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Gleich nachdem ich meine Wohnung betreten habe, klingelt es an der Tür. Ich drücke auf den Türöffner, lasse die Wohnungstür offen und gehe in mein Zimmer hinein. Noch unterwegs habe ich Samira eine Nachricht geschickt, dass ich mit zum Sport komme. Ich muss jetzt einen freien Kopf bekommen! 

Ich höre, wie Samira die Stufen hinauf steigt und dann die Wohnung betritt.

"Bin gleich fertig. Muss mich nur noch umziehen.", rufe ich ihr über die Schulter zu, während ich mir mein Shirt über den Kopf ziehe.

"Kein Stress.", lacht sie und hebt die Tasche auf, die ich in der Eile mitten im Flur liegen lassen habe.

Sie schließt die Wohnungstür und kommt zu mir herüber. Sie setzt sich auf mein Sofa und beobachtet mich dabei, wie ich meinen normalen BH durch einen Sport-BH ersetze und dann aus meiner Jeans schlüpfe. Ich krame in meinem Schrank nach der zum BH passenden Sporthose, finde sie und ziehe sie an.

"Alles okay bei dir?", fragt sie, steht auf und kommt zu mir herüber. "Du wirkst so aufgewühlt."

"Ja. Nein. Keine Ahnung.", stammle ich und gehe ins Badezimmer, um dort festzustellen, dass meine Haarbürste ja noch in der Tasche ist.

Als ich mich wieder umdrehe, um sie zu holen, hält Samira sie mir schon entgegen. Sie kennt mich und meine Routinen zu gut. Ich greife dankbar danach und frisiere meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz. Ich ziehe den Haargummi von meinem Handgelenk und lege die Bürste ans Waschbecken.

"Also was ist denn jetzt los?", fragt sie noch einmal nach.

"Können wir bitte erst eine Runde laufen und dann darüber reden? Ich brauche ein wenig Zeit zum Nachdenken.", bitte ich sie.

Sie nickt und öffnet die Wohnungstür. Ich ziehe mir noch meine Sportschuhe an, stecke meinen Ersatzschlüssel in die Tasche an der Hose, da mein normaler Schlüsselbund viel zu groß ist, und schließe die Tür. 

"Mist. Mein Handy liegt noch drin.", fällt mir ein, doch dann winke ich ab.

Ich möchte schließlich einen klaren Kopf bekommen, da kann ich keine Ablenkung gebrauchen. Samira zieht besorgt eine Augenbraue nach oben, da sie weiß, dass ich nie das Haus ohne meinem Handy verlasse, sagt aber nichts.

Wir gehen zum Englischen Garten, ohne dabei ein Wort zu wechseln. Ich bin Samira dankbar, dass sie mir die Zeit gibt, um die ich sie gebeten habe. Auch, dass sie kein Gespräch über irgendetwas anderes erzwingen möchte, rechne ich ihr hoch an. Am Park angekommen machen wir ein paar Dehnübungen, ehe wir dann mit dem Laufen beginnen. Ich gehe am liebsten im Englischen Garten joggen, da er recht nah an meiner Wohnung liegt, und hier nie viele Leute an einem Platz sind. Außer am Eisbach natürlich, aber wir nehmen immer Routen, wo wir dort nicht vorbeikommen, um nicht den Touristen in die Arme zu laufen. 

Eine Stunde später sitzen wir ausgepowert auf einer Parkbank und ich wische mir den Schweiß von der Stirn.

"Du hast ja ganz schön Gas gegeben.", keucht meine Freundin.

Ich nicke nur. Mir ist immer noch nicht wirklich nach Reden, aber auf der anderen Seite möchte ich auch eine zweite Meinung zum Verhalten der Jungs haben. Auch, wenn ich ohnehin schon weiß, dass sie sagen wird, dass sie das erwartet hat und sie mir von Anfang an dazu geraten hatte, Sebastian alles vorher zu erzählen. 

"Du willst mir immer noch nicht sagen, was los ist?", fragt sie vorsichtig, als sie wieder zu Atem gekommen ist.

"Doch, eigentlich schon.", sage ich und hebe meinen Blick, um sie ansehen zu können. "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Die Jungs können sich überhaupt nicht leiden."

Wie erwartet lacht sie auf und wirft mir einen 'ich hab es dir doch gesagt'-Blick zu.

"Ja, ist ja gut. Ich weiß. Trotzdem hatte ich nicht mit so einer Reaktion gerechnet! Von dem ersten Zusammentreffen habe ich dir ja schon erzählt, aber heute morgen war es fast noch schlimmer.", berichte ich, während sie mir aufmerksam zuhört. "Wir waren Kaffeetrinken und Wincent musste Sebastian gleich mal beweisen, dass er - im Gegensatz zu ihm - natürlich wusste, welchen Kaffee ich trinke. Zum Glück machte Sebastian gute Miene und sagte nichts dazu. Wir saßen etwa eine Stunde in dem Café, die Jungs gaben sich beide Mühe, ein Gespräch entstehen zu lassen, aber ich habe gemerkt, dass sich beide mehr als unwohl fühlten. Sie sind einfach überhaupt nicht auf einer Wellenlänge! Wie kann das denn sein? Den einen liebe ich, der andere ist mein bester Freund. Wie können sich zwei Menschen, die mir beide so sehr am Herzen liegen, nicht leiden können?"

"Vielleicht würden sie sich ja sogar gut verstehen, wenn du nicht zwischen ihnen stündest.", mutmaßt Samira.

"Aber ich stehe doch nicht zwischen ihnen! Ganz im Gegenteil.", protestiere ich.

"Nein, Kathi. Du stehst zwischen ihnen! Beide fühlen sich vom Anderen bedroht. Wincent denkt, jetzt, wo du Sebastian hast, lässt du ihn links liegen. Und Sebastian merkt, dass er gegen die Verbindung zwischen Wincent und dir nicht ankommt. Jedenfalls noch nicht. Er sieht doch, wie vertraut ihr miteinander seid."

Ich denke darüber nach und es ergibt sogar Sinn. Irgendwie. Aber irgendwie auch nicht, denn keiner von beiden braucht sich Sorgen zu machen.

"Mag sein. Aber weißt du, was das Allerschlimmste war?"

Sie schüttelt den Kopf und sieht mich gespannt an.

"Wir hatten uns schon verabschiedet und waren schon am Gehen. Ich war schon froh, dass alles mehr oder weniger gut gelaufen war, da ließ Wincent die Bombe platzen!"

Ich merke, wie die Wut wieder in mir hochkocht.

"WAS?", schreit Samira so laut, dass ein vorbeigehender alter Mann sich nach uns umdreht. 

"Wie hat Sebastian es aufgenommen? Hat er ihn geschlagen?"

"Bitte? Nein, natürlich nicht! Wie kommst du darauf?", sage ich entsetzt.

"Das ist doch eine ziemlich normale Reaktion, wenn jemand unter die Nase gerieben bekommt, dass ein Anderer mit seiner Freundin gefickt hat!"

Wieder dreht sich der alte Mann, der mittlerweile ein paar Meter vorangekommen war, zu uns um. Ich weiche seinem Blick aus und sehe wieder meine Freundin an.

"Nein, darum ging es doch gar nicht! Es ging um den Urlaub.", berichtige ich ihre falsche Deutung.

"Ach so.", sagt sie ein wenig enttäuscht. 

"Das ist doch schlimm genug! Wie kann er das einfach so herausposaunen?", schimpfe ich weiter.

"Was hat er denn genau gesagt?", fragt sie nach.

"Na ja, irgendwas davon, dass unsere Mütter die Tage mal telefonieren sollen, um alles genau durchzugehen. Sebastian hat natürlich sofort wissen wollen, worum es geht. Zuerst konnte ich ihn noch auf ein Gespräch zu Hause vertrösten, aber irgendwann haben wir dann doch darüber gesprochen. Er war wütend, weil ich ihm nichts davon erzählt habe. Ich glaube, er war gar nicht so wütend über die Tatsache, dass ich mit Wincent weg fahre. Viel mehr gestört hat ihn, dass Wincent das eingesetzt hat, um ihn zu provozieren.", erzähle ich.

"Ihn zu provozieren? Ich finde, er hat dich auch ganz schön blöd dastehen lassen. Und das äußerst bewusst!", sagt Samira entrüstet.

Ich nicke nachdenklich. Sie hat Recht. Ich muss unbedingt mit Wincent darüber sprechen! Aber nicht mehr heute, denn das würde nur im unschönen Streit enden. Würde ich ihn heute noch sehen oder sprechen, ich würde ihm nur böse Worte an den Kopf knallen, die ich später zum Teil sicherlich bereuen würde.

"Sorry, ich muss noch ein Paket bei der Abgabestation abholen und die schließen in zehn Minuten.", sagt Samira auf einmal, als ihr Blick auf ihre Armbanduhr fällt, und springt auf. "Kann ich dich für heute alleine lassen oder möchtest du, dass ich später nochmal vorbei komme?"

"Nein, ich komm schon klar. Danke, dass ich darüber sprechen konnte.", lächle ich.

Ich stehe auf und umarme sie fest. Dann sprintet sie los in Richtung des Supermarktes, in welchem die nächstgelegene Abgabestation ist, und ich mache mich auf den Heimweg. 

Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt