Das Herbstschloss

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In meinem langen Leben habe ich viele Geschichten gehört, doch keine von ihnen konnte je die des Herbstschlosses aus meinem Gedächtnis verdrängen. Die Ereignisse, von denen ich euch berichten möchte, liegen bereits viele Generationen zurück. Über die Jahre wurde die Geschichte von Generation zu Generation weitergereicht, dadurch mag das Geschehene etwas vom Inhalt dieser abweichen. Nicht aber der Beginn, denn begonnen hat alles bei einer Sitzung des Rates und jener Rat, das müsst ihr mir glauben, war etwas ganz Besonderes. Der Rat bestand aus drei Mitgliedern und war für die damalige Zeit schon sehr fortschrittlich, da die Mehrheit der Mitglieder Frauen waren. Was bei drei Personen jetzt nicht unbedingt schwierig ist, aber für diese Zeit war es ein Sonderfall. Da saßen sie auf ihren hochheiligen Stühlen und starrten auf die Welt hernieder. Ihre pure Macht und ihren Reichtum konnte man am Horizont erkennen. Denn entlang der Straße die zu ihnen führte standen drei große Schlösser.
Ein jedes davon war schöner als alles was die Menschen auf der Erde je zu sehen vermochten.
Da stand das Schloss des Winters mit seinen zahllosen Fluren, Türmen, Türen und Treppen, die aus glänzendem Eis bestanden. Es war ein kristalliner glitzernder Eispalast, welcher durch eine heiße Quelle in seinem tiefsten Inneren wohlig warmgehalten wurde. Ein riesiger Edelstein aus purem Eis zierte die Spitze des großen Turms. Er war so klar und rein das sich das Licht in ihm brach und man, wenn man gute Augen hatte einen Regenbogen sehen konnte.
Der Palast des Frühlings war das zweite Gebäude in dieser Straße, die vor Pracht und Gloria nur so strotzte. Der Erbauer hatte sich anscheinend vom Nachbargrundstück inspirieren lassen, denn auch hier waren sämtliche Türen aus glänzendem Eis gehauen. Die Fassade wurde von großen Fenstern geschmückt, die das Licht einließen. Es fiel auf die bepflanzten Böden des Schlosses welche durch die vielen Blüten in einer Farbenpracht erstrahlten die unerreichbar war. Von den Türen hin zur Mitte eines jeden Raumes erstreckte sich ein Blumenmeer, welches immer mit Schneeglöckchen und Krokussen begann und sich dann nach und nach über all die vielen Blühpflanzen hin zu den Gräsern ausbreitete. Besonders üppig waren diese Blumenmeere in den großen Sälen des Schlosses und davon gab es einige. Auf den Turmspitzen standen zwei kleine Figuren, welche jede einen Eimer Wasser entleerten, aus denen sich junge wilde Flussquellen nährten, deren Wasser durch und am Schloss entlang schossen. Überall konnte man kleine Insekten sehen, die über die noch jungen Blätter an der Außenwand krochen. Auch die ersten Bienen und Hummeln ließen ihre Flügel schlagen und erzeugten ein monotones Brummen.
Das dritte und letzte Schloss in dieser Reihe war die Burg des Sommers. Sie war von dichtem Blattwerk bewachsen und an den Türen und Toren rankte sich der Efeu in ungeahnte Höhen. Im Burghof lagerte das frische Getreide und wartete geduldig auf sein Schicksal. Auch die ersten Äpfel strahlten in voller Farbenpracht von den dünnen Ästen, die sich am Mauerwerk entlangstreckten. Im ganzen Schloss roch es nach Blumen und man spürte eine angenehme Wärme.
Die Besitzer dieser Prachtbauten saßen also auf ihren Stühlen und starrten tagein, tagaus auf die Welt der Sterblichen herab, der Winter, der Sommer und der Frühling. Ihre wahren Namen waren schon lange vergessen und sie lagen seit ebenso langer Zeit im Streit, wer jetzt mit der Regierung an der Reihe wäre, denn alle drei waren der Regentschaft überdrüssig.
„Bis der Schnee gefallen ist, ist so viel Zeit verstrichen, dass ich ihn gleich wieder schmelzen lassen könnte.", grummelte der einzige Mann in der Runde. Er war recht alt trug einen langen weißen Mantel und sein Bart reichte ihm nach all den Jahren bis zum Bauchnabel.
„Aber ohne den schmelzenden Schnee können meine Blumen nicht blühen", jammerte der Frühling „und außerdem war ich schon so oft dran."
Die Stimme gehörte einer Frau, welche sich sichtlich echauffierte. Sie hatte langes braunes Haar, das von grünen Knospen durchzogen war. Ein Farbverlauf streckte sich über ihren Mantel, der von

tiefblau bis strahlend gelb ging.
Die Einzige, die dem ganzen sehr entspannt entgegen blickte, war das Mädchen des Sommers. Immerhin war sie jetzt schon seit drei Zyklen ununterbrochen an der Macht, da sich die anderen beiden nicht einigen konnten. Auch ihr Kleid war strahlend bunt koloriert. Die Farben verliefen von einem saftigen Gelb bis hin zu einem dunklen Rot.
„Was streitet ihr euch so? Die Menschen lieben mich. Ich vertrete euch derweilen gerne."
Aber so war es nicht. Die Menschen sehnten sich nach einer kühlen Lage Schnee oder dem frischen Regen des Frühlings. Auch den Tieren ging es nicht anders, waren doch alle jungen Triebe mittlerweile kantig und verholzt. Neue Bäume wollten aufgrund der fehlenden Kälte nicht wachsen, die Blätter waren vertrocknet, die Früchte lange aufgezehrt und die Bachbetten staubtrocken Die Welt litt fürchterlich an Hunger und Durst.
So war es auch in jenem kleinen Dorf, wo ein junger Mann wohnte. Er war erst vor wenigen Jahren hierhergezogen, um seine Lehre zum Malermeister zu machen, da man sich sagte, dass sein Mentor Zauberfarben besaß. Aber keiner hatte diese bisher je gesehen. Es kam der Tag, da die Zeit des Mentors sich dem Ende entgegen neigte und der Junge trotz, dass er sich selbst kaum noch auf den Beinen halten konnte, ihm seine letzte Ehre erwies. Kurz vor seinem Tod sprach dann der alte Mann zu ihm. „Mein Junge, zieh in die weite Welt hinaus. Nimm diesen Kasten an Farbe an dich, der unter diesem Bette steht. Er wird dich leiten und lenken und zu deinem Ziel führen. Keinem anderen außer dir würde ich dies Geheimnis anvertrauen aber..." er tat einen letzten Atemzug danach war er tot. Der Mann ergriff den Kasten Farbe unter dem Bett und machte sich auf den Weg, um die traurige Nachricht zu verkünden. Da kamen die Leute auf ihn zu, denn die Nachricht vom Tod des alten Malers hatte sich auch ohne seine Hilfe, schneller verbreitet als ein Lauffeuer Sie sahen ihn aus ihren großen Augen an und sprachen „Du musst dich auf den Weg zu den Jahreszeiten machen. Nur sie können diesem Leid ein Ende bereiten. Aber sie hören nur auf den, der die Zauberfarbe schwingt. Bitte hilf uns. Wir wollen wieder Regen und ein Ende der heißen langen Tage."
Er hatte keine Ahnung was die Menschen von ihm erwarteten denn schließlich war er nur der Lehrling des Meisters gewesen. Aus diesem Grund nickte er nur freundlich und machte sich auf den Weg. Er lief den ganzen Tag und ließ sich am Abend an einem kleinen Bachbett nieder. Er holte den alten vergilbten Kasten aus seiner Tasche hervor und besah ihn sich. Die Scharniere waren alt verblichen und hatten Rostflecken. Er öffnete sie mit einem lauten Schnappen und besah sich die zehn Farbdöschen, die hübsch aufgereiht da vor ihm standen. In seiner Liebe zum Malen und der Natur beschloss er gleich am nächsten Morgen sein erstes Bild zu malen. Auch wenn der Bach nur noch ein trübes Rinnsal war. Die Nacht verging und der Baum bot ihm eine gar erholsame Ruhemöglichkeit. Als er am Morgen mit dem Pinsel bewaffnet sein Kästchen holen wollte, da musste er mit Schrecken erkennen, dass er es nicht verschlossen hatte. Das wäre ja noch nicht mal schlimm gewesen nur hatte er wohl im Schlaf den Kasten umgestoßen. All seine Farben lagen verstreut auf der Wiese. Nur die zwei Blautöne konnte er nicht wiederfinden und als er sich dem Bachbett näherte, sah er das Unglück. Die Farbgläser waren gegen einen Stein gerollt und dort zerbrochen. Er hoffte noch etwas der kostbaren Farbe mit seinem geübten Pinselstrich retten zu können jedoch kam es nur zu kleineren Gravuren auf der Oberfläche da die Farbe schon viel zu trocken und ineinander verlaufen war. Enttäuscht packte der Maler seine Sachen er wollte keine vertrockneten Flusslande malen. Von seinen zehn Farben waren nun noch acht übrig.
Er verließ diesen Ort und zog weiter durch die Lande. Bald führte ihn sein Weg in einen Teil des Waldes, der nur als Blätterlabyrinth bekannt war. Als er merkte, wo er war hatte er sich schon viel zu

Vier Märchen durchs Jahr Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt