1. Hunger (Anja)

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Zitternd renne ich durch das finstere Gemäuer. Meine nackten Füße hinterlassen kaum Geräusche auf dem kalten, feuchten Steinboden. Ich bin in einem unterirdischen Labyrinth gefangen, aus dem es kein Entkommen gibt. Nur ein dünnes, weißes Nachthemd bedeckt meine Blöße. Blutflecken sind darauf zu sehen. Sie werden immer größer. Panik und Schmerz schießen durch meinen Körper. Ich weiß, dass ich hier sterben werde, wenn ich nicht schnell den Ausgang finde.

Schwere Schritte kündigen meine Verfolger an. Verrückte Männer in schwarzen Roben und scharfen Messern, die Dämonen beschwören wollen. Dafür brauchen sie mich. Mein Tod ist ihr Schlüssel zur Macht. Verdammte Scheiße! Wie bin ich nur hinein geraten?! Verzweifelt suche ich nach einem Versteck. Doch in dem von Fackeln beleuchteten Gang gibt es keine Nische, die mich verbergen könnte. Bitte! Kann mir denn niemand helfen?!

„Da ist sie!", ertönt es in diesem Moment hinter mir. Erschrocken drehe ich im Laufen den Kopf und rutsche prompt auf dem feuchten Boden aus. Der Aufprall ist hart. Mein ganzer Körper schmerzt, trotzdem rapple ich mich auf. Die Kuttenträger zücken ihre Dolche und stürmen auf mich zu. Auf allen Vieren krieche ich weiter, auch wenn es aussichtslos ist. Plötzlich huscht ein schwarzer Schatten an mir vorbei. Grausige Schreie erklingen. Verängstigt rolle ich mich zu einer Kugel zusammen und halte mir die Ohren zu. Die Luft ist erfüllt von Schreien und dem schweren Geruch von Blut. Dann ist es auf einmal still, totenstill. Wimmernd liege ich auf dem kalten Stein und wage kaum zu atmen. Gleich wird er kommen und mich umbringen, denke ich. Als mich kräftige Hände packen, keuche ich erschrocken. Der schwarze Schatten entpuppt sich als riesiger Mann mit roten Augen und spitzen Fängen. „Bitte verschone mich!", flehe ich.

„Ich bin nicht hier, um dich zu töten", antwortet er. Dann küsst er mich. Überrascht lasse ich es geschehen. Es fühlt sich seltsam gut an. Als der Kuss endet, ist sein Mund blutverschmiert. „Ich kann dich retten, doch dafür musst du sterben", offenbart er mir. Verwirrung macht sich in mir breit. „Warum?"

„Du verblutest. Ich kann dich wandeln, doch dann trägst du dieselbe Bürde wie ich. Die Welt der Menschen ist verloren für dich, aber du kannst dich für ein neues Leben entscheiden."

„Ich will nicht sterben!"

„Du bist so gut wie tot. Denn du verblutest gerade."

Ungläubig sehe ich an mir herab. Mein Nachthemd ist nicht mehr weiß, sondern rot und durchnässt. Nun trifft der Schmerz mich mit voller Wucht. „Oh Gott! Hilf mir!", bettle ich.

„Wie du wünschst." Der Fremde drückt mir sein blutiges Handgelenk auf den Mund. Aus Reflex schlucke ich die Flüssigkeit. Der widerliche Geschmack von Eisen lässt mich würgen, doch ich kann nicht aufhören zu trinken. Ich klammere mich an den Fremden und sterbe.


„Nein!" Mit einem Schrei fahre ich hoch und stoße mir den Kopf. Als ich die Hand heben will, um mir die schmerzende Stirn zu halten, treffe ich auf Widerstand. Panisch stelle ich fest, dass ich in einem winzigen Gefängnis eingesperrt bin. Es riecht nach Tod und Desinfektionsmittel. Oh Gott! Haben sie mich etwa lebendig begraben?

„Ich glaube, wir sollten sie heraus holen, sonst demoliert sie die Einrichtung", höre ich jemanden sagen. „Du hast recht", antwortet eine andere Stimme.

„Hallo? Ist da jemand? Ich will hier raus!", rufe ich und klopfe an mein Gefängnis. Schritte nähern sich. Offenbar ist tatsächlich jemand da. Es quietscht, dann wird etwas herunter geklappt und plötzlich bewegt sich der Boden auf dem ich liege. Erst jetzt realisiere ich, dass ich mit einem nach Krankenhaus riechenden Tuch bedeckt wurde.

„Nicht erschrecken. Gleich wird es hell und tu bitte nichts Unüberlegtes", erklärt mir eine tiefe Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Das Tuch wird entfernt und geblendet reiße ich meinen Arm hoch. Ein lautes Fauchen ertönt. Erschrocken stelle ich fest, dass es von mir kam. Ich halte mir die Hand vor den Mund und bekomme den nächsten Schock. Da sind plötzlich sehr spitze Zähne, wo früher meine Eckzähne waren.

Vampirherz - Eine Schattenseiten-NovelleWhere stories live. Discover now