II.

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Es war ja gar nicht so als hätte ich gezielt vor, mir den Jungen klar zu machen. Ich wusste ja nicht mal, ob das einfach nur irgendeine Trinkgeld-Masche war, die er grundsätzlich bei jedem abzog, während ihn Kerle klammheimlich überhaupt nicht interessierten. Andererseits hatte ich auch keine Garantie für das Gegenteil. Wieso zerbrach ich mir deshalb überhaupt den Kopf? Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, die Füße still zu halten. Ein bisschen Entzug tat mir gut. Die letzten Monate ohne Sex hatten mir auch nicht wehgetan.

Als eine halbe Stunde später wieder jemand in schwarzem Hemd und ebenso schwarzer Hose neben mir stand, rechnete ich fest mit dem rothaarigen Kellner. Stattdessen stand da eine junge Frau, die rötlich blonden, fast orange wirkenden Haare in einem hohen Pferdeschwanz zurück gebunden. Ein hübsches Ding, keine Frage, aber sie gefiel mir nicht ansatzweise so gut wie ihr Kollege. „Nina!", hörte ich Pablo in einem Anflug von Begeisterung und sah aus dem Augenwinkel, wie er in einer ausladenden Geste die Arme ausbreitete. Ah, das war also seine Lieblingskellnerin. Sie tat geschmeichelt, flirtete ein bisschen mit der Runde – mich eingeschlossen – während sie die leeren Gläser auf dem Tisch auf ihr Tablett lud und anschließend eine neue Bestellung aufnahm. Etwas unglücklich ließ sich Gale einen der „Du-weißt-welchen"-Bourbon von Pablo mitbestellen. Ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass ihm das Zeug absolut nicht schmecken würde und grinste ihn schadenfroh von der Seite an. Wenn ich schon nicht mit meinem Lieblingskellner flirten darf, dann sollst du wenigstens genauso leiden. Er ignorierte mich gekonnt.

Die Nacht zog sich. Wir waren bestimmt schon 2 Stunden lang hier und der Rothaarige kam kein einziges Mal zurück in unsere Lounge. Es war vor allem in der Hinsicht enttäuschend, dass er hier das einzig Interessante für mich gewesen war. Nina beäugelte mich zwar hier und da diebisch, aber sie zeigte darüber hinaus kein übermäßiges Interesse an mir, was jedoch auf reiner Gegenseitigkeit beruhte. Nicht mein Typ. Erklärte trotzdem nicht diese Blicke, die sie mir hier und da zuwarf. Andererseits war ich auch nicht der Typ Mensch, der sich allzu sehr für solche Mysterien interessierte, als dass ich nun die halbe Nacht lang darüber gegrübelt hätte.

Erst nach insgesamt drei Stunden verabschiedeten sich Pablo und seine Hofnarren mit einer harten, brüderlichen Umarmung, die nur so von aufgesetzter Männlichkeit strotzte und Gale beinahe alle Knochen gebrochen hätte, weil der Mann über keinerlei Muskulatur verfügte, die seine schmalen Gelenke hätten schützen können. Ich nickte wieder im richtigen Moment, diesmal zum Abschied, denn man erwartete von einem griesgrämigen, knallharten Bodyguard nicht, dass er aufstand und einem freundlich die Hand gab. Also tat ich es auch nicht. Ich sah den Männern hinterher, als sie die Lounge verließen, ertappte mich dabei, wie mein Blick kurz die Bar im Hintergrund nach einem roten Haarschopf absuchte, jedoch ohne Erfolg. Wahrscheinlich hatte er sich mittlerweile in seinen wohl verdienten Feierabend begeben. Ich gestand mir tapfer die Enttäuschung ein, die ich dabei empfand.

„Puh. Na, das ist doch mal was", seufzte Gale und breitete seine Arme auf der Lehne aus, ließ sich etwas tiefer in den Sitz rutschen.
„Was?"
Er stöhnte. „Hast du überhaupt nicht zugehört?"
„Hätte ich das tun sollen?"
„Nein, aber einen guten Freund interessiert es vielleicht, was sein Schulbuddy so für Erfolge feiert!?" Er sagte es, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, aber ich hob nur zweifelnd meine Brauen.
„Ich kann dir natürlich trotzdem gerne auf die Schulter klopfen, Gale. Aber bei deinen schmalen Schulterchen hätte ich zu viel Angst, dass ich dir so wie Pablo eben fast alle Knochen dabei breche." Ein Grinsen.
„Pfff", machte er und griff nach dem Glas Bourbon, das er in der gesamten letzten Stunde nur zur Hälfte hatte leeren können. Er nippte nur daran, aber es reichte, um ihn das Gesicht angewidert verziehen zu lassen. Wie konnte so ein Kerl nur so erfolgreich in dem sein, was er tat? Ich würde es wohl nie verstehen.
„Und jetzt?", wollte ich wissen.
„Tjaaa", gab Gale von sich, warf einen Blick auf seine teure Armbanduhr. „Halb 3. Die Nacht ist noch jung."
„Ich helfe dir natürlich gerne dabei, dir einen netten jungen Mann klar zu machen der dich auch behandelt wie die Lady, die du bist."
„Den kannst du behalten", er rümpfte die Nase, reckte sie etwas höher. „Ich stehe auf Frauen mit Klasse."
Und ich lachte einfach nur drauf los. Ich kannte niemanden, dessen gesamte Erscheinung und Attitüde mehr nach „Spank me, daddy!" schrie, als Gale. Niemand glaubte ihm, dass er je auch nur eine Frau unter sich bekommen hatte. Oder über sich, jedem das Seine. Ich hatte sogar mal 50 Dollar darauf gesetzt, dass er entweder Jungfrau oder undercover-schwul war und es sich schlichtweg noch nicht selbst eingestehen konnte. Leider hatte er zwei Tage später im Vollrausch mit einer vollbusigen Blondine rumgemacht. Oder eher: sie mit ihm. Daran erinnerte er mich immer wieder gerne. Und daran, dass ich meine Wette verloren hatte.

Ich erntete einen schlaffen Schlag gegen die Schulter für meinen Ausbruch, aber es tat ehrlich gut, überhaupt wieder lachen zu können. Gale wusste, dass die letzten Wochen hart für mich gewesen waren. Zwar kannte er den Grund nicht, aber ich wollte auch gar nicht, dass er davon wusste. Oder sonst irgendjemand. Meine bisherige Zeit in Wichita hatte mich irgendwie wieder ein Stück weit zurück ins Leben geholt.
„Und du?"
Etwas perplex sah ich ihn an, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte. „Was ist mit mir?"
„Willst du dir niemanden aufreißen?"
Ach, Gale. Entwickle doch endlich mal ein Gefühl für Fragen, die du einfach nicht stellen solltest. Das hier war eine davon.
„Den Kellner oder so."
„Der hat sicher längst Feierabend"
„Ach, komm."
„Kein Bedarf."
Aus kritischen Augen musterte Gale mich. Sah mich an, als wäre ich irgendwie besorgniserregend krank. Aber dann weiteten sich seine Augen.
„Sag bloß, du hast was mit diesem Vi-„
Gale. Schluss jetzt."
Ich unterbrach ihn, noch bevor er diesen Namen auch nur aussprechen konnte. Es reichte, um mich von Null auf Hundert zu bringen und ich spürte genau, wie sich eine steile Falte auf meiner Stirn bildete, sich meine Innereien zusammen krampften. Meine Stimme hatte an Lautstärke gewonnen, eine gewisse Endgültigkeit in ihrem Tonfall, aber auch eine unausgesprochene Warnung. Du bist ein Freund, aber das heißt nicht, dass ich dir nicht trotzdem eine reinhaue, wenn du weiter bohrst, wo du es nicht solltest. Es reichte, um ihn verstummen zu lassen. Nicht vor Angst oder Respekt, es war mehr, als stünde ihm ein riesengroßes Fragezeichen auf die Stirn geschrieben. Oh, komm mir nicht mit Sorge oder so einem Scheiß. Ich brauche keinen, der mir die Hand hält und den Rücken tätschelt. Ich brauche überhaupt niemanden.

Mich ergriff der Drang, einfach aufzustehen, was ich letztlich auch tat.
„Wohin gehst du?"
„Die Nacht ist noch jung", konterte ich mit seinen eigenen Worten. Ich will dich gerade nicht mehr in meiner Nähe haben. Keine Ahnung, wohin ich gehe. Vielleicht kacken, vielleicht eine rauchen, vielleicht kleine sommersprossige Blondchen schlagen die aussehen, wie du. Lass mich jetzt einfach. Dann kannst du auch keine blöden Fragen mehr stellen.
„Hast du Geld für's Taxi?", rief er mir hinterher, aber ich winkte nur mit einem Schnauben ab. Natürlich hatte ich Geld bei mir. Genug um mich zweimal zurück ins Hotel fahren zu lassen. Ich nahm die Stufen abwärts und verließ den VIP-Bereich. Hier unten war es irgendwie lauter, auch wenn der Höhenunterschied vermutlich nur einen knappen Meter ausmachte. Ich quetschte mich durch die Menschenmasse, die immer noch nicht weniger geworden war als zu Beginn. Eher im Gegenteil. Mich überfiel der Wunsch nach Alkohol, aber ich ermahnte mich auch sofort, diesen Wunsch nicht weiter zu verfolgen.

Trotzdem zog es mich zur Bar hin. Wenn ich mir schon selbst keinen richtigen Alkohol gönnen durfte, dann brauchte ich jetzt wenigstens etwas Kühles, um das plötzlich so gierige Kratzen in meinem Hals zu lindern. Diesmal war der grimmige Ausdruck auf meinem Gesicht gar nicht mal mehr so aufgesetzt und gespielt, als ich mich bis zum Tresen durch kämpfte. Seitlich lehnte ich mich schließlich dagegen, ließ den Blick kurz über die Tanzfläche wandern. Wenn ich schon nichts trinken durfte, könnte ich doch wenigstens... Nein. Nein. Fang gar nicht erst damit an. Du bist untervögelt, ja, aber dein Kellner ist ohnehin schon weg. Versuch gar nicht erst krampfhaft jemanden zu finden, der dir genauso gefällt, nur um auf deinen Frust klar zu kommen. Und als müsste ich mich selbst noch einmal darin bestätigen, ließ ich meinen Blick über die drei Kellner und Barkeeper gleiten, die im Akkord Drinks mixten und servierten. Keiner von ihnen hatte rote Haare. Immerhin. Das machte mir die Sache mit der Enthaltsamkeit wenigstens etwas leichter.

Wir wissen beide, dass aus diesem Plan nie etwas geworden ist. Da war einfach irgendetwas an dir, das dich in meinem Kopf behalten hat. Ich weiß bis heute nicht was es war, aber vielleicht musste es auch einfach so geschehen. Vielleicht musste ich dir erst mal begegnen, um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Heute wissen wir beide, dass all das auf Gegenseitigkeit beruht hat – bis zur letzten Sekunde.

Und ich zuckte regelrecht zusammen, als genau dieser Schopf, der mir in den letzten Stunden immer wieder durch den Kopf gegeistert war, genau vor mir – einfach so - aus dem Nichts auftauchte. Die leicht feuchten Haare in der Stirn etwas durcheinander, die obersten beiden Hemdknöpfe geöffnet. In den Händen hielt er eine Kiste mit Limetten, die er allem Anschein nach gerade aus einem Schrank unterhalb des Tresens hervor geholt hatte. Irritiert blinzelte ich ihn an. Als er bemerkte, dass er angestarrt wurde, hielt auch er inne, ließ seinen Blick zu mir wandern. Sekundenlang nichts – dann Erkennen. Und wieder dieses Grinsen. „Hey, Großer."

Oh, Fuck.

Eating HooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt