Im Grunde Eigentlich Nichts

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Völlig entkräftet reiße ich die Autotür auf und lasse mich auf den Fahrersitz fallen. Mit geschlossenen Augen und eiskalten Händen umklammere ich das Lenkrad und atme laut keuchend ein und aus. Während ich verzweifelt versuche, mich wieder zu beruhigen, rufe ich mir noch einmal in Erinnerung, was gerade eben geschehen ist. Jetzt, wo die Erinnerung langsam klar wird, komme ich mir einfach nur noch dämlich und nutzlos vor.

Vorsichtig öffne ich die Augen und blinzle die Tränen weg, die in meinen Augenwinkeln brennen. Einige Minuten lang starre ich in die Leere und bemühe mich um eine regelmäßige Atmung. Als ich mich einigermaßen beruhigt habe, wage ich einen Blick in den Rückspiegel. Mein Gesicht ist überraschend ausdruckslos. Den beschissenen Tag sieht man mir gar nicht an. Vielleicht liegt es aber auch an mir. Es fällt mir oft schwer, zu erkennen, wie es Menschen geht. Manchmal habe ich das Gefühl, viele Menschen verstecken ihre Probleme. Ich tue das gleiche, auch wenn ich nicht sagen kann, warum. Eigentlich geht es mir nicht einmal besonders schlecht. Ich glaube, ich habe so ziemlich die gleichen Probleme wie die meisten anderen Jugendlichen auch.

Meine linke Hand tastet nach dem Sicherheitsgurt über meiner Schulter, während die andere Hand nach dem Knopf des Radios tastet. Doch dort, wo eigentlich der Lautstärkeregler sein sollte, finde ich nichts als gähnende Leere vor. Ich blinzle verwirrt und reiße überrascht die Augen auf, als ich sehe, was passiert ist. Ein großes Loch klafft zwischen dem Fahrersitz und dem Beifahrersitz. Dort, wo eigentlich mein Radio sein sollte, hängen nur einige bunte Kabel herunter. Als ob der Tag nicht schon katastrophal genug wäre. Vor nicht einmal zehn Minuten bin ich aus meinem schlecht bezahlten Job im Lager des örtlichen Supermarktes entlassen worden, und das nach nicht einmal zwei Wochen Arbeitszeit. Unentschuldigte Verspätungen, unerlaubte Pausen während der Arbeitszeit, und so weiter. Das Übliche eben. 

Die Kündigung ist nicht einmal das schlimmste an der Sache. Irgendwo gibt es bestimmt noch andere Jobs. Vielleicht sogar bei Arbeitgebern, die mehr als den Mindestlohn zahlen. So frustriert bin ich eigentlich nur, weil ich nicht weiß, wie ich die Entlassung meiner Mutter beichten soll. Sie wird mich wieder mit diesem enttäuschten, genervten Blick ansehen und dabei schmerzlich seufzen. Und dann wird sie so etwas sagen wie: „Bitte, Adrian, gib dir doch wenigstens einmal Mühe! Was soll denn nur aus dir werden?" Ich hasse es, wenn sie mich das fragt. Ich habe doch selbst keine Ahnung, was eines Tages aus mir werden soll. Und wenn sie so etwas sagt, komme ich mir wertlos und faul vor.

Irgendwie vermisse ich das Radio mehr, als ich gedacht hätte, überlege ich, während ich den Wagen anlasse und vom Parkplatz auf die Hauptstraße rolle. Es ist so still im Auto ohne Musik. Natürlich höre ich noch den klappernden Motor meiner Schrottkarre, die anderen Verkehrsteilnehmer, und den Regen, der auf die Windschutzscheibe prasselt. Aber trotzdem vermisse ich die dröhnenden Bässe und quietschenden Gitarren, während ich fahre. Leise summe ich ein Lied vor mich hin, das ich noch heute morgen im Radio gehört habe. Wie hieß das Lied denn bloß? Ich kann mich einfach nicht mehr an den Titel erinnern.

Der Weg zu mir nach Hause ist gar nicht weit, aber heute kommt er mir ewig lang vor. Ich rätsele immer noch, wo mein Radio sein könnte. Detektiv zu spiele, hat mir schon immer Spaß gemacht, doch bin ich noch nie das Opfer in einem solchen Fall gewesen. Nach gründlicher Überlegung und intensivem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jemand es gestohlen haben muss. Von allein kann ein Radio schließlich nicht verschwinden. Daher muss ich leider vom Schlimmsten ausgehen: Dass es sich um einen kaltblütigen Diebstahl handelt.

Die Art des Verbrechens habe ich nun herausgefunden, die Vorgehensweise des Täters ist wahrscheinlich auch nicht schwer zu entschlüsseln. Schließlich stand das Auto unabgeschlossen auf dem Parkplatz und ein Radio lässt sich sicher mit einigen einfachen Werkzeugen ausbauen. Viel interessanter ist für mich die Frage, warum das Radio überhaupt geklaut wurde. Mir fallen mehrere Gründe für einen Diebstahl ein. Einerseits natürlich Geld. Ich habe keine Ahnung, wie viel so ein gebrauchtes Radio wert ist, aber für ein geklautes Autoradio ohne Kabel (denn die Kabel hängen durchtrennt aus dem Loch, wo vorher das Radio war) ist sicher nicht viel wert, wenn man versucht, es auf dem Flohmarkt zu verkaufen. Abgesehen davon ist die Kassettenfunktion kaputt und eine CD-Funktion hatte das Radio nicht einmal. Wahrscheinlich ist mein Auto ohne das Radio nur noch die Hälfte wert.

AdrianWhere stories live. Discover now