Einbrüche

185 24 5
                                    

Gwendoline, Karl, Lisbeth und Julien waren vier Schüler er Klasse 9B, die unter der Klassenlehrerin Misses Abigail Méduse zusammenfanden. Im Klassenraum saßen sie verstreut, der eine hinten links, die andere mittig, ein weiterer rechts und die letzte ganz vorne in der ersten Reihe. Sie waren die ausgestoßenen der Klasse und keiner der vier Personen konnte auf die Frage, wer denn zu ihren Freunden zählen würde, derart antworten, dass kein Gefühl von Scham und Unsicherheit einen jeden von ihnen heimsuchte.

Gwendoline war die gutmütigste von ihnen, sie war etwas rundlicher, braun-gelockte Haare zierten ihren Kopf. Für die meisten anderen Mädchen war sie zu hässlich gewesen, »Pummelchen« ein typischer Spitzname, während sie Sport betrieben. Ähnlich verhielt es sich zu den Jungs, doch konnte sich die Schülerin mit den kleinen Narben ihrer Akne im Gesicht glücklich schätzen, dass ein gemeinsamer Unterricht, im Sinne der Geschlechtertrennung zwischen »Weiblich« und »Männlich« nicht stattfand. Ob es weitere Identitäten gab, darauf wurde kein Wert gelegt und bei Bedarf, der jedoch nie eintrat, da sich niemand traute, diese Art der Andersartigkeit zu erfüllen, auf Äußerlichkeiten reduziert und schließlich in die Frauen oder Männerumkleide zugewiesen. Gwendoline ärgerte sich stets daran, doch niemand schenkte ihr Gehör. Es war so, wie ein jedes »Mauerblümchen« eben missachtet wurde.

Wenn man Karl begegnen wollte, dann fand man ihn oft beim Sport. Doch trotz des vermeintlich geglaubten Faktes, dass sportliche Aktivitäten in Gruppen zu mehr Gemeinschaft führen würden, verstaubte Karls Platz auf den maroden Holzbänken der Tribüne niemals. Während seine Mitspieler die Abschlussballkönige, Bad-Boys und Teenie-Schwärme seiner Schule waren, war Karl einfach nur Karl und Karl verlor sich in Träumen, auch endlich einer von Ihnen zu werden. Der fleißige Schüler, der auf anraten seiner Eltern in den Sportverein seiner Schule gesteckt wurde und welchen er mit Begeisterung begleitete, erhielt stets die Funktion des verlachten Maskottchens seiner Mannschaft. Während sie Fußballspielend Niederlage für Niederlage erhielten, saß Karl auf der Mannschaftsbank und erfüllte seinen Posten als Jubelnder des Teams erfolgreich. Doch war das traurigste an seiner Situation nicht, dass er kein Bestandteil des Teams war und er auf Feierlichkeiten seiner Mannschaft selbstverständlich niemals eingeladen wurde, sondern die Auffälligkeit, dass Karl niemals seine Situation bemerkte und er stets davon ausging, er wäre einer von ihnen. Er wäre ein erfolgreicher, typischer Junge, der mit drei Mädchen gleichzeitig ausgehen könnte, wenn er es denn wollte.

Unumstritten ist, dass Lisbeth wohl die schlauste von ihnen war. Unweigerlich erreichte sie das Schicksal, dass viele andere vor ihr bestritten und die ganze Klasse voller Neid und Eifersucht auf sie blickte. Sie war keine von ihnen, wenn man sich zur Mittagszeit an den Mensatisch setzte, auch dann nicht, wenn man Notizen für die nächste Klausur von ihr einforderte. Sie war keine von ihnen, wenn sie sich in der Klasse meldete, wenn sie ihre Klasse als Klassensprecherin vertrat oder am Abend den Schulstoff wiederholte, der sie so sehr interessierte. Andere Mitglieder ihrer Klasse gingen zu dieser Zeit abends aus, hatten einen Freund, der sie bis zur Türe brachte, romantische Rendezvous und andere Erlebnisse, die bei Lisbeth in den Träumen standen. Lisbeth war Lisbeth und Lisbeth war sicherlich keine von ihnen. Aber sie wusste, dass sie es eines Tages doch sicher endlich leichter haben würde. Oder? Sollte sie später mehr Glück haben, nur weil sie zu Jugendzeiten auf Glück und Liebe verzichtete? Daran wollte Lisbeth niemals denken - und dennoch verfolgte sie die Angst, für immer alleine zu bleiben, bis in ihre nächtlichen Träume.

Julien hatte wohl das unglücklichste Los des Lebens gezogen. Sein Pech war es, dass er von einer Einsamkeit beseelt war, die sich niemals von ihm lösen würde. Keinen einzigen Freund konnte er verzeichnen, kein Mädchen konnte ihm den Zauber seiner ersten Jugendliebe entlocken. Die Liebe seines Lebens entschwand ihm, der Zauber, die Lust. Schon lange war sein Geburtstag nur einer von 365 Tagen im Kalender. In der Klasse fand man ihn stets in der hintersten Reihe, wo er zeitlebens einen schwarzen Kapuzenpulli, oder wahlweise, eine schwarze Strickjacke trug, sich auf seine Arme beugte und versuchte, zu schlafen. Er war müde. Vom Leben, von der Anstrengung des Lebens, müde vom Atmen, müde, sich für Dinge zu begeistern, aber vor allem war er müde, er selbst zu sein. Ihm ging die Kraft verloren täglich unter seine Mitschüler zu treten.

EinbrücheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt