Paucis Diebus Ante

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Maliaño, Kantabrien (Spanien)
12. Juni 2003, 15:24 Uhr
3 Tage vor dem Felssturz
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Zufrieden streckte ich meine müden Glieder.
»Na, kaum sind wir in Spanien, da wirst du wach! Aber in den Vorlesungen einschlafen... Das ist so typisch für dich, Aaron!«
Lachend folgte mir Melchior, mein allerbester Freund, aus dem großen Flughafenkomplex. Wir setzten uns in den Schatten des Seve Ballesteros-Santander Airports.
»Haha, sehr lustig, Mel. Wo hast du denn deine bessere Hälfte gelassen?«
»Miakoda musste nochmal auf's Klo.«, murrte er und warf mir einen warnenden Blick zu. Allerdings konnte ich es nicht ernst nehmen, wenn Melchiors giftgrüne Augen versuchten, mich durch die langen schwarzen Strähnen zu hypnotisieren.
»Bis sie kommt, sind wir mit dem Mittagessen fertig. Los, lass uns eine Tapas-Bar suchen.«
Als Antwort boxte Melchior mir nur gegen die Schulter. Er mochte es nicht, wenn ich über seine Freundin witzelte.

Wir hatten Miakoda Ritaka an der Universität kennengelernt. Melchior und ich, Freunde seit Kindertagen, hatten uns dazu entschlossen, unser friedliches Bergdorf zu verlassen und in Graz ein Studium auf Lehramt zu beginnen. Während ich mich für Latein und Biologie entschieden hatte, interessierte sich mein bester Freund mehr für Spanisch und Informatik. In der Lerngruppe, die speziell für den Bereich Programmiersprache gebildet worden war, hatte er sich mit der jungen IT-Studentin angefreundet. Nach gerade einmal zwei Wochen hatten Miakodas Mandelaugen und ihr unerschöpflicher Humor das Gehirn Melchiors vernebelt. Aber anders als mit seinen Freundinnen davor verstand ich mich ebenfalls gut mit der Halb-Mongolin. Wenn wir uns also stritten, dann aus purem Spaß und ohne uns wirklich ernsthaft schaden zu wollen.

Gerade wollte ich den nächsten Kommentar über ihre fehlende Größe äußern, als Miakoda hoch erhobenen Hauptes aus dem Flughafenkomplex stolzierte. Neben ihr rollten drei Koffer, die sie geschickt in unsere Richtung manövrierte.
»Ihr habt da was vergessen...«, rief sie uns entgegen.
Ich spürte, wie sich mein Gesicht schlagartig erhitzte und konnte mir sehr gut vorstellen, gerade wie eine reife Tomate auszusehen. Glücklicherweise ging es Melchior nicht besser. Warum hatte ausgerechnet die junge Studentin an unsere Koffer denken müssen?
»Habt ihr wenigstens schon unser Mietauto geholt? Mein dürftiges Spanisch reicht dazu wirklich nicht aus...«
Nun hatte ich das Gefühl, dass meine Gesichtshaut in Flammen stand. Wir hatten wirklich hier herum gesessen, während Miakoda sich um alles gekümmert hatte. Schneller, als ich es von Melchior erwartet hätte, sprang er auf und eilte davon, um nur wenige Minuten später mit unserem Mietauto, einem uralten, marineblauen Seat, zurückzukehren. Ganz im Stil eines Gentleman hievte ich unsere Koffer in den Heckraum des Autos. Miakoda war in der Zwischenzeit am Beifahrersitz vorbei auf die Rückbank geklettert und hatte sich angeschnallt. Eilig ließ ich mich auf den freien Vordersitz fallen, da Melchiors Geduld meist begrenzt war. Seine Finger klopften bereits tatendurstig auf dem Lenkrad herum. Ohne darauf zu warten, dass ich die Tür schloss und meinen Gurt anlegte, drückte er das Gaspedal durch. Der hüpfende Start sorgte dafür, dass die Tür von allein zu fiel. Während das Radio leise lief, jagten wir unserem Ziel entgegen: dem "Parque Nacional de los Picos de Europa".

∞∞ 16:56 Uhr ∞∞

Die Berge um uns herum waren wie Pilze aus dem Boden geschossen, je näher wir unserem Ziel kamen. Und dann lag es plötzlich vor uns: das kleine, malerische Bergdorf Sotres. Eine löchrige Straße führte bis in den Dorfkern, von dem wir nur noch zehn Minuten bis zu unserer Ferienwohnung laufen mussten.
Wie schon die letzten drei Male, die ich mit meinem besten Freund hier gewesen war, parkte Melchior direkt an der Hauswand der kleinen Käserei, die das Zentrum von Sotres bildete. Nachdem wir ausgestiegen waren, reckten und streckten wir uns. Das Auto würden wir erst in zwei Tagen wieder benutzen, um nötige Einkäufe zu erledigen.
Mit den schweren Koffern und unserer nicht mehr vorhandenen Konditionen brauchten wir geschlagene 22 Minuten, damit wir die etwas abgelegene Hütte am Berg erreichten. Schwitzend und keuchend kamen wir schließlich an dem Häuschen, das im Stil einer norwegischen Blockhütte gebaut war, an und ließen uns auf einer in der Sonne stehenden Bank nieder. Anscheinend waren wir so laut gewesen, dass selbst der fast taube Ezequiel, der Großvater unseres Vermieters Juárez, uns gehört hatte, denn beide kamen nach draußen und begrüßten uns herzlich.
»Wie war der Flug?«, fragte uns Juárez interessiert.
Er war noch nie aus den Picos herausgekommen, da er den Job als Ranger von seinem Großvater übernommen hatte.
»Gut, aber es gibt immer noch denselben Fraß wie vor drei Jahren.«
Amüsiert grinste der junge Spanier. Dabei legte sich seine Stirn in Falten und seine gebräunte Haut kontrastierte sich mit seinen stahlend weißen Zähnen. Sein Lächeln wurde noch breiter, als er unsere Reaktion auf den großen Laib Ziegenkäse bemerkte, den er hinter dem Rücken hervorgezaubert hatte.
»War heute ganz frisch im Angebot. Ich weiß doch, wie sehr ihr diese Sorte mögt!«
Schon bei dem Gedanken an den leckeren Käse lief mir das Wasser im Mund zusammen. Doch ich nahm ihn nur strahlend an, damit wir schnell unsere Zimmer beziehen und schon einmal eine kleine Wandertour wagen konnten.

In Terram MatremWo Geschichten leben. Entdecke jetzt