III.

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In der letzten Stunde hatte ich mich bereits so sehr damit abgefunden und gedanklich von dem Rotschopf verabschiedet, dass ich gar nicht anders gekonnt hatte, als kurz aufzulachen – über mich selbst, über die Absurdität dieser ganzen Situation. Ich fasste mir an die Stirn, fuhr mir kurz durch die Haare, bevor ich endlich reagierte: „Hey." Durch die Lautstärke hier unten war es zwar ein halbes Rufen, im Vergleich zu den paar gewechselten Worten in der VIP-Lounge, aber es war noch erträglich. Ich hatte nicht das Gefühl, ihm ins Gesicht brüllen zu müssen, damit er mich hören konnte.

„Lass mich raten – du hast es dir anders überlegt." Auf einem schwarzen Schneidebrett begann er, die Limetten, die er zuvor herbei gezaubert hatte, zu schneiden und anschließend in einer rundlichen Kühlbox zu verstauen. Wir standen beide eher abseits vom Hauptgeschehen und ein etwas kleinerer Mensch hätte vermutlich gar nicht über die hohe Theke hinweg erkennen können, was der Kerl da tat, aber es war nicht das erste Mal, dass mir meine Größe ausnahmsweise mal zugutekam.
„Also? Womit kann ich dich glücklich machen?"

Meine Mundwinkel zuckten in die Höhe. Die Art und Weise, mit der er seine Worte formulierte, ließen wenig Spielraum, sie nicht auf eine Weise zu verstehen, die mir sehr, sehr gefiel. Und es war pure Absicht. Sein Blick galt zwar dem Messer in seiner Hand, doch unter dem leicht geneigten Kopf erkannte ich immer noch dieses ganz spezielle, lockende Schmunzeln. Scheiße, der Typ gefiel mir von Sekunde zu Sekunde besser.
„Mir reicht ein alkoholfreies Bier." Mein Grinsen wurde etwas breiter. „Für's Erste."
Es reichte, um ihn aufblicken lassen, ganz offensichtlich sehr zufrieden mit meiner Antwort, denn für einen kurzen Moment erwiderte er mein Grinsen – wieder mit diesem gewissen Blickkontakt - bevor er das Messer beiseitelegte: „Kommt sofort"

Augenblicklich wandte er sich ab, schlängelte sich an seinen Kolleginnen vorbei, um aus dem beleuchteten Kühlschrank das gewünschte Bier zu holen, es auf dem Rückweg für mich öffnend, nur um es mir letztlich ohne große Umschweife vor der Nase abzustellen und wieder nach seinem Messer zu greifen. Er wirkte zwar sehr beschäftigt, aber nicht unbedingt gestresst davon. Es war ziemlich offensichtlich, dass er sich gerade etwas vom Hauptgeschehen abgeschottet hatte, denn seine Hauptbeschäftigung galt gerade dem Vorschneiden der grünen Früchte, um seinem Team zuzuarbeiten, bevor es vielleicht wirklich stressig werden könnte. Wie ein Uhrwerk, das einfach funktionierte und ineinander griff.

„Danke. Was bekommst du von mir?"
„Passt schon, Großer. Gale vergibt in der Regel ein äußerst großzügiges Trinkgeld."
Ah. Natürlich. Wieso wunderte es mich überhaupt, dass er die kleine Blondine kannte? Es war wenig überraschend, dass Gale vermutlich schon das eine oder andere Mal hier gewesen sein musste und sich einen Namen gemacht hatte. Sei es mit seinen meist sehr ausufernden Partyeskapaden oder eben mit seinem Trinkgeld. Ich nahm einen Schluck aus der gekühlten Bierflasche und sein Blick wanderte wieder kurz zu mir hoch, als er nach einer neuen Limette griff und ich lehnte mich beinahe entspannt an den Tresen, den Blick erwidernd.
„Ist Gale öfters hier?", wollte ich wissen. Weniger aus Interesse, als um Small Talk zu betreiben.
„Jedenfalls öfters als du."
Grinsend schnalzte ich mit der Zunge. „Ach, ist dir das aufgefallen, ja?"
Nun grinste auch er, während er weiterhin seiner Arbeit nachging. Nicht, als hätte ich ihn in irgendeiner Form ertappt, sondern viel mehr auf zufriedene Weise. Irgendwie war es genau das, was ihn so interessant machte. Er flirtete, ja, aber weniger mit seinen Worten als... mit allem anderen. Wie er sich bewegte, wie er redete. Das Lächeln und der Blick. Die portionierte Aufmerksamkeit, die er einem schenkte. Ja, du interessierst mich, aber du bist nicht das Zentrum meiner Welt. Aber vielleicht kannst du daran ja noch etwas ändern. Komm, ich will gejagt werden. Oh, und wie verlockend es doch war, ihn tatsächlich zu erlegen.
„Dich zu übersehen wäre zumindest ziemlich schwer, Großer." Oh, natürlich. Mein Grinsen wurde breiter, als ich einen weiteren Schluck des alkoholfreien Biers trank.
„Natürlich wirst du mit deinen knallroten Haaren ständig übersehen" Und als hätte ich den Nagel auf den Kopf getroffen, schlug er das Messer gespielt auf das Brett und sah mich mit großen Augen an.
„Oh mein Gott, ja. Nie nimmt mich jemand wahr. Es ist furchtbar. Hätte ich doch nur eine auffälligere Haarfarbe!" Theatralisch pustete er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schnitt weiter seine Limetten wie eine verbitterte Bauersfrau – wenn auch um einiges eleganter. Und es reichte vollkommen aus, um mich zum Lachen zu bringen, wobei mir nicht entging, dass auch er sich grinsend auf die Lippen beißen musste, um es mir nicht gleich zu tun.

Die Chemie stimmte einfach. Mit jedem Wort, das diese Lippen verließen, wurde ich immer angetaner von diesem Barkeeper. Angefixter. Es ließ mich ernsthaft mit dem Gedanken spielen, heute auf mein Zölibat zu scheißen und mir diesen Mann klar zu machen, bevor ich es am Ende bitter bereuen würde. Bevor ich irgendwann aus einem etwas zu heißen Traum aufwachte, in den mich diese roten Haare verfolgt hatten und mich mit bitterer Reue zurück ließen, meine Hände nicht in sie gegraben zu haben, während ich dem dazugehörigen Lippenpaar süße Laute entlockte. Doch stattdessen drang nun eine Frage aus ihnen, die mich weg von meinem Kopfkino und zurück in die Realität holten.
„Ernsthaft, woher kommst du? Westküste?", wollte er wissen, diesmal einfach nur aus scheinbar ehrlichem Interesse.
„Yep. Oakland."
„Hah!", machte er triumphierend. „Wusste ich es doch."
„Du klingst, als würdest du auch aus der Gegend kommen."
Etwas überrascht sah er auf. „Ich?", brachte er letzteres zum Ausdruck, bevor er doch wieder schmunzelte. Diesmal bot er den besten, klischeehaftesten Midwest-Akzent dar, den ich seit langem gehört hatte: „Geboren und aufgewachsen in Kansas, baby."
Diesmal war es an mir, überrascht die Brauen zu heben. Es stimmte, die Art wie er sprach, ließ absolut nicht darauf schließen, dass er von hier kam - aus Wichita oder der Umgebung. Genau genommen klang seine Aussprache neutral genug, um ebenfalls der Westküste entstammen zu können. Dazu noch die roten Haare, die für mich so gar nicht zum Sunflower State passen wollten. Aber allem Anschein nach hatte ich es hier schlichtweg mit jemandem zu tun, der gegen den Strom schwamm. Genau genommen also exakt meine Sorte Mensch. Ich würde mich wahrscheinlich einfach umbringen, wenn der Kerl am Ende doch hetero war und nur für Trinkgeld flirtete. Andererseits... hatte er mir mein Bier spendiert. Kurz betrachtete ich dieses, als wäre es eine Trophäe.

Dann suchte ich auch schon wieder den Blickkontakt. „Und hier bist du nun und schneidest um halb drei nachts irgendwo in Wichita Limetten, bis der Feierabend ruft." Hallo, Wink mit dem Zaunpfahl. Und natürlich verstand er. Blickte von seinen Händen auf, in den Augen wieder diese Mischung aus Locken und Distanz. Ein wenig selbstgefällig, als würde er einen weiteren kleinen Sieg für sich feiern, von dem ich nichts ahnte.
„Genau genommen habe ich seit einer halben Stunde Feierabend." Jackpot.
„Aah, ich verstehe. Die Limetten sind also nur dein Hobby."
Nun schnaubte er belustigt, lachte sogar leise. Aber anstatt darauf einzugehen, entschied er sich diesmal für eine simple Erklärung dafür, dass er offensichtlich gerade Überstunden machte. Ließ mich wissen, was es tatsächlich war, das ihn davon abhielt, sich entweder zu mir auf die andere Seite der Bar zu begeben oder in seinen wohl verdienten Feierabend zu flüchten.
„Mojitos kosten heute nur die Hälfte." Es war keine Werbung, kein Hier, bestell einen Mojito!, sondern einfach nur alles, was ich wissen musste: dass er seinen Kolleginnen half, indem er vermutlich schon seit einer halben Ewigkeit Limetten vorschnippelte, damit er ruhigen Gewissens gehen konnte, ohne dass die anderen ins Schwimmen gerieten. Mit Sicherheit hätte er auch einfach gehen können, wenn es ihn nicht interessiert hätte. Verdammt. Hör bitte endlich auf, mir mehr und mehr zu gefallen. Ich gerate hier nämlich allmählich auch ins Schwimmen.

Dann, ohne jede Vorwarnung, rammte er das Messer mit der Spitze in das Schneidebrett, die Hand fest um den Griff gelegt. Als ich von seiner Hand aufsah und in sein Gesicht blickte, traf ich wieder auf seine Augen. Diesmal fühlte es sich jedoch an, als wären seine Augen das Messer und ich derjenige, in den es sich bohrte. Irgendwo, ganz weit entfernt, glaubte ich zu erschaudern.
„Jetzt bin ich fertig.", verkündete er. Angetan hob sich meine Braue. Amüsiert.
„So, so. Und nun?" Mein Blick sagte alles. Aber der Rotschopf sprach dieselbe Sprache wie ich.
„Hmh", machte er, lockerte seinen Griff um das Messer, legte seinen Daumen auf der Spitze des Griffs ab. „Ich weiß nicht." Sein Blick durchbohrte immer noch den meinen.
„Sag du es mir."


- Ende.

Eating HooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt