Kurzgeschichten

Regen ist, wenn der Himmel weint

Mein Blick schweift aus dem Fenster. Draußen stürmt es. Graue Wolken hängen über dem Schulhof, doch noch ist es trocken. Eine Plastiktüte wird haltlos über den Schulhof geschleudert, wehrlos gegen den Wind. "...bis die Tropfen schwer genug sind, dann fallen sie als Regen zur Erde.", beendet meine Lehrerin ihren Vortrag. Ich wende ihr meine Aufmerksamkeit zu. Genau in diesem Moment klatschen die ersten Tropfen gegen die Scheibe. "Das passt ja.", meint sie dann lächelnd. "Malte würdest du nochmal wiederholen, was jetzt gerade draußen passiert." Malte fängt an zu reden und erklärt nochmal, wie Regen entsteht. Am liebsten würde ich schreien. Nein, es stimmt nicht. Ihr Menschen versucht für alles, was ihr nicht erklären könnt, eine Erklärung zu finden. Glaubt doch einmal an etwas. Seid wie Kinder, sie denken, wenn es regnet, dann weint der Himmel. Und damit haben sie Recht. Denn wenn der Himmel seine Schleusen öffnet, dann weint er um einen meiner Brüder und Schwestern, die auf der Erde ihr Leben gegeben haben. Für die Menschen. Nach dem Sturm draußen zu urteilen, ist der Himmel wütend, sehr wütend. Ich hebe meine Hand: "Darf ich einmal auf die Toilette gehen, bitte?" Nach einem Nicken verlasse ich meinen Platz, doch auf dem Flur wende ich mich nicht zu den Toiletten, sondern gehe raus. Der Regen ist eine willkommen Abkühlung. In der Mitte des Sturms bleibe ich stehen und recke mein Gesicht gen Himmel, während ich drei Finger an meine Augenbraue lege und somit die Seele meiner Schwester oder meines Bruders an den Himmel verbaschiede. Ich bleibe noch einen Moment länger stehen, mit dem Wissen, dass überall auf der Welt meine Brüder und Schwestern das gleiche tun und ich dadurch mit ihnen vereint bin, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Bevor ich wieder reingehe, hebe ich mein T-Shirt hinten etwas hoch und erlaube meinen Flügeln etwas Luft.

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Flash Fiction Woche 6

Thema Regen

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