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Zum wiederholten Male an diesem Tag betrachtet Faust die grauen Mauersteine, aus denen die Wände seines Studierzimmers vor langer Zeit erbaut wurden.

Gezählt hat er sie schon oft, gerade versucht er, in ihnen fremde Wesen oder gar bekannte Gesichter zu entdecken. Vergeblich. Die damaligen Baumeister, so scheint es, schnitten jeden der Steine auf die genau selbe Größe, alles ist geordnet, nur die Farben variieren zwischen dunkelgrau, mittelgrau und hellgrau.

,,Fad.", spricht der Doktor zu sich selbst. Dabei meint er nicht nur die Steinwände seiner Studierstube, nein, auch sein Leben erscheint ihm äußerst bedeutungslos und kontrastarm.

,,Was habe ich nun schon alles ausprobiert, manch einer könnte mich wohl als höchstintelektuell  bezeichnen: Ich habe schon so gut wie jeden angesehenen Studiengang besucht, nun darf ich sogar selbst unterrichten. Und trotzdem fühle ich mich so leer, als hätte nichts einen Sinn. Ich weiß viel, sicher, aber was soll ich damit nur anfangen? Meine Schüler lernen nicht, sie leiden unter meinen Versuchen, ihnen mein Wissen nahezubringen. Sind die meisten doch hochnäsige Schnösel aus reichem Elternhaus, die noch nie zuvor selbst ihr Gehirn benutzen mussten." Er spuckt die Worte fast schon aus, sie triefen vor Verachtung.

Faust lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und sein Blick wandern von der steinernen Wand, die zwischen den tristen, wohlgeordneten Steinfragmenten mit vielen kleinen Figürchen und Formen verziert ist, zu seinen riesigen, hohen Regalen voller wissenschaftlicher Bücher und Pergamentrollen. Jedes einzelne Schriftstück hat er mindestens einmal auf das Genauste nach wichtigen Erkenntnissen durchkämmt.

Auf einem langen, hölzernen Labortisch stehen Fläschchen mit dunklen Flüssigkeiten, Suds aus Kräutern, teilweise mit bewusstseinserweiternder Wirkung. Selbstverständlich nur für wissenschaftliche Zwecke.

,,Ich will nur verstehen, wie die Welt funktioniert und was sie im Innersten zusammenhält, doch darüber kann mir keine meiner Studien Auskunft geben."

Faust will sich gerade wieder seinem eigenen Leid zuwenden und erneut in Selbstmitleid versinken, als sein Blick an einem altertümlichen Schmöker  hängen bleibt. Sein Atem verschnellert sich, als er realisiert, worum es sich hierbei handelt.

,,Der geheimnissvolle Wunderwälzer!"

Erfreut erhebt sich Faust von seinem Stuhl, dieser quietscht, schon lange, doch das stört ihn nicht.

Ein paar Schritte und er fährt mit seinen fahrigen Fingern über den verstaubten Einband aus einem lederähnlichen Material, aber doch viel zarter und geschmeidiger.

Schon fast zärtlich schlägt Faust die erste Seite um, die Zweite, die Dritte. Bis er schließlich findet, was er sucht.

Die Worte fließen geradezu aus seinem Mund, es scheint, als bewegten sich seine Lippen von ganz allein. Die Worte klingen fremd, kraftvoll.

Ein roter Flammenblitz zuckt auf, mitten im Raum, die Kerzen flackern und die mächtigen Regale knarzen.

Nach einer Weile kann Faust seine schmerzenden Augen wieder öffnen, wenn auch mit Mühe.

,,Wer ruft mir?"

Die donnernde Stimme des Erdgeistes erfüllt den ganzen Raum.

,,Schreckliches Gesicht!" Faust wendet den Blick, er verdeckt ihn mit erhobenen Armen.

,,Welche erbärmliche Gestalt wagt es, mich hierherzurufen, mich unterwerfen zu wollen, nur, um sich schließlich vor meiner Herrlichkeit zu verkriechen. Schäbige Assel!"

,,Was soll das heißen, schäbige Assel. Ich bin mindestens genauso großartig wie du, verehrter Geist der Erde. Sieh mich an, ich bin deinesgleichen."

,,Ich, ich schuf die Erde, schuf Meere und Wälder, Feuer und Wind, Vögel und auch Kriechtiere, wie dich, du erbärmlicher Würmling. Und nun begehrst du auf und behauptest, ich sei deinesgleichen? Du gleichst dem Geiste den du begreifst. Nicht mir!"

Die rote Flamme lodert ein letztes Mal auf und der Geist der Erde ist verschwunden, das magische Buch liegt auf dem Boden, geschlossen. Faust reibt sich die immer noch schmerzenden Augen, als es schließlich an der Flügeltür aus dunklem Holz klopft.

,,Herein!"







#Mephausto: Kann es Liebe sein?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt