2. Kapitel

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Ich fror. Es war dunkel. Ich hatte Hunger und Angst. Vom Meer kam eine stetige kühle und salzige Brise, die mich zittern ließ, so dass ich mich enger an die Hauswand drückte, um Schutz vor dem Wind zu suchen. Ich wusste nicht, wo ich war, wie ich zurück nach Hause kommen sollte und ob es unser Dorf überhaupt noch gab. Ich schluchzte leise und verzweifelt, als mir die Aussichtslosigkeit meiner Lage klar wurde. Aber ich würde nicht aufgeben!  Ich erhob mich, steif vom langen Sitzen in der Kälte, und machte mich auf den Weg zurück zum Meer, denn von dort war ich gekommen.  

Unterwegs sah ich Menschen in feinen Gewändern wie die der Männer, die uns  gefangen hatten. Ich ging ihnen aus dem Weg und versteckte mich in stinkenden  Hinterhöfen. Doch mit der Zeit merkte ich, dass sie ihre Sinne kaum beisammen hatten. Sie schwankten beim Gehen, lachten rau und redeten laut in der fremden harten Sprache. Ich traute mich heraus und wollte mich rasch an ihnen vorbeidrücken, doch sie bemerkten mich und hielten mich fest. Sie redeten aufgeregt und schubsten mich vom einen zum anderen. Sie begannen mich zu schlagen. Ich wagte nicht, mich zu wehren. Nach einiger Zeit ließen sie von mir ab. Ich blieb liegen. Mein Rücken schmerzte und ich hatte mir den Fuß an einer Scherbe der Flasche aufgeschnitten, die die Männer nach mir geworfen hatten. Mir fehlte ein Zahn und es blutete stark. Doch ich hatte Glück. Hätte ich mich gewehrt, hätten sie mich sicher umgebracht.

Humpelnd und leise stöhnend schleppte ich mich weiter. Doch sehr weit kam ich nicht. Ich fand den Hafen, wo unser Schiff  angelegt hatte, doch ich sah keinen Weg über das Wasser. Verzweifelt ließ ich mich wieder zu Boden sinken und kroch für diese Nacht unter ein kleineres Boot, das umgedreht da lag. Trotz der feuchten Kälte schlief ich bald erschöpft ein.

Am nächsten Morgen war ich krank. Mein Kopf schmerzte hämmernd, sobald ich mich bewegte, und in den  Wunden spürte ich nur ein schwaches Pochen. Ich hatte furchtbaren Durst, und so schleppte ich mich zum Wasser, um zu trinken. Doch es war Salzwasser. Ich taumelte suchend ein Stück weiter, doch ich fand kein Wasser. Das Salz brannte in meinen Wunden. Als ich spürte, wie mir schwarz vor Augen wurde, kroch ich zurück zu dem Boot und versuchte zu schlafen.

Als ich wieder wach wurde, konnte ich nicht mehr aufstehen. 
Auch an den folgenden Tagen ging es mir nicht besser. Irgendwann hörte ich auf, sie zu zählen. Hörte auf zu denken. Spürte nur noch die stechenden Schmerzen und den bohrenden Durst. Ich gab mich mehr und mehr auf. Ich wagte nicht mehr, zu hoffen. Ich träumte im Fieber, dass das Boot über mir zu faulen begann und auf mich fiel, mich unter sich begrub. Die Fäulnis griff auf mich über und nagte an meiner Haut, wo das modernde Holz mich berührte.

Doch dann gab es den Tag, an dem sich alles zum Besseren wendete. Ich hörte verirrte Stimmen. Unsicher, ob sie zu echten Menschen gehörten oder nur in meinem Kopf existierten. Doch sie kamen näher. Sprachen die harte Sprache, die ich nicht verstand. Ich öffnete mühsam die Augen und stieß einen Laut aus. Ich weiß nicht, was ich erwartete. Eigentlich hatte ich gelernt, dass die Spanier meinesgleichen selten freundlich gesinnt waren. Doch diese zwei schlugen mich nicht und schrien mich nicht an. Die Frau wollte sich hinknien und meine Wunden begutachten, doch der Mann zog sie weg und redete besorgt auf sie ein. Sie schenkte ihm einen liebevollen Blick und legte eine Hand schützend auf ihren Bauch.
Jetzt kam der Mann zu mir und sprach mich auf spanisch an. Ich sah ihn nur verzweifelt an. Er wandte sich mit zögerlichem Ton wieder an seine Frau,  doch sie wirkte entschlossen und schien ihn mit einigen Sätzen auf ihrer Sprache auch zu überzeugen. Er nickte und hob mich hoch.

Ich weiß nicht, was sie mit mir machten. Ich musste in den Armen des Mannes wieder eingeschlafen sein. Irgendwann erwachte ich wieder von dem beißenden Schmerz, als die Frau mir mit einem Tuch und warmem Wasser die Wunden auswusch. Ich bekam etwas zu essen und zu trinken und einen kleinen Winkel in ihrer Hütte zugewiesen, wo ich liegen und mich erholen konnte. Ich dankte ihnen immer wieder auf meiner Sprache. "Gracias" sagte die Frau deutlich und lächelte. "Gracias?" wiederholte uch zögerlich. Sie nickte und klopfte mir lachend auf die Schulter.

Als es mir dank der Hilfe der Frau zusehends besser ging, zeigte sie mir, wie ich ihr in der Küche zur Hand gehen konnte. Ich verstand kaum ein Wort ihrer Sprache, doch mit Zeichensprache und viel Wiederholung lernten wir langsam, uns zu verständigen.
Ich half, wo ich konnte, und versuchte, dem Paar als Dienerin zu vergelten, was sie für mich getan hatten. Ich hatte begriffen, dass Afrikaner hier nicht als freie Menschen leben konnten. So war ich froh, Menschen gefunden zu haben, bei denen ich bleiben und denen ich dienen konnte. Sie behandelten mich gut und ich fühlte mich sicher bei ihnen. Sie lehrten mich mehr und mehr ihre Sprache, und nach einiger Zeit konnte ich mich schon halbwegs mit ihren Worten zurechtfinden.

Tagebuch einer SklavinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt