Flammenspeer in tiefster Nacht

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Ich habe euch bereits von den Ereignissen erzählt, die zur Entstehung des Herbstschlosses führten, aber falls einer von euch glauben mag damit wäre die Geschichte um die Jahreszeiten abgeschlossen der irrt sich ganz gewaltig. Denn als sämtliche Blätter gefallen waren und die Temperaturen langsam sanken da übernahm der Winter das Zepter der Macht und mit ihm kam ein eisiger Frost daher. Die Landschaften versanken unter einer dichten Decke aus Schnee und Eis und bald schon beherrschten lange Mäntel und dicke Decken die Mode der Zeit. Nur einer Person schien diese Kälte nichts auszumachen. Das Mädchen, von dem ich hier spreche, trug den Namen Agnia und war wunderschön. Ihre gelockten roten Haare fielen ihr über die Schulter und umspielten ihr kantiges, aber doch sehr feminines Gesicht. Ein jeder im Dorf mochte den kleinen Wirbelwind, da sie für ihr doch recht junges Alter erstaunlich erwachsen wirkte. Für ihre Mutter war Agnia ein wahrer Segen da sie ihr immer zur Hand eilte, wenn Not am Manne war und sie sich nur selten Sorgen um ihre jüngste Tochter machen musste.
Als die ersten Schneeflocken dann endlich fielen liefen die Menschen auf die Straßen und konnten ihr Glück kaum fassen, auch wenn sie wussten das ihnen eine lange und erbarmungslose Jahreszeit bevorstand. Agnia stand an diesem Tag auch auf der Straße und starrte in den Himmel, aus dem sich ganz sacht kleine weiße Flocken lösten und zu Boden segelten. Dort verbanden sie sich mit ihren Brüdern und Schwestern, bildeten gar einen weißen flauschigen Teppich. Eine der unzähligen Flocken landete auf ihrer Stirn und zerschmolz. Wenn Agnia es beschreiben hätte können, dann hätte sie scher gesagt das es sich anfühlte wie der heiß ersehnte Kuss einer geliebten Person. Aber da die Kleine dafür noch viel zu jung war, um solche Erfahrungen gesammelt zu haben spürte sie nichts weiter als ein leichtes Kribbeln an der Stirn und einen Wärmeschwall, welcher durch ihren Körper rauschte. Sicher sie hatte schon viele Winter erlebt und auch einen ewigen Sommer, aber dennoch war dieser Moment etwas ganz Besonderes für sie. Sie hatte kürzlich erst ihren neunten Geburtstag gefeiert und war damit berechtigt am Winterritual des Dorfes teilzunehmen. Ihre Mutter hatte ihr viel darüber berichtet und so war sie mächtig aufgeregt als sie am Abend des gleichen Tages zusammen mit all den Bewohnern vor dem längst ausgetrockneten Brunnen stand. Ihr gegenüber stand der alte Schamane des Dorfes und blickte sie mit seinen Augen, welche fast unter den buschigen Brauen verschwanden, an.
„Soso", sagte er „Du bist also Agnia. Hat deine Mutter dir je erzählt, woher dieser alte Name stammt? Mit Sicherheit nicht. Drum lass dir gesagt sein das in dir ein doppeltes Feuer brennt. Na gut, es brennt noch nicht dazu fehlt dir noch der nötige Luftzug aber auch ein wenig Glut kann gefährliche Brände auslösen."
„Aber ihr sagtet doch gerade was von einem doppelten Feuer. Muss ich Angst haben?"
Mit ängstlichen Blick sah sie dem Mann, der ihr gegenüberstand, entgegen. Sie konnte um seine Augen kleinere Lachfältchen erkennen. Diese begannen sich zu kräuseln und in seinen Augen schimmerte das warme Licht der Fackel, die im Boden steckte als er zu Lachen anfing.
„Aber nein. Das war doch nur metaphorisch gemeint, also bildlich. Es wird erzählt das Menschen mit rotem Haar vom Feuer geküsst wurden. Wir alle tragen ein Feuer für etwas in uns drin und du bist durch deine Haare doppelt gesegnet."
„Also bin ich etwas Besonderes", entwich es ihren kindlichen Lippen.
Er lachte und sah sie an.
„So kann man das auch sagen, aber nun wollen wir mit der Zeremonie mal beginnen. Hast du Lust mir dabei zu helfen", fragte er sie. Agnia nickt so wie sie es immer tat, wenn einer der Älteren im Dorf sie um einen Gefallen bat.
Zusammen steckten sie rund um den Brunnen Fackeln in den Boden, wobei sie die Löcher grub und er die Fackel darin befestigte und entzündete. Nach einer Weile war der gesamte Brunnen von brennenden Fackeln umstellt.
„Dir ist sicher kalt", mutmaßte der alte Mann während aus seinem Korb einen komischen Behälter aus Metall zog und daraus eine dampfende Flüssigkeit in zwei Tassen gab, die sonst nur für die Gabe von Medizin benutzt wurden.
„Nein, mir ist nicht kalt. Ich zittere noch nicht einmal und meine Hände sind auch ganz warm."
„ Zeig mal her. Das kann nicht sein", widersprach ihr der alte Mann und nahm ihre Hand in seine. Sie war tatsächlich warm. Im ersten Moment fürchtete der Alte das die Kleine womöglich dabei war zu erfrieren aber so agil wie sie dastand und ihn aus ihren braunen Rehaugen heraus anstarrte war das nicht sehr wahrscheinlich
Der Schnee um den Brunnen, war durch die entstandene  Wärme der Fackeln, mittlerweile geschmolzen. Im schummrig flackernden Licht der Flammen konnte man gut erkennen, wie sich der Schamane des Dorfes erst in den Lichtkreis trat und sich dann über den Brunnen beugte, um den Geist des Wassers anzurufen. Damit sollte sichergestellt werden das alle Wesen im Umkreis des Dorfes den Winter gut überstanden.
Doch in diesem Moment geschah etwas Unglaubliches. Ein lautes Stöhnen durchdrang den Raum als sich eine lange dünne Lanze ihren Weg durch den Körper des Schamanen stieß. Er sackte augenblicklich in sich zusammen und wurde durch seine Haltung wie von selbst in die Tiefen des Dorfbrunnens gezogen. Das darauffolgende laute Krachen löste die Starre der Menschen die wie gebannt zum Brunnen geblickt hatten. Der Schamane hatte das Schlimmste hinter sich er weilte jetzt an einem anderen Ort, aber noch war nicht klar was da aus dem Brunnen gekrochen kam und welche weißblaue Hand sich da über die Steinkante streckte. Das Wesen, welches langsam aus dem Wasserloch zum Vorschein kam, sah aus wie aus einem Alptraum. Sein ganzer Körper war mit Pusteln überzogen die Wassertropfen, festgefrorenen Wassertropfen ähnelten. Die lange Hakennase, welche in dem Gesicht prangte, vervollständigte eine Fratze des Grauens. Die Kreatur hatte ihre aufgerissenen Lippen gebleckt und ihr schaurig schönes Lächeln entblößte so eine Reihe von messerscharfen Zähnen. Agnia stand einfach nur da. Erst als sich eine weitere Kreatur über den Rand schob und diese sich ihr langsam taumelnd näherte tauten auch ihre Füße auf. Ihr Blick wanderte über den Platz und erst jetzt fiel ihr auf das alle anderen Menschen um sie herum ausgestoben waren.
Die Kreatur kam immer näher und näher. Agnia wich zurück und versuchte einen Fluchtweg zu finden. Doch der einzige Weg war der in den Wald. Man hatte ihr seit Jahren immer wieder eingebläut nicht Hals über Kopf in den Wald zu stürzen da man sich sonst nur verlaufen würde, aber was blieb ihr anders übrig. Mit einem kleinen Schneeball, den sie hinter die Kreatur warf, gelang es ihr sie einen kurzen Moment von sich abzulenken. Dieser Moment war Gold wert denn ihre Beine konnten sie gar nicht schnell genug in die schützende Sicherheit des Waldes tragen.
Sie lief und lief und lief , alles war ihr Recht aber sie wollte soweit wie möglich von diesen Scheusalen entfernt sein. In ihren Gedanken kamen Bilder ihrer Mutter hoch, welche sich sicher ernsthafte Sorgen machen würde. Ein hoffnungsloser Wunsch keimte in ihr auf. Vielleicht musste keine weitere Person im Dorf sterben. Das der Speer des einen Wesens den Schamanen aufgespießt hatte konnte auch nur reiner Zufall gewesen sein, oder? Auch die Angriffe waren erklärbar denn wer wusste schon was diese armen Kreaturen für panische Angst hatten, nachdem ihnen eine Leiche entgegengekommen war. Nach einer gefühlten Ewigkeit und mit brennenden Füßen sah sie sich erstmalig um. Überall waren Bäume und Sträucher. Sträucher und Bäume! Sie hatte sich hoffnungslos verlaufen und war am Ende ihrer Kräfte. Müde sackte sie in sich zusammen und fiel in den weichen Schnee der sich wie eine flauschige Decke um sie legte. Danach wurde alles schwarz.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 25, 2021 ⏰

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