No. 1

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„Versteck dich! Verflucht, hörst du nicht?!", schrie er ihr zu, doch sie bewegte sich keinen Zentimeter von ihm weg, starrte nur aus ihren sonderbaren Augen zu ihm hinüber. 
Jemanden wie sie hatte er noch nie zuvor gesehen. Die langen schwarzen Haare fielen ihr in vielen kleinen Zöpfen über den Rücken und die steinähnlichen Dinge darin, glitzerten im Licht der letzten Sonnenstrahlen.
Ihren Körper konnte man unter dem weiten Fell, das sie trug, nur erahnen und die einzigen Stellen Haut waren ihr Gesicht und die Hände. Diese hielten einen Bogen und einen toten Vogel fest umklammert.

Wie sie dort so stand, im Hintergrund die Berge der Nebelhöhen, fand er sie schon fast majestätisch.
Doch was dachte er da, sie war nichts weiter als eine dieser verwahrlosten Wilden und trotzdem war er gerade dabei ihr kümmerliches Leben retten zu wollen.

Erneut hörte er das Kreischen des Sculls und abermals war es als würde ihm das Herz stehen bleiben.  Wie hatte das passieren können? Er war sonst nie so unvorsichtig und entfernte sich von seiner Truppe und erst recht nicht, um einem einfachen Reh hinterher zu jagen.

Apropo Truppe, wo blieben sie? Hatten sie sein Fehlen garnicht bemerkt oder war ihnen etwas zu gestoßen? Wenn nicht, dann spätestens , wenn sie ohne ihn zu seinem Vater heimkehren würde. Tot wären sie, genauso wie er in maximal einer Minute.

Verzweifelt sah er sich nach einem Versteck um, aber alles was er sah waren vereinzelte Felsbrocken, sowie rechts und links zehn Fuß hohe Steinwände. Ahnungslos in welche Richtung er laufen sollte, drehte er sich verzweifelt im Kreis.
Dabei fiel sein Blick erneut auf das Mädchen, unverändert stand sie da und sah ihn an. Langsam wurde es wirklich gruslig. Gern hätte er sie für die Respektlosigkeit, ihm direkt in die Augen zu sehen, auf die Knie gezwungen. Aber jetzt gerade hatte er ein anderes Problem, denn das Kreischen ertönte wieder und diesmal direkt über ihm. Erschrocken schoss sein Kopf nach oben und was er sah verschlug ihm den Atem, dort an der oberen Felskante hing der Scull und klackerte bei seinem Anblick erfreut mit den Klauen auf den Stein.

Die Sculls waren Skorpionähnliche Wesen, allerdings ohne einen Stachel, stattdessen zuckte dort ein Schwanz wie der einer Ratte. Über einen Meter groß und sich ausschließlich von frischem Fleisch ernährend, waren sie mit unter die gefürchtetsten Jäger in dieser Gegend.

Schneller als er realisieren konnte, kletterte der Scull kopfüber die Steinwand herunter, kam mit einem Sprung unten auf und ließ ein erneutes Kreischen ertönen.
Vergessen war die Truppe des jungen Mannes, vergessen auch sein wütender Vater und erst recht das gruslige Mädchen hinter ihm. Alles was jetzt zählte war der Überlebenskampf mit diesem Ungetüm.
Als er seinen Dolch zog, glaubte er ein Lachen zu hören, was sogar berechtigt wäre, denn was sollte ein Dolch schon anrichten. Seine Armbrust hatte er verloren als der Scull ihn vorhin aus dem Sattel gestoßen hatte, um die Jagd auf das Reh zu unterbrechen und somit sein Abendmahl zu sichern.

Der Scull und der Mann fingen an sich zu umkreisen, beide auf die Gelegenheit wartend, dass einer von ihnen unaufmerksam wurde.  Das nächste Kreischen war laut und schmerzhaft in den Ohren und doch zwang der junge Mann sich keine Miene zu verziehen.
Plötzlich schnellte der Scull vor, holte mit seinem Schwanz aus und peitschte ihm diesen quer über die Brust. Verdammt dieses Vieh war zu schnell, viel zu schnell!
Ein Brennen schoss durch seinen Körper und trübte kurz seine Sicht, sogleich spürte er wie etwas seine Wade aufschlitzte und ihn zurück stolpern ließ. Heiliger Artemus!

Der Scull stand wieder still und klackerte mit den Klauen auf den Boden. Er spielte mit dem Mann, welcher nun bemerkte, dass sein Dolch fehlte. Suchend ließ er den Scull aus den Augen und spürte kurzerhand die Konsequenz. Eine Klaue bohrte sich unaufhaltsam in die linke Schulter und nagelte seinen Körper hinter ihm an die Wand. Einen Schrei unterdrückend versuchte er seinen Kopf aus der Reichweite zu bringen, aber das war regelrecht unmöglich.
Der junge Mann würde wohl doch als Nachspeise dienen, hoffentlich würde diesem Tier schlecht werden!
Seinen Tod hatte er sich auf jeden Fall nicht auf diese Weise vorgestellt, eher als Held auf dem Schlachtfeld, gefeiert von allen und nicht als Schwächling in einer Schlucht und von einem Scull kaltgemacht.
Allmählich machte sich auch der Blutverlust bemerkbar, seine Konzentration ließ erheblich nach und alles was er fühlte waren die Schmerzen im Körper und diese Todesangst im Herzen.

Da ertönte ein Laut, einem Fauchen ähnelnd und fast zu leise, um es zu hören. Der Scull konnte es nicht gewesen sein, denn dieser stockte Millimeter vor seinem Gesicht. Sichtlich verwirrt flog dessen Kopf in eine bestimmte Richtung und starrte das seltsames Mädchen an.
Immer noch stand sie aufrecht und unbewegt an Ort und Stelle, nur den Kopf leicht zu Seite geneigt und für einen kurzen Moment war es als husche ein Grinsen über ihre Lippen.

Der Scull zog die Klaue aus der Schulter des Prinzen, drehte sich um und machte einen Satz auf das Mädchen zu. Natürlich nicht, ohne seinen Schwanz nochmal mit Wucht gegen den Kopf des Mannes zu knallen.
Durch den Schlag verlor der Fremde sein Gleichgewicht, stürzte und blieb mit dem Gesicht zum Mädchen auf dem Boden liegen.

Er hatte sie gewarnt, hatte ihr eine Überlebenschance geben wollen. Selbst Schuld wenn dieses Gör nicht hören konnte. Immerhin würde sie zuerst sterben. Doch das Kreischen des Sculls klang seltsam verunsichert in seinen Ohren und er sah wie der Rattenschwanz aufhörte angriffslustig hin und her zu zucken.
Was geschah hier gerade?
Ein Fauchen war zu hören und als er zu dem Mädchen blickte, glaubte er zu halluzinieren. Sie fauchte einen Scull an und wären da nicht diese spitzen Zähne in ihrem Mund, hätte er darüber sogar gelacht. Sie hielt dem Tier den Vogel hin und nickte auffordernd.
Wieso griff dieses Ungetüm sie nicht an? Wieso beugte es stattdessen sein gepanzertes Haupt, schnappte sich den Vogel, machte ein paar kleine Schritte rückwärts und kletterte dann flink die Wand hinauf?

Was bitte war hier los? Das konnte gerade doch nur Einbildung gewesen sein! Er schob alles irritiert auf den Blutverlust, bevor sein Sichtfeld langsam schwarz wurde.
Das Letzte was er sah, waren zwei goldgelbe Augen, die ihm geradewegs in die Seele blickten.
Dann nichts mehr.

xoxo tessa
hoffe der Einstieg hat euch gefallen und ich konnte euch locken :D

Nacht und Nebel -Die Erkenntnis-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt