Durchhalten

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Ich sitze am Steuer des Wagens. Eines der Monster hat sich auf den Beifahrersitz gesetzt, das andere hat es sich auf der Rückbank bequem gemacht. Die beiden Kreaturen unterhalten sich, das bekomme ich mit, aber ich verstehe nicht, was sie sagen. Ich bin zu fixiert darauf, so zu tun, als würde ich ihre lauernden Blicke nicht bemerken. Ich tue so, als könnte ich mich auf die Straße vor mir konzentrieren, als könnte ich Kupplung, Gangschaltung und Lenkrad noch halbwegs richtig einsetzen.

Ich weiß genau, wenn ich einen Fehler mache, dann bin ich dran. Ich muss so tun, als wären sie nicht da, sonst werden sie mich in der Luft zerreißen.

Sie sind gar nicht da, bleib ruhig, fahr einfach weiter, versuche ich mir Mut zu machen, aber verdammt – ich sehe das Monster neben mir im Augenwinkel, oder wann immer ich in den Seitenspiegel schauen muss. Das hinter mir ist sogar noch schlimmer. Ich sehe es kurz, wenn ich in den Rückspiegel schaue, ansonsten höre ich es nur reden, merke genau, dass es jede Hand-, Kopf- und Fußbewegung von mir genau beobachtet. Es wartet nur darauf, dass ich nicht mehr kann. Dass ich durchdrehe, das Auto in den Gegenverkehr reiße, oder einen unschuldigen Passanten umfahre.

Es weiß, dass ich Angst – nein, Panik – habe, ich mache nicht einmal mehr einen Hehl daraus.
Meine Atmung ist schnappend, ich zittere am ganzen Körper, habe Schwierigkeiten, die Geschehnisse außerhalb der Frontscheibe noch richtig zu verarbeiten. Zwar versucht mein Verstand permanent, mich mit dem Lesen von Straßenschildern und der Geschwindigkeit, mit der ich diesen 1,4 Tonner unter meinem Arsch bewege, abzulenken; aber das sind nur klägliche Versuche, mich diesem Horrorszenario irgendwie zu entziehen.

Meine Finger beginnen zu kribbeln, als ich auch noch die Geschwindigkeit tilgen und in den zweiten Gang runterschalten muss. Ich würde am liebsten mit der vollen Leistungskraft dieses VW Golf durch die Gegend brettern, aber das würde nur Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich darf mir keinen Fehler erlauben – zumindest keinen verheerenden. Dann bin ich dran. Dann machen sie mich fertig.

Nachdem ich die Dreißigerzone endlich hinter mir habe, spricht das Monster auf der Rückbank mit mir. Ich glaube, es will, dass ich rechts abbiege. Ich tue es. Ich biege ab, so sauber ich kann, beschleunige wieder auf 50 und gehe in den dritten Gang. Um mich herum wird alles immer unwirklicher, mein Hals und meine Lippen sind trocken, meine Finger kribbeln stärker, werden kalt und meine Atmung gleicht nunmehr dem Hecheln eines Hundes. Ich bekomme gleich eine Panikattacke, kein Zweifel.

Mein Puls geht noch steiler, als ich realisiere, wohin das Monster mich lotst.
Komm schon, halte noch kurz durch, gleich darfst du anhalten. Halte durch, halte durch, halte durch..., bildet sich ein Mantra in meinem Kopf. Die Luft will meine Lunge nur noch stockend füllen und ich bekomme einen kalten Schweißausbruch. Nein. Nicht jetzt. Nicht so kurz vor dem Ziel, ich habe es doch fast geschafft.

Ich versuche dagegen zu steuern und atme einmal tief in den Bauch ein, entlasse die Luft langsam durch meine Nase. Das Monster zu meiner rechten brummt irgendetwas, aber ich höre nicht zu.
Ich sehe nur noch den Parkplatz der Bäckerei vor mir.

Da soll ich hin. Ich muss es nur noch bis dahin schaffen, dann bin ich diese fleischgewordenen Albträume endlich los; ob für immer, oder nur temporär, das weiß ich noch nicht. Aber es ist mir auch egal. Ich will nur noch den Motor abstellen und endlich weinen dürfen. Vor Erleichterung, weil diese Qual endlich von mir abfällt. So war es schon immer - wenn ich diesen Punkt erreicht habe, ist alles, was ich gerade fühle, weg. Mit einem Schlag. Gläubig bin ich nicht, aber bitte, lieber Gott, wenn es dich gibt, dann lass es mich heil auf diesen Parkplatz schaffen. Ich will nicht wieder das schrille Kreischen des Monsters neben mir hören, nicht noch einmal so kurz vorm Ziel. Am liebsten will ich es nie wieder hören, aber das steht noch in den Sternen. Darum kann ich mir Gedanken machen, wenn das hier vorbei ist.

Ich schaffe es. Den Wagen parke ich zwischen zwei anderen Autos, nehme den Gang heraus, ziehe die Handbremse an und lasse endlich meine Füße von den Pedalen und meine Hände vom Lenkrad sinken.

Kaum habe ich den Motor abgeschaltet und mich in den Fahrersitz sinken lassen, sind die Monster verschwunden. Ich drehe den Kopf, mein Blick streift kurz den meines Fahrlehrers. Dass er in meinem den Nachhall der Panik sieht, ist mir bewusst, aber seinen kann ich nicht deuten.

Als meine Augen auf die des Prüfers treffen, steht die Zeit kurz still. Zwar musste mein Fahrlehrer diesmal nicht eingreifen, weil ich vor lauter Angst und Tunnelblick etwas falsch gemacht habe, aber das musste er auch letztes Mal nicht; da waren es zu viele kleine Fehler. Haben die mir wieder das Genick gebrochen? Bekomme ich wieder zu hören, dass man mich mit diesen Fehlern, die ich durch meine schiere Prüfungsangst begehe, nicht alleine auf die Straße lassen kann? Muss ich in zwei Wochen wieder hier sitzen und erst wieder realisieren, dass diese zwei Leute keine Monster sind, sondern Menschen, wie ich? Die mir den Führerschein gerne geben wollen?
Wieder nicht bestanden, oder...

» Herzlichen Glückwunsch. Sie haben bestanden. «

D U R C H H A L T E NWhere stories live. Discover now