15. Kein Geld

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Gähnend schiebe ich mich durch die Bierflaschen und Zigarettenstummel, die den Boden der Wohnung bedecken wie vor dem Fenster der erste Schnee des Jahres. Es stinkt und ist, dank dem offenem Fenster - kälter als in einem Gefrierschrank.

Zitternd ziehe ich die Jacke noch fester zu und greife in den Kühlschrank, um mir einem Yoghurt zu holen. Aber außer einer Flasche Wein und angeschimmeltem Käse in der Ecke ist nichts da.

Schnaubend knalle ich die Tür wieder zu und mein Magen rebelliert so laut, dass ich für einen Moment überlege, ob der Käse nicht doch noch essbar ist.

„Wenn du essen willst, dann geh einkaufen", schnaubt David, der hinter mir in Unterhose den Gefrierschrank aka Wohnzimmer betritt.

„Ich hab aber kein Geld", murmle ich und denke daran, dass die Nachmittgasschicht im Supermarkt übernehmen muss.

Langsam bewundere ich auch Henry, wie er es nur mit so einem Leben ausgehalten hat. Er kann doch nicht glücklich gewesen sein. Wohl eher nicht, sonst wäre er ja nicht gesprungen.

„Mir schuldest du auch was dafür, dass du hier wohnst", grunzt David und stopft sich die Reste einer Pizza in den Mund, die in einer Suppe aus Bier schwimmt. Angeekelt verziehe ich das Gesicht.

„Was gaffst du so?", blafft er mich an, „Kümmer' dich erstmal um deinen eigenen Dreck. Wenn du kein Geld anschaffst, fliegst du raus."

Ich schlucke. Die paar Euro vom Supermarkt muss ich definitiv für Essen ausgeben. Was übrig bleibt ist ein leerer Geldbeutel.

„Ich hätte 'nen Job für dich", bietet in dem Moment Angel an, die nur in einem Pullover von David das Schlachtfeld aus Bierflaschen betritt. Ihre nackten Füße klatschen in eine fast gefrorene Pfütze Bier.

„Der arbeitet eh nicht, der ist einfach nur faul", knurrt David und kleine Pizzakrümmel fliegen aus seinem Mund und wie lästige Insekten beim Fahrradfahren gegen mein Gesicht. „Das stimmt so nicht", verteidige ich mich, „Ich möchte nur in der Schule anwesend sein, um später nicht in so 'nem Drecksloch zu wohnen."

„Dann zieh doch aus", zischt David und Angel betrachtet schweigend ihren goldenen Ring, als wären wir gar nicht existent. „Du Glückliche", blaffe ich sie an, weil mir einfach danach ist, „Darfst dein Leben mir diesem tollen Mann verbringen." Meine Stimme trieft vor Sarkasmus und die Augen von David blitzen bereits kampfbereit, als es an der Tür klingelt.

Erleichtert lasse ich die beiden stehen. Was denk ich mir auch dabei, mich mit dem dummen Baumstumpf David anzulegen. Er wird mich schon nicht rausschmeißen. Er kifft ein bisschen und dann vergisst er das.

„Hey, Johannes", lächelnd trete ich zu Jace hinaus in den Flur. Hier ist es wärmer als drinnen und der leichte Gestank nach Urin ist angenehmer als der penetrante Geruch nach Bier und Zigarettenrauch.

„Hey."

„Das mit gestern", er stockt und ich erinnere mich vage an den Kuss. Allein die verschwommene Erinnerung bringt mein Herz zum höher springen als jeder Wolkenkratzer hoch ist. „tut mir leid", vollendet Jace seinen Satz und mein Herz bleibt auf der Höhe des Hochhauses stehen und stürzt schreiend zu Boden.

„Ich hätte dich nicht küssen sollen", murmelt er und schüttelt den Kopf, während er mir eine Karte in die Hand drückt. „Das war absolut falsch von mir und ich hoffe, dass das nicht unsere Freundschaft ruiniert", er kratzt sich verlegen am Hinterkopf, „Und als Wiedergutmachung hab ich Konzertkarten für Imagine Dragons am Mittwoch. Hab ich extra heute morgen gekauft, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte."

Er lacht nervös, während ich überrascht auf die Karte starre. „Wow, danke", stammle ich vollkommen überwältigt, „Ich war noch nie auf einem Konzert."

Ist es falsch, darüber nachzudenken, wie viel Geld ich beim Verkauf dieser Karte bekommen würde?

Ich seufze und Jace interpretiert es falsch. „Ich weiß, das macht das mit gestern Abend auch nicht wieder okay. Ich weiß nicht, was da mit mir los war. Ich weiß doch, dass du hetero bist und ich bin es auch."

Will der mich verarschen?

22.04.2019

SonnenstrahlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt