Kapitel 2

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Heute ist ein besonderer Tag. Nicht weil heute Samstag ist, sondern weil Ellie heute meine Eltern kennenlernen wird. Schon gestern Abend war sie ein wenig nervös als ich von der Arbeit kam. Die halbe Nacht lang lag sie wach, das konnte ich deutlich merken. Auch jetzt beim Frühstück, spüre ich immer wieder ihre nervösen Blicke in meine Richtung. Die Nervosität ist ihr anzusehen. Nicht weil sie Angst hätte, aber diese Situation ist für sie etwas völlig neues. Familie die jemand wie ich als "normal" bezeichnen würde, kennt sie keine. Sie hat zwar mal das eine oder andere Familienmitglied ihrer Mitbewohnerinnen getroffen, doch Feste wie Konfirmationen, Jubiläen, Hochzeiten, Schuleinführungen, Abiturfeiern oder einfach nur das Talentefest in der Grundschule, sind ihr gänzlich unbekannt.

Ellie tippt mich an und ich senke die Zeitung. Sie deutet auf den Artikel auf der Rückseite. Darin ist der Neubau des städtischen Schwimmbades beschrieben. Schon lange verfiel es immer mehr, bis sich die Stadt und NRW endlich auf eine Finanzierung einigen konnten und ein großes Sanierungsprojekt starteten.

"Was genau meinen die hier mit einer Ausschreibung? Ist das wie eine Zeitungsanzeige wo sich die Firmen dann melden und das Projekt bekommen?"

"Nicht so ganz.", antworte ich und erkläre es ihr. Bei mir hat Ellie keine Scheu sämtliche Dinge die sie nicht kennt oder versteht, nachzufragen. Wenn wir unterwegs sind, sei es in der Stadt oder sonst irgendwo, stellt sie kaum Fragen und nickt nur stumm. Sie traut sich nicht nachzufragen, wohl aus Angst als dumm abgestempelt oder ausgelacht zu werden. Bei mir ist das anders, sie weiß dass ich sie nicht verurteile oder sie schief anschaue, sondern versuche es ihr so gut es geht und so gut ich es weiß zu erklären, auch wenn es vollkommen profane Dinge sind wie zum Beispiel der Unterschied zwischen einem Girokonto und einem Sparbuch.

Es wird langsam Zeit loszufahren. Ich habe den Frühstückstisch abgeräumt, während Ellie sich umziehen wollte. Als sie nach einiger Zeit immer noch nicht zurück ist, schaue ich nach. Sie steht im Schlafzimmer, barfuß und in Jogginghose und schaut ratlos drein.

"Alles klar?", frage ich.

"Ich weiß nicht so recht. was ich anziehen soll. Ich will keinen schlechten Eindruck machen, weißt du?"

"Du musst dir deswegen keine Sorgen machen. Du kannst gar keinen schlechten Eindruck bei meinen Eltern machen. Wie wäre es, wenn du dich so anziehst wie sonst auch. Damit kannst du nichts falsch machen."

"Ja?"

"Überhaupt nicht."

Sie nickt. Wenig später kommt sie in die Küche. Wandersocken, schwarze Hose, ein dunkelroter gestreifter Pullover, Halstuch. Die braunen, leicht gewellten Haare mit einer großen Haarklammer zurück gebunden. Alles wie immer.

"Immer wenn ich in eine andere Familie oder Heim musste, musste ich ein Kleid anziehen.", bemerkt sie.

"Hast du denn überhaupt noch eines?"

"Nein."

"Na siehst du. Das schränkt die Auswahl doch sowieso ein. Außerdem siehst du so wunderschön aus."

Sie schweigt und zieht sich ihre Schuhe an. Es sind alte schlichte Lederstiefel, schon ziemlich abgetragen. Ich habe sie einmal gefragt, warum sie sie noch trägt und sie meinte sie würden ihr einen festen Stand und somit Sicherheit geben. Diese Aussage gab mir zu denken. Hatte sie Angst, durch den Wechsel der Schuhe den Halt zu verlieren? Oder die Vergangenheit? Wie dem auch sei, sie sind ein fester Teil von ihr. Genau so wie die alten Pullover. Es sind Teile der Vergangenheit, die sie nicht loslassen kann, auch wenn sie manchmal weh tun.

Sie will noch eine Packung Kekse greifen, wie sie es immer tut bevor es auf eine lange Autofahrt geht.

"Ich glaube die brauchst du nicht. Meine Mutter wird sicher einen großen Kuchen gebacken haben."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 16, 2021 ⏰

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