1. Kapitel

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Ich will euch mal ein Stück aus meinem Leben erzählen. Der Teil, der mein Leben für immer verändert hat. Es fing nicht ungewöhnlich an. Ich war mit meinen Schwestern zu Hause und kochte, als es plötzlich hieß "Die Spanier kommen! ".

Sie kamen? Zu uns?! Jeder im Dorf hatte schon von ihnen gehört. Sie verwüsteten die Dörfer und verschleppten die Menschen.

Jeder suchte seine Schwestern, Brüder oder Kinder und floh mit ihnen, um sich im Busch zu verstecken.

Wir waren nicht schnell genug. Männer in feinen Kleidern kamen, sie packten meine kleinen Schwestern am Arm und zerrten sie weg. Meine Mutter schrie, aber sie merkte, dass sie keine Chance hatte. Sie weinte, und lief davon. Die Männer fluchten in einer fremden Sprache, einer rannte ihr hinterher.

Auch wir wehrten uns, aber sie waren stärker. Ein Mann drehte meiner kleinsten Schwester Aama die Arme auf den Rücken. Sie schrie, und er schlug sie. "Halt still, dann wird alles gut!"  rufe ich ihr zu, aber das ist nicht wirklich beruhigend, den auch ich weine. Der Mann, der mich festhält, brummt, und sein Griff um meinen Arm wird noch fester. 

Sie brachten uns auf ein riesiges Schiff, das in der Bucht lag. Ich hatte noch nie ein so großes Schiff gesehen. Es knarzte, als wir mit anderen aus unserem Dorf über die Rampe gescheucht wurden. Ein junger Mann sprang hinunter ins Wasser. Die Spanier brüllten, einer schoss dem jungen Mann in den Rücken. Er stand nicht wieder auf.

Doana klammerte sich panisch an mich. Das war alles zu viel für sie. Sie war doch nur ein kleines Kind! Ich drückte sie an mich. Wir wurden mit vielen anderen Afrikanern in einen dunklen Frachtraum gesperrt.

Wasser gab es nur alle paar Tage, und nie genug für alle, Essen fast nie. Und wenn, dann nur Reste. Viele starben schon in den ersten Tagen, an Hunger, Durst oder Krankheiten. Wenn du tot bist, macht es keinen Unterschied mehr, warum du jetzt tot bist.

Und es war schmutzig. Wir konnten uns nicht waschen, und eine Latrine oder so etwas gab es auch nicht. Es stank, es war dunkel und stickig. Ans Licht kamen wir während der ganzen Fahrt nicht. Nur ab und zu holten sie die jungen Männer hoch, wenn sie Arbeit hatten, die keiner der Matrosen machen wollte. Sie redeten laut und hart. 

Irgendwann gab es eine große Aufregung. Sie holten viele von uns hoch, hauptsächlich Frauen, und hauptsächlich die, die noch zu jung zum Arbeiten waren.

Meine Schwestern gehörten dazu.

Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Sie kamen nie zurück. Ich glaube, das Schiff wäre fast gesunken. Es musste leichter werden. Meine Schwestern konnten nicht schwimmen.

Wir haben gelernt, uns nicht mehr zu wehren. Nichts mehr zu fühlen. Sonst könnten wir nicht mehr leben.

Als das Schiff ankam, wurden wir als Strom aus halb verhungerten Menschen an Land getrieben. Einige Männer kamen, und nahmen jeder eine lange Reihe von Sklaven mit. Einige versuchten zu fliehen. Keiner von ihnen überlebte es. Ich wurde zusammen mit vielen anderen auf eine Bananenplantage gebracht. Dort mussten wir arbeiten, Tag für Tag. Die Arbeit war hart, der Lohn dafür nur sehr gering. Viele verletzten sich an den Macheten, mehrere starben. Dann wurden neue Sklaven gebracht. Sie waren austauschbar.

Wir wurden gehalten wie die Tiere, aber langsam erwachte mein Kampfgeist wieder. Ich hatte alles verloren, Familie, Freunde, Zuhause... warum sollte ich ihnen auch noch mein Leben geben? Ich wurde wütend, und arbeitete nicht mehr. Ein Mann kam und brachte mich weg. Auf einen Markt. Hier standen tausende Afrikanern, mit zusammengebundenen Händen, und warteten auf einen Käufer. Sie wirkten niedergeschlagen und kraftlos. Leute kamen, prüften die Beine und Zähne der Sklaven. Manche warfen einen Stock weg, den der Sklave zurückholen muss.

Ein älterer Mann blieb vor mir stehen. "Willst du nicht frei sein?" fragte er mich und lächelte. Er sprach meine Sprache? "Sehr gerne, mein Herr", antwortete ich leise. Er ging zu dem Mann, für den ich arbeiten musste, und redete mit ihm. Diesmal in einer harten Sprache, die Sprache der Unterdrücker. Er gab dem Mann Geld, und kam zu mir zurück. Er band meine Hände los, und befahl mir, ihm zu folgen. "Hier sieht man es nicht gerne, wenn jemand Sklaven freikauft", erklärte er wieder in meiner Sprache. "Warum sprechen Sie meine Sprache?", fragte ich ihn, während wir ein Stück weg gingen. "Ich war einmal verletzt, und Afrikanern retteten mir mein Leben. Deshalb kaufe ich jetzt afrikanische Sklaven frei" sagte er. Er ließ mich gehen. Ich bedankte mich, und verschwand zwischen den Hütten der Spanier. Endlich wieder frei!

Tagebuch einer SklavinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt