Er

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*Sicht Manuel*

Meine Arme waren weich. Ebenso meine Beine. Sie fühlten sich an wie Pudding. Mein Herz klopfte mir gegen die Rippen, als würde es gleich durch sie brechen und vor mir auf dem Boden landen. Mir war warm. Es waren vielleicht zehn Grad. Mitte Februar. Ich atmete tief ein und wieder aus. Mein Blick ging zur Anzeigetafel. Zwei Minuten noch. Dann rollt der Zug ein. Sein Zug. Ich biss mir auf die Unterlippe und sah auf mein Handy. Treffen beim Getränkeautomaten. Bereich B. Hier wartete ich auf ihn. Am Gleis. Nochmal durchatmen. Mich irgendwie beruhigen. Ich wünschte mir, meine Hände würden nicht so stark zittern. Das würde er gleich merken. Er würde merken, wie nervös ich war. Aber das hatte ich ihm gesagt. Er wusste es. 

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Die Durchsage erklang. Der Zug am Gleis sechs fuhr ein. Ich blickte nach rechts. Da war er. Der rote Zug. Nun fühlten sich meine Beine nur noch mehr an, als würden sie gleich einknicken. Der Zug bremste. Er hielt. Die Türen gingen auf. Ich schaute nach rechts. Ich sah ihn nicht. Ich schaute nach links. Und da ging er. Direkt auf mich zu. Mein Herz machte einen Sprung. Ich sah ihn das erste mal. Das erste mal konnte ich sehen wie er ging. Wie seine Haltung war. Ich blinzelte paar Mal. Das Grinsen auf meinen Lippen wurde breiter und breiter. Doch sein Blick war auf sein Handy gerichtet. Während des Gehens. Und dann bekam ich eine Nachricht von ihm. "Wo bist du?" fragte er mich. Ich musste aufglucksen. "Such" schrieb ich nur zurück, ging aber gleichzeitig auf ihn zu. Woher hatte ich den Mut? Nur noch Zehn Meter. Fünf. Er sah auf. Mir direkt ins Gesicht. Mein Herz schien stehen zu bleiben. Dann wanderte sein Blick wieder von mir ab, zurück auf sein Handy, während er sich an die Seite stellte. Gleich darauf ging er aber wieder hoch. Ich stand direkt vor ihm. Und dann begriff er. Ich war ich. Die Person die er liebte. Seine Augen weiteten sich, er breitete die Arme aus, so wie meine schon waren. Er fiepste ein "Oh mein Gott" und dann fielen wir uns in die Arme.

Das Gefühl was in mir aufkam. Glück, zuneigung. Pure Liebe. Sein warmer Körper an meinen. Seine Umarmung. Seine Umarmung, die ich so sehr gebraucht hatte. Eine Umarmung die Ewig ging. Wir strichen uns über den Rücken, drückten unsere Körper nur noch mehr aneinander. Ich war bei ihm. Für einen ganzen Tag, hier in Hamburg. Ich war seit langem nicht mehr so glücklich gewesen, wie an diesem Tag. 

Seine Hand zu halten, mich an seine Schulter zu lehnen. Mit meinen Fingern durch sein kurzes Haar zu fahren. Zusammen an der Alster zu sitzen, zu reden. Zusammen dort zu sitzen und die Lichter der Laternen und Gebäude im dunklen Wasser spiegeln zu sehen. Ein wunderschöner Moment.

Zusammen essen zu gehen. Dort beim Italiener. Zu Bier und Cola. Ofenkartoffel und Pizza. Ich lächelte ihn über den Tisch an, während wir auf unser Essen warteten. Seine Hand lag in meiner. Er schaute mir direkt in die Augen und fragte lächelnd, wieso ich ihn so anstarrte. Ich spürte, wie mein Gesicht anfing zu glühen, als er mich das so süß fragte. Und wie aus der Pistole kam es aus mir. "Weil du wunderschön bist." Er fiepste und legte seinen Kopf auf den Tisch ab. Ich schmolz bei dem Anblick. Und dann sagte er zu mir "Du doch auch". Das hatte lange niemand zu mir gesagt. Und dann kam es noch von dem Menschen, den ich so liebte. Der mir alles bedeutete. Ich konnte mein Glück nicht fassen so jemanden wie ihn kennengelernt zu haben. Das er das selbe spürte wie ich. Diese tiefgründige Liebe.

Die Zeit mit ihm verging wie im Flug. Schon war es halb Zehn abends. Sein Zug kam. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, als wir dort standen. Am Gleis fünf. Arm in Arm, eng aneinander. Ich wollte ihn am liebsten nicht gehen lassen. Mein Wunsch war es die Zeit zurück zu drehen. Den Tag nochmal zu erleben. Alles was wir zusammen gemacht haben nochmal zu machen. Durchgehend seine Liebe zu spüren. Durchgehend meine Liebe zu ihm zu spüren. Ich vergrub meinen Kopf an seiner Schulter und drückte meine Hände gegen die Lederjacke die er trug. Meine Augen waren geschlossen. Und dann nuschelte er was gegen meine Schulter. Ich hatte es nicht ganz verstanden. "Hm?", fragte ich also. Er fragte es nur zurück. Ich lächelte. "Ich liebe dich", sagte ich dann. Er drückte mich nur fester an sich. "Ich liebe dich auch", hauchte er. Ich musste schnaufen, löste mich leicht von ihm, sah ihm kurz in die Augen. Ein elektrisierender Moment. Und dann drückte ich meine Lippen auf die seinen. Schüchtern aber besonders. Seine Lippen waren so weich und warm. Ein Kuss, der schöner nicht sein könnte. Er war kurz aber genügte um ein starkes Gefühl in mir zu entfachen. Ich drückte mich wieder in seine Arme, kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Und ihm erging es nicht anders. Doch der Augenblick, dieser besondere Augenblick zwischen uns, wurde unterbrochen, als die Bahn, die schon stand, kurz vor der Abfuhr war. Wir gaben uns einen letzten Kuss. Einen voller schmerz. Dann hielt ich seine Hand, bis er in den Zug stieg und unsere beiden Armlängen nicht mehr ausreichten, um unsere Finger zu berühren. Langsam glitten unsere Hände auseinander und mit der letzten Berührung nahm er auch mein Herz mit. 

Er saß da im Zug, blickte auf mich herunter. Ich rang mit den Tränen. Am liebsten wäre ich rein gelaufen, zurück in sein Arm. Zurück in mein Zuhause. Doch das ging nicht. Ich nahm mein Handy aus meiner Hosentasche und sah, er hatte mir geschrieben. Ein traurigen Smiley. Ich sah ihn an. Diese wunderschönen Augen, die er hatte, sahen mich so traurig an. Dieses wunderschöne Gesicht mit den traurigen Lippen. Und als ich ihn ebenso traurig ansah, fiel mir ein, was ich mir vorgenommen hatte. Ich griff mir an den Kopf und tippte gleich darauf ein:

Ich habe was vergessen. Eigentlich wollte ich dich das fragen, nachdem wir unseren ersten Kuss hatten. Aber ich habe es einfach vergessen. Ich wollte fragen ob wir das mit uns fest machen wollen?

Ängstlich sah ich zu ihm hoch. Er las. Dann sah er zu mir. Die traurigen weichen Lippen grinsten mich an. Seine Augen strahlten und dann nickte er hektisch und formte mit seinen Lippen ein "Ja". Nun hätte ich nicht nur aus trauer weinen können, sondern auch aus Freude. Aus Freude diesen wundervollen und wunderschönen Menschen meinen Freund nennen zu dürfen.

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~ L

Wunderschön / KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt