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Als Erstes roch ich feuchtes Laub und den modrigen Geruch von Waldboden, gemischt mit Schnee und… Hund? Ich öffnete versuchsweise ein Auge, sofort traf mich ein heftiger Kopfschmerz wie ein Hammerschlag und ich stöhnte auf. Ich versuchte, meine Arme zu bewegen, wollte mich aufrichten, doch es ging nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich spürte meine Füße nicht, mein Gesicht war kalt und nass. Unter großer Anstrengung öffnete ich beide Augen. Mein Blickfeld war verschwommen, doch es war hell um mich. Ich blinzelte ein paarmal und das Bild wurde klarer. Ich lag auf dem Boden, offenbar im Wald. Himmel, wie war ich hier hingekommen? Ich lag auf dem Bauch, das Gesicht in der kalten, nassen Erde. Der weiße Schnee blendete mich und so langsam kehrte mein Gefühl wieder zurück. Ich war fürchterlich durchgefroren, doch meine Beine waren noch da, ich konnte in den Stiefeln mit meinen Zehen wackeln. Gott sei Dank! Doch mit meinem rechten Arm stimmte irgendetwas nicht. Er ließ sich nicht bewegen und als ich versuchte, mich mit dem anderen Arm aufzurichten, fuhr ein gleißender Schmerz wie ein Stromschlag durch meinen rechten Ellbogen. Ich keuchte erschrocken und ließ mich wieder fallen. Was war nur passiert? Ich rollte mich vorsichtig auf den Rücken und versuchte, mich so zum Sitzen aufzurichten. Nach einigen Versuchen klappte es, doch es begann sich sofort alles zu drehen und ich musste eine Weile die Augen schließen und den Kopf auf die Knie legen.

Als der Schwindel nachließ, hob ich langsam und vorsichtig den Kopf und sah mich um. Ich war offenbar in eine Art Grube gestürzt, die Wände um mich herum waren aber nicht sehr hoch, etwa zwei Meter. Trotzdem zu hoch für mich, um hier alleine herauszukommen. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy. Scheiße! Es war anscheinend bei dem Aufprall kaputt gegangen, das Display war gesplittert und der Akku ausgelaufen. Zum Glück hatte mir das Zeug nicht noch die Haut verätzt. Weiter entfernt hörte ich metallisches Klappern, wie von einem Hundehalsband. Ich kannte das Geräusch genau, wir hatten immer Hunde gehabt, mein Leben lang. Ich pfiff und versuchte, den Hund hierher zu locken. Wo ein Hund ist, ist auch immer ein Mensch. Es schien zu funktionieren, das Klappern kam näher, ich pfiff weiter und schnalzte aufmunternd mit der Zunge. Und dann war das Klappern da und ein großer, schwarzer Schäferhund streckte seinen Kopf über den Rand der Grube. Ich war so erleichtert, dass ich fast anfing zu heulen. Der Hund lief nun aufgeregt um die Grube herum und winselte. Dann drehte er mir den Rücken zu und bellte einmal kurz und hoch. JA! Da war jemand und das hier war ein kluger Hund, der erkannt hatte, dass ich Hilfe brauchte. Ich sprang auf die Füße und rief laut um Hilfe.

Der Hund begann jetzt, aufgeregt zu bellen und das Gesicht des letzten Mannes auf der Welt, den ich jetzt sehen wollte, erschien über der Grube. Nicht nur jetzt, überhaupt irgendwann. Verdammt, der Typ verfolgte mich wirklich! Das Dumme war nur, jetzt brauchte ich seine Hilfe, denn aus dieser Grube würde ich alleine, vor allem mit meinem unbrauchbaren Arm, nicht herauskommen. Er stand am Rand des Erdlochs und blickte auf mich herab, so wie man ein Stück Fleisch betrachtet, und mir wurde ganz anders. Ich musterte ihn jetzt zum ersten Mal genau und rechnete meine Chancen aus, wegzulaufen, sobald ich hier raus war. Er sah sportlich aus, durchtrainiert, schlank, er kannte die Gegend hier und er hatte einen Hund dabei. Ich dagegen, etwas zu viel Speck auf den Hüften, absolut keine Kondition, keine Ahnung, wo ich war oder wo ich hinrennen sollte. Scheiße. Doch kampflos würde ich mich nicht ergeben. Unwillkürlich wanderte meine funktionierende linke Hand (Gott sei Dank bin ich Linkshänder!) in meine Manteltasche zu den zwei Wurfmessern. Zum Glück hatte ich sie nicht verloren. Er hatte offenbar meinen Gedanken erraten, denn er deutete nun auf meine Manteltasche "Das würde ich lassen, es kann Wochen dauern, bis hier wieder jemand vorbeikommt." Seine Stimme war ruhig, beherrscht, gelassen, vielleicht auch ein wenig arrogant und bei seinen Worten lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Er machte mir unleugbar Angst, doch etwas in seinem Blick brachte mein Blut in Wallung und ich gab mir Mühe, es mir nicht anmerken zu lassen.

"Hilfst du mir jetzt hier raus, oder was!?" Fragte ich, absichtlich ungehalten. Er sollte ja nicht denken, dass ich mich vor ihm fürchtete. Er nickte und sah sich suchend um, entfernte sich ein paar Schritte und kam mit einem langen Ast zurück. Er hielt ihn mir entgegen "Halt dich daran fest, dann ziehe ich dich raus." Ich schüttelte den Kopf. "ich kann nicht…" und deutete auf meinen Arm, der unnatürlich abstand und bei der kleinsten Bewegung höllisch schmerzte. Er bemerkte es erst jetzt und seine Stirn legte sich in Falten. Dann setzte er völlig unvermittelt zum Sprung an und landete so plötzlich neben mir auf den Füßen, dass ich nach Luft schnappte und ein paar Schritte zurücktaumelte. Er streckte die Arme nach mir aus "Ich heb dich hoch, dann kannst du rausklettern." Ich nickte. Das war meine Chance, wenn ich oben war, konnte ich losrennen. Er würde sicher etwas brauchen, um da herauszukommen, was mir vielleicht einen Vorsprung verschaffte. Wohin ich dann rannte, konnte ich oben immer noch entscheiden, Hauptsache erstmal weg von ihm. Er ging in die Knie und packte mich um die Beine, dann hob er mich so abrupt und mühelos vom Boden, dass ich mich an seiner Schulter festkrallen musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Bei dieser plötzlichen Bewegung wurde mein rechter Arm erneut von heftigem Schmerz durchzuckt und ich quiekte nicht sehr ladylike. Travis war das nicht entgangen und er bewegte sich sofort langsamer. Behutsam hob er mich so hoch, dass ich bequem über den Rand der Grube klettern konnte, doch meine Fluchtpläne von eben musste ich gezwungenermaßen erstmal vertagen. In meinem Arm pochte es heftig und mir wurde übel. Ich konnte mich noch gerade eben wieder unter Kontrolle bringen, sonst hätte ich mich übergeben. Ich kniete auf dem feuchten Waldboden und atmete angestrengt, um meinen Magen wieder zu disziplinieren. Travis kam neben mir mit einer mühelosen Bewegung aus der Grube gesprungen. Er hockte sich neben mich und strich einiger meiner Haarsträhnen beiseite, um in mein Gesicht zu blicken. Ich konnte mich jetzt nicht mit ihm befassen, ich war noch damit beschäftigt, den Schmerz in meinem Arm wegzuatmen. Die bloße Bewegung meines Körpers bei jedem Atemzug reichte schon aus, um immer neue Blitzschläge durch meinen Körper zu jagen. Ich würde in diesem Zustand allein nirgendwo hin kommen. Travis hockte immer noch neben mir und beobachtete mich, ich konnte es aus dem Augenwinkel sehen. Irgendwann räusperte er sich. "Hey, ich weiß, dass du mir nicht über den Weg traust und du hast auch allen Grund dazu." Bei diesen Worten wurde ich aus meiner Trance gerissen und drehte ganz langsam den Kopf in seine Richtung. Sein dunkler, unergründlicher Blick lag ruhig auf mich gerichtet. "Aber alleine schaffst du es hier niemals weg. Ich habe meinen Truck hier in der Nähe, ich kann dich ins Krankenhaus fahren." Ich blickte ihn eine Weile verständnislos an. Mein Gehirn brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um den Sinn seiner Worte zu erfassen. Doch ich musste mir eingestehen, dass er recht hatte. Ich würde alleine sicher mehrere Tage brauchen, auf allen Vieren kriechend, und wahrscheinlich auf halbem Weg erfrieren oder verhungern. Ich brachte keinen Ton heraus, es war mir sehr zuwider, ihm so hilflos ausgeliefert zu sein, vor allem nach den gestrigen Ereignissen. Ich sah ihn an und nickte stumm, es gab sowieso nichts zu sagen. Er stand so abrupt auf, dass ich vor Schreck zusammenzuckte, doch er band sich nur den Schal vom Hals und beugte sich dann wieder zu mir herunter. "Versuch, den Arm zu beugen, wir improvisieren erstmal eine Schlinge." Unter großer Anstrengung und mit mehreren Pausen schafften wir es gemeinsam, meinen nutzlosen, schmerzenden Arm einigermaßen ruhig zu fixieren. Er richtete sich wieder auf und streckte mir die Hand entgegen. "Kannst du gehen?" Ich ergriff etwas widerwillig seine Hand und versuchte aufzustehen, ich wollte auf gar keinen Fall, dass der Typ mich auch noch tragen musste! So viel Nähe musste nun wirklich nicht sein. Ich zog mich an seinem Arm hoch und schwankte so heftig, dass ich sicher rückwärts wieder in die Grube gestürzt wäre, wenn er mich nicht abgefangen hätte. Er umfasste meine Taille und wollte mich auf seinen Arm heben, ich machte einen kläglichen Abwehrversuch, gab es aber sofort auf, weil mein Arm erneut so heftig schmerzte, dass mir schwarz vor Augen wurde.

Ich erwachte erst wieder, als Travis mich vorsichtig auf die Rückbank seinen Trucks hievte. Doch so richtig bei mir war ich nicht, ich nahm alles wie durch dichten Nebel wahr. Ich hörte, wie die Türen geschlossen wurden und der Hund hinten in den Kofferraum sprang. Dann fiel ich wieder in wunderbare, schmerzfreie Bewusstlosigkeit.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 06, 2014 ⏰

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Maneater - The Beast insideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt