Teil 1

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Die Fahrt ins Tal war immer schon ein holpriger Weg, doch bei Regen erwies sich die Abfahrt als Abenteuer. Obwohl ihr Vater im letzten Herbst in einen gepolsterten und zu ihrem Glück überdachten Wagen investiert hatte, wurde sie im Inneren gründlich durchgeschüttelt. Immer wieder rutschten die Pfernde auf dem nassen Boden aus und die Kutsche wurde mal langsamer, mal in einem Ruck nach vorne befördert. Amalia gab ihr Bestes, um sich nicht ständig den Rücken an der Lehne zu stoßen und klammerte sich mit beiden Armen um ihre Mappe. Darin befanden sich ihre Bewerbungsunterlagen und einige ausgearbeitete Unterrichtsstunden, die sie vorsorglich vorbereitet hatte. Eigentlich wusste sie genau, dass ihr die Stelle als Dorflehrerin sicher war, doch sie wollte den Platz nicht nur aufgrund des guten Rufs ihrer Familie bekommen, sondern ihn sich selbst verdienen. Diese Einstellung wurde zwar von den Damen der Gesellschaft, einschließlich ihrer Mutter, nicht gern gesehen, doch Amalia hatte ihren eigenen Willen. Und diesem war es verschuldet, dass sie trotz der Bedenken ihrer Eltern, die ihr nach langem Zögern doch die Erlaubnis zu ihrem Vorhaben gaben, auf dem Weg zum Pastor war, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen.

Schon ab der nächsten Woche würde sie täglich den Kindern des Ortes die Grundlagen der Mathematik und der Rechtschreibung beibringen und sie hoffte, ihnen so viel ihres Wissens wie möglich zu vermitteln. Zuvor musste sie allerdings noch einige Einzelheiten mit dem für die Schule zuständigen Pastor besprechen.

Das kalte Wasser spritze ihr bis zu den Knöcheln, als sie aus der Kutsche sprang und hastig auf das Schulgebäude zulief, um nicht nass zu werden. Ihre Haare klebten schon an ihrer Stirn und der umgehängte Mantel triefte vor Nässe bis sie Zuflucht am überdachten Eingang fand. Dort stieß sie fast mit einem Herren in ihrem Alter zusammen, der gerade aus der Tür trat. Sie wich seinem breiten Körper geschickt aus, doch um an ihm vorbei zu kommen, musste sie sich zur Seite drehen und ihr Blick traf auf seinen.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie so leuchtende blaue Augen gesehen, noch nie kam ihr ein Blick so durchdringend vor, wie der, den sie von ihm empfing. Sein Ausdruck war ernst und doch auf eine eigenartige Weise warm. Der Mann schritt mit aufgestelltem Kragen hinaus in den strömenden Regen und ließ sie zurück an der Pforte, während sie seiner Gestalt nachsah, bis diese nur noch ein Schatten zwischen den Regentropfen war.

Amalia kannte jede Familie im Dorf, an dessen Rand sie aufgewachsen war, und an diese Augen hätte sie sich erinnert. So grübelte sie darüber, wer der Unbekannte dieser kurzen Begegnung war, als sie über die Schwelle ins Trockene trat.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 27, 2019 ⏰

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