Kapitel 1 - Willkommen in Carezza
Schnee, überall Schnee. Also wenn ich es genau betrachtete hatten Kanada oder die Antarktis wohl einzig das Potenzial, diese Massen an Schnee zu überbieten. Mein Blick schweifte von rechts nach links, ich betrachtete die kleineren und größeren Haufen an Schnee und die Menschen, die ungeachtet dessen, ihren Alltag bestritten. Wie machten sie das? War meine einzige Frage, aber bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, hörte ich meine Mutter aus der Eingangstür herauskommen.
„Kind, komm rein, das Anstarren wird es nicht besser machen." Sie wusste wie sehr ich es hier hasste. Sie wusste es, bevor sie mir von dem Auswanderungsplan erzählt hatte.
Ich stand noch einen Moment vor unserem neuen Haus, die Lippen und Augen zu Schlitzen zusammengekniffen. Ich konnte mich vor meinem neuen Lebensumstand eh nicht mehr retten. Langsam drehte ich mich in Richtung der Eingangstür und lief in das Haus. Es war aus Holz und wirkte, als wäre es aus mehreren Baumstämmen zusammen gestapelt worden. Es hatte irgendwie einen Alm-Charme und wirkte für einen Urlaubstripp sicherlich einladend. Die Außenwand war in einem tiefen Tannengrün gehalten, über dem Eingang wurde in weißer Schrift geschrieben „Bentornato a casa!". Keine Ahnung was das hieß, ich hatte damals Russisch in der Schule als Zweitsprache gewählt, war wohl die falsche Entscheidung.
Innen war ebenfalls alles aus Holz, diesmal aber hell, wahrscheinlich Eiche. Eine Wärme umfing mich und ich schloss die Tür hinter mir langsam. Die gesamte Inneneinrichtung schrie noch nach meinem Onkel und meiner Tante. Augenblicklich bildete sich ein Kloß in meinem Hals, als ich in den Flur trat. Einige Familienfotos hingen an der hölzernen Wand und ich blickte meinem 10 Jahre jüngerem Ich entgegen. Damals war noch alles in Ordnung, damals war noch niemand mit einem Auto über eine Klippe gestürzt. Gefangen von den Erinnerungen als Kind, starrte ich auf das Bild. Meine Eltern hielten mich hoch, meine Tante und mein Onkel grinsten von einem Ohr zum anderen. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wo und wann das Bild aufgenommen worden war, aber es musste wohl Sommer gewesen sein. Wir alle trugen entsprechend luftige Kleidung, im Hintergrund war ein Grill zu erkennen.
Ich schluckte den Klos hinunter und wandte mich ab. Etwas unbeholfen kletterte ich aus meinen Moonboots und tapste durch den Flur der geradewegs in das Wohnzimmer und die offene Küche führte. Alles war aus hellem Holz gemacht. Das Wohnzimmer war eine Mischung aus weißen Möbeln, Vorhängen und Lampen. Einzig der Kamin war von grauen Steinen umhüllt und der Couchtisch war dunkel braun. Die Küche hingegen war wiederum aus grünem Holz. Meine Tante hatte grün geliebt, es war ihre Farbe des Lebens.
Mein Vater kam durch die Tür zum Garten hinein, ein wenig Schnee lag auf seinen Schultern und er lächelte mir aufmunternd entgegen. Genauso wie ich, litt er unter diesem Umzug, wenn nicht noch mehr und vor allem aus anderem Grund.
Vor zwei Monaten teilte uns die Polizei mit, dass meine kinderlosen Verwandten eine Klippe mit dem Auto hinuntergestürzt sind. Es hieß, eine Windböe hätte sie erwischt und sie seien wohl ins Schleudern gekommen. Was sich für mich zunächst wie ein schlechter Film anhörte, war hier in den Bergen Italiens wohl fast schon normal.
Aufgrund dessen sind wir aber nun einmal jetzt hier. Schon einen Monat nach dieser Mitteilung, entschied sich mein Vater mit der gesamten Familie von Stuttgart in die italienischen Alpen zu ziehen. Es ging darum nicht nur das Haus seiner Schwester zu retten, sondern auch ihr Restaurant und dessen Angestellte. Auch wenn das Ski-Gebiet klein war, kamen saisonal anscheinend genug Besucher, um davon zu leben. Mein Onkel und meine Tante hatten ein Wirtshaus vor ein paar Jahren eröffnet und hatten bis heute einen guten Ruf. Nur ohne Besitzer und Verwaltung war das alles schwierig. Somit kamen wir ins Spiel. Mein Vater war sich sicher, es würde machbar sein. Ich hatte noch meine Zweifel.
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Lass mich nicht los.
RomanceElly zieht nur widerwillig mit ihren Eltern nach Italien. Eigentlich will sie dort gar nicht hin, aber nach einer Familientragödie, hat sie eigentlich keine andere Wahl. Im kleinen verschneiten Carezza gibt es eigentlich nichts außer Schnee, Motels...