Mögen, weil. Lieben, obwohl.

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Der Wind wirbelt den heißen Sand um unsere Füße auf und lässt ihn durch die Luft wirbeln wie Gold. Er umspielt unsere Füße, seine und meine. Ich betrachte ihn von der Seite, sein spitzes Kinn, seine lockigen blonden Haare, sein Lächeln, als er sein Gesicht der Sonne entgegenreckt. Er sieht aus, als sei er ganz weit weg, auf einer einsamen Insel, auf der er so lange bleibt, bis ich ihn wecke. Ich schaue auf die Wellen der Nordsee direkt vor uns und muss auch lächeln. Wer hat schon so ein Glück? Alex und ich sind erst seit einem Jahr zusammen und es fühlt sich an, als seien wir es seit Jahren. Wir haben uns auf der Uni kennengelernt und jetzt, ein Jahr später sind wir immer noch ein Paar.

"Alex?", ich stupse ihn vorsichtig an und hole ihn von seiner Insel zurück.

"Ja?" Er lächelt mich an und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

"Nimm mich doch dahin mit, wo du gerade bist."

"Okay", er schließt wieder die Augen und beginnt, zu erzählen, was er gerade denkt. Ich höre ihm zu und schließe auch die Augen, höre nur die Wellen, die gleichmäßig ans Ufer gespült werden.

"Ich denke daran, wie wir uns kennengelernt haben. In der Unibibliothek."

Ich stelle mir den staubigen Saal vor, die hohen Bücherregale, hinter denen man sich so schön verstecken konnte, um zu lernen oder zu lesen. Die deckenhohen Fenster, durch die die Nachmittagssonne schien, wenn ich in einem der zerschlissenen Sessel saß und Vokabeln gelernt habe oder ein Buch gelesen habe.

"Du bist um die Ecke geschossen, als sei der Teufel hinter dir her."

Ich erinnere mich daran, wie meine Freundin Hannah mich unbedingt mit jemandem verkuppeln wollte, dessen Namen ich bereits wieder vergessen habe. Er war schrecklich anhänglich, nach dem ersten Date wollte er mich sofort küssen. Ich bin weggelaufen wie ein feiges Kind, als er mir eine ganze Woche lang hinterhergelaufen ist. Ich muss bei dem Gedanken daran kichern.

"Du bist in mich hineingerannt und hast mir alle Bücher vom Arm gefegt", grinst er bei der Erinnerung. Die Augen hält er geschlossen. Ich erröte bei der peinlichen Erinnerung.

Wie tollpatschig.

"Dann hast du mich auf einen Kaffee eingeladen und mir den auch noch aus Versehen übergeschüttet."

Allein die Erinnerung daran lässt mich lachen.

"Stell dir vor, der Fleck ist nie herausgegangen."

Er öffnet die Augen.

"Ich erinnere mich gerne daran, wie schön chaotisch du immer warst. Fast jeden Tag ist irgendwas passiert. Sogar jetzt noch", grinst er und erinnert mich daran, dass ich heute Morgen die Klappe der Waschmaschine nicht geschlossen habe und die nassen Klamotten in hohem Bogen in den Flur geflogen sind und ihn unter Wasser gesetzt haben. Alex hat das zum Glück rechtzeitig gemerkt.

"Ich wünschte so etwas würde mir nicht passieren", sage ich betrübt, "es ist nur eine Frage der Zeit, dann wächst dir das über deinen Kopf."

"Niemals. Ich liebe dich, egal ob du Kaffee verschüttest oder Teller zerbrichst oder einen streunenden Hund nach Hause mitbringst und der alles mit seinen Pfotenabdrücken dreckig macht."

Lächelnd denke ich an Paolo, den streunenden Welpen, dessen Besitzer wir zum Glück wieder gefunden haben. Trotzdem vermisse ich Paolo.

"Ich liebe dich obwohl du chaotisch bist."

Er lächelt mich so an, dass ich keinen einzigen Zweifel mehr verspüre. Glücklich küsse ich ihn und streiche durch seine lockigen Haare.
"Und du?", fragt er mich. "Warum bist du noch nicht vor Mir weggelaufen?"
"Das ist einfach", lächele ich.
"Ich mag dich, weil du so schön reden kannst und man mit dir trotzdem die lustigsten Abenteuer erleben kann. Und, weil du immer da bist wenn man dich braucht. Weil du das gleiche Studienfach hast wie ich. Weil du die schönsten Haare hast, die ich je gesehen habe. Und, weil du immer ehrlich bist und man sich bei dir immer am richtigen Ort fühlt."

"Und was magst du nicht, an mir?"

"Ich mag alles an dir."

"Dein Ernst? Es gibt nichts, was du an mir nicht magst?"

"Nein", sage ich zögernd. Wieso sollte ich etwas an ihm nicht mögen?
"Ich liebe dich doch."

"Aber dann muss es doch etwas an mir geben, was du nicht magst."

"Ich kann dich doch auch lieben, wenn ich alles an dir mag."

Alex mustert mich. "Komm schon. Was magst du an mir nicht?"

Ich schüttele den Kopf. "Nichts."
Alex schaut mich ungläubig an. "Du sagst nicht die Wahrheit!"

Plötzlich werde ich sauer.

"Was soll das denn? Wieso sollte ich dir so etwas erzählen?"

"Ist doch egal", Alex rappelt sich auf und hält mir die Hand hin.
"Komm, wir gehen nach Hause."
Wir verlassen den Strand und unsere Füße versinken im Sand.

Ich beobachte die Konturen von Alex' Schultern, auf die der nächtliche Mond scheint. Die weißem Bettdecke leuchtet Mir entgegen, unter der er friedlich schlummert.
Immer noch muss ich darüber nachdenken, was er heute damit gemeint hat, dass es etwas geben muss, was ich an ihm nicht mag. Ich denke nach, versuche, mir etwas einfallen zu lassen, was ich ihm morgen sagen kann.

Er lässt immer die Chipstüte offen stehen.

Na und? Das stört mich nicht.

Er liest immer das gleiche Buch. Na und? Das ist mir egal. Es ist ein schönes Buch.

Er steht mitten in der Nacht auf, um mit mir die Sterne beobachten zu gehen, auf der Campuswiese. Selbst wenn ich hundemüde bin, zerrt er mich raus. Und? Es sind die schönsten Nächte meines Lebens, wenn wir draußen im nassen Gras liegen und die Sterne betrachten.

Er kann überhaupt nicht kochen. Er stellt sich dabei total blöd an. Er verkocht Nudeln, in seinen Spiegeleiern ist Schale, seine Pancakes sind viel zu weich, seine Suppe salzig.

Na und? ich liebe es, wenn er morgens an mein Bett kommt und labbrige Pancakes mit Eiern mit Schale drin zum Frühstück bringt.

Einfach, weil er es immer wieder versucht.

Ich stupse vorsichtig seine Schulter an und will ihn wecken, ihm all das sagen, aber er rührt sich nicht, weil er viel zu tief schläft.

Warum mag er mich? Er hat mir nur gesagt, warum er mich trotzdem liebt. Nicht, warum er mich liebt. Warum er mich mag.

Nachdenklich drehe ich mich auf den Rücken. Vielleicht ist genau das das, was ihn verärgert hat. Dass ich ihm nicht gesagt habe, warum ich ihn trotzdem liebe. Warum ich bei ihm bleibe, obwohl es Dinge gibt, die mich von ihm fernhalten können. Dabei hat jeder Mensch etwas, was ich nicht an ihm mag. Ich bin immer davon weggelaufen. Der Typ an der Uni war zu aufdringlich. Meine erste beste Freundin hat mir den Freund weggeschnappt. Mein Exfreund an der Highschool war zu drogensüchtig. Mein bester Freund im Kindergarten ist weggezogen und hat mich im Stich gelassen. All das hat mich dazu bewegt, wegzulaufen. Aber bei Alex bin ich immer noch. Und ich habe nie darüber nachgedacht, warum. Jetzt weiß ich es: Mir machen seine Macken nichts aus, weil ich ihn liebe. Das hat er gestern damit gemeint, am Strand. Mir ist die Bedeutung von lieben erst jetzt richtig klargeworden:

Man mag, weil. Und man liebt, obwohl.

Ich nehme mir vor, ihm das morgen zu sagen, wenn er mir verkochten Kaffee ans Bett bringt.

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