopter hin und zog an einem Griff in der Außenwand. Es ertönte ein Klicken und eine Tür schwang auf. „Tada!”, sagte Alex und betrat den ausgedienten Militär-Helikopter. Joshua folgte ihm und mit wenigen Schritten war er schon in dem alten Heli. Er betrachtete das Innenleben um sicher zu gehen, dass nichts geklaut wurde. An die Hinter- und Seitenwand anschließend lagen zwei blaue Schlafsäcke. neben den Schlafsäcken schloss ein Tisch mit zwei Sesseln an die Hinterwand an. Die Cockpittüre war offen und es war ein kleiner Gartengrill zu sehen. Die letzten paar Quadratmeter des Militärhelikopter-Wracks war unbenutzt. Alles war wie immer. Dann ging das Licht an. „Äh Joshua?”, kam es aus dem Cockpit, aus dem Alex seinen Kopf steckte, „Wo ist der Einkauf?” „Danke für die Erinnerung!”, rief Joshua und sprang aus dem Vehikel. Den Einkauf hatte er komplett vergessen. Nach einem kurzen Blick hatte er die Taschen erspäht und ging zu ihnen. Behutsam hob er sie auf und brachte sie in ihren Unterschlupf. Dort ließ er diese stöhnend fallen. Dann drehte er sich um und zog die Tür zu. Alex war bereits zur Stelle und brachte die gekauften Waren in das Cockpit, wo er sie perfektionistisch auf dem dort platzierten Tisch sortierte. Joshua zog inzwischen seine Schuhe und seine Jacke aus. „Das war heute Mal ein anstrengender Tag”, seufzte er. Alex stimmte ihm zu: „Hoffentlich wird der morgige Tag besser.”. Gemeinsam putzten sie provisorisch mithilfe von gekauftem Wasser, im Cockpit, die Zähne. „Und danke, dass du mich bei dieser Caritas-Aktion gewarnt hast. Ich wäre den Typen garantiert in die Arme gelaufen.”, meinte Alex augenzwinkernd. Joshua war eigentlich nir froh, dass Alex ihm die Sache nicht übel nahm. Er steckte die Zahnbürste wieder in den dreckigen Becher und entfernte sich aus dem Cockpit. Mit ein paar Schritten war er an den Schlafsäcken angelangt. Er stieg über Alex' Schlafsack und legte sich zufrieden in seinen, welcher an der Wand platziert war. Er steckte die Beine in den Sack und legte den Kopf auf den Polster und starrte das Dach an. Da kam  Alex auch durch die Cockpittüre geschritten und tat es ihm gleich. „Alex?”, fragte Joshua. „Ja?”, antwortete Alex. „Tu mir einen Gefallen und dreh das Licht ab!” seufzte Joshua. Wortlos schlüpfte Alex aus dem Schlafsack, ging erneut ins Cockpit und schaltete das Licht aus. Joshua hörte Alex im Dunkeln zu seinem Schlafsack stolpern. Joshua schloss die Augen, sein Atem wurde langsamer und er schlief ein.

Joshua lief. Er lief immer weiter und weiter. Joshua wagte es nicht, nach hinten zu sehen. Er stürmte an einem eingestürzten Haus vorbei und dann über eine Kreuzung.
Keine Menschenseele weit und breit, doch das interessierte Joshua nicht. Er wusste nicht einmal, wovor er davonlief. „Weiter, einfach immer weiter!”, waren die einzigen Gedanken in seinem Kopf. Keuchend lief in eine Seitengasse hinein. Nach wenigen Metern stellte sich die Gasse als Sackgasse heraus. Joshua drehte sich langsam um. Violettes Licht blendete ihn. Schwitzend wurde Joshua aus dem Schlaf gerissen. „Hey, hey, Joshua! Ich bin's Alex. Du hast im Schlaf gekeucht und hast irgendwas von einem Weltuntergang gebrabbelt.”, sagte Alex zu ihm. Im fahlen Licht konnte er Alex übet sich erkennen. Dieser war von links über Joshua gebeugt und hatte beide Hände auf Joshuas Schultern. „Danke Alex, aber mir geht es gut. Hab' nur schlecht geträumt.”, entgegnete Joshua. Beruhigt nahm Alex seine Hände von Joshuas Schultern und legte sich wieder in seinen Schlafsack. Allerdings hatte Joshua immer noch Gänsehaut. Der Traum hat sich so real angefühlt und Joshua konnte sich noch an jedes Detail erinnern. Er sah auf die Hinterwand, wo eine Uhr angebracht war. Sie zeigte die Uhrzeit "23:59". Seltsamer Zufall, dachte er sich und legte schloss wieder seine Augen.

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