Kapitel 1

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Wir alle sind in einem Teufelskreis gefangen und niemand vermag es auszubrechen. Geburt. Leben. Tod. Egal wie reich, mächtig oder schön man ist, der Tod holt einen früher oder später. Dennoch suchten die Menschen schon immer verzweifelt nach einer Möglichkeit ihr sterbliches Leben zu verlängern oder sogar unsterblich zu werden. Natürlich erfolglos. 

Doch wie bei jeder Regel, bei jedem Gesetz gibt es eine Ausnahme.

Für manche mag der Gedanke der Untersterblichkeit verlockend und einladend klingen, für mich bedeutete es nur Leid und Elend.

Mein Leben lang wurde ich von Depressionen und Selbstmordgedanken geplagt, bis ich schließlich entschied mein Leben mit einem Strick um meinen Hals zu beenden. Natürlich gibt es heutzutage bessere und vor allem schmerzfreiere Methoden sich das eigene Leben zu nehmen, in 1867 waren die Möglichkeiten jedoch begrenzt.

Inzwischen war ich genau 170 Jahre alt und hatte immer noch nicht genau begriffen, was nach meinem Tod mit mir passiert war. Nur schemenhaft konnte ich mich daran erinnern, dass mir Gott erschienen ist, seine Hand schützend über mich gelegt hat und ich wenige Minuten später, mit bestialischen Kopfschmerzen aufgewacht bin. Die weiteren Suizidversuche, die darauf folgten blieben erfolglos, egal wie schlecht meine Überlebenschancen standen. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich für immer in meinem trostlosen Leben gefangen war.

Einige Monate darauf besuchte mich ein Mann, der sich als Gabriel vorstellte. Er stellte sich als ein Engel Gottes vor und schilderte mir meine Bestimmung.

Ich sollte die Menschen umbringen, deren Selbstmord gescheitert war, oder die, die mit dem Gedanken spielten sich umzubringen, aber doch zu feige waren.

Selbstmord blieb nach wie vor eine Sünde und Sünder müssen ihre gerechte Strafe erhalten. Zwar war mein Töten auch eine Sünde, aber Gott wird schon wissen was er tut.

Leider musste ich meine Morde wie Selbstmorde aussehen lassen, was mir natürlich den Spaß an der Sache raubte. Nur zu gerne würde ich meine Wut und Verbitterung an die auslassen, die den tatsächlichen Luxus hatten zu sterben. Aber sogar ich hatte genügend Versand, um mich nicht gegen Gotteswort zu stellen.

Als ich 151 Jahre später, die Wohnungstür von meinem kleinen New Yorker Apartment öffnete, fiel mir meine Papiertüte mit meinen Einkäufen auf den Boden und alles kullerte heraus.

„Jesus Christus, hast du mich erschrocken", stieß ich keuchend hervor.

Gabriel grinste mich nur schief an und deutete mit einer Kopfbewegung auf meine Einkäufe. „Wenn man dich so sieht könnte man meinen, dass du vom Killer zur Hausfrau mutiert bist."

Ich atmete schnaubend durch die Nase aus, bückte mich und fing an alles einzusammeln.

Er schnappte sich einen Apfel, der bis vor seine Füße gerollt war und biss genüsslich hinein. „Hab' einen neuen Auftrag für dich.", nuschelte er mit vollem Mund. Mit einem Kopfnicken gab ich ihm zu verstehen, dass ich ihn gehört hatte und er fortfahren konnte. Immer noch mit vollem Mund nannte er mir die Adresse.

Alter, Name oder Geschlecht meiner Opfer waren irrelevant für meine Arbeit. Je weniger ich wusste, desto besser. Mit der Zeit wurde ich zwar immun gegen Gefühle oder Reue, dennoch konnte ich mir keinen einzigen Fehler leisten.

Ich wurde so unberechenbar, dass sogar manchmal ich mein nächstes Handeln nicht zu hundert Prozent voraussagen konnte.

Es regnete in Strömen, als ich bei der besagten Adresse vor einem mit Graffiti beschmierten Haus stand. Es war keine gute Gegend, der sozialer Untergang spiegelte sich an der bröckelten Fassade des Hauses wieder.

Ich bin ehrlich. Würde ich hier leben, würde ich mich auch umbringen wollen.

Mit meinem geübten Blick scannte ich die Lage. Die Feuertreppe, die an der Seite des Hauses montiert wurde, würde es mir einfach machen in den letzten Stock zu kommen. Alarmanlagen sind in solchen Gegenden nie angebracht, mein Einstieg in die Wohnung würde lautlos vonstatten gehen.

Ohne auch nur einen Laut von mir zugeben, stieg ich die Leiter geschwind hoch. Mit koordinierten Bewegungen zog ich meine Brechstange aus meinem Rucksack und setzte sie am Holz des Fensters an. Die marode Halterung gab schon nach wenigen Hebelbewegungen nach.

In der Wohnung war alles still, aber das beunruhigte mich nicht. Mein Opfer hatte sich wahrscheinlich nur schlafen gelegt. Erst als ich jeden Raum durchkämmte und niemanden auffand, wurde ich misstrauisch. Gabriel machte nie Fehler, das war neues Terrain für mich. Wutentbrannt schlug ich auf eine Wand ein. Meine Faust hinterließ ein großes Loch in der dünnen Wand. Solche Fehler dürfen nicht passieren, jeder Fehltritt könnte das fatale Ende meiner Mission bedeuten.

Ein ungewöhnliches Geräusch zwang mich, mich wieder zu sammeln und meine Sinne nicht durch das Geschehene zu verfälschen. Mit angehaltenen Atem, lauschte ich wie ein Bluthund, bedacht darauf nicht selber Geräusche von mir zu geben. Blitzschnell drehte ich mich um meine eigene Achse, als ich leise, tapsende Schritte hörte, die sich mir langsam näherten. Ich blickte in das angstverzerrte und überraschte Gesicht eines kleinen Mädchens. Mein Blick wanderte weiter zu ihrer Hand, die eine Bratpfanne so fest umschlossen hatte, dass ihre Knöchel weiß hervor traten.

Bevor ich reagieren konnte, geschweige den einen Laut von mir geben konnte, schlug sie schon mit der Bratpfanne auf mich ein.

Süß. Wirklich niedlich. Lief einfach in die Höhle des Löwen, nur mit einer Bratpfanne bewaffnet .Ohne große Mühen warf ich sie über meine Schulter, ignorierte ihre erfolglosen Versuche sich aus meinem Griff zu winden, bahnte meinen Weg zum Badezimmer, warf sie grob in die Badewanne, ignorierte ihr Winseln und Weinen, fesselte sie geschickt an Armen und Beinen und durchsuchte schließlich seelenruhig den Schrank nach einer möglichen Mordwaffen, während sie weiterhin versuchte sich aus den Fesseln zu befreien. Ich quittierte ihre Mühen nur mit einem kurzen, abwerteten Blick.

Ihre großen, braunen Augen suchten nach einem Hauch von Menschlichkeit in meinem Gesicht, nach Reue oder Mitgefühl. Als sie merkte, dass die Suche vergeblich war, heulte sie laut auf und mehr Tränen kullerten über ihre Wangen.

Eine Packung mit Schlaftabletten und ein Einwegrasierer erregten meine Aufmerksamkeit, nach kurzem Abwegen griff ich nach dem Rasierer. Ein wenig Schmerzen wären für sie angebracht.

Als sie die Klinge in meiner Hand sah, weiteten sich ihre Augen in Horror und Angst. Sie wusste was ich vor hatte und das erhöhte meinen Nervenkitzel umso mehr.

Seelenruhig kniete ich mich vor die Badewanne und befreite sie von ihren Fesseln. Sofort versuchte sie sich aufzurichten und mich zu überwältigen, aber natürlich wieder erfolglos. Langsam wurde ich wirklich ungeduldig.

Grob packte ich mit einer Hand ihre Arme, mit der anderen Hand setzte ich die Rasierklinge an. Darauf erpicht keine blauen Flecken zu hinterlaßen, lockerte ich meinen Griff wieder, als ich merkte, dass sich das Blut langsam in ihren Armen staute.

Das Tuch in ihrem Mund dämpfte ihren lauten Aufschrei, als ich die Klinge tiefer in ihr Fleisch drückte. Die ersten Blutströpfchen flossen aus der Wunde.

Ich erhöhte den Druck auf der Haut und fing gleichzeitig an die oberste Hautschicht zu durchschneiden.

Nur nach wenigen Sekunden waren ihre Arme mit Blut bedeckt, ihre helle Hautfarbe konnte man schon nicht mehr ausmachen.

Sie verlor langsam das Bewusstsein, ihre Schreie wurden leiser, ihr Gesicht entspannte sich langsam und ihre Augen drohten immer wieder zu zufallen.

Als ihr Kopf schließlich zur Seite kippte, entfernte ich hastig ihre Fesseln und stopfte alles in meinen Rucksack. Nach einem letzten kontrollierenden Blick, ob ich wirklich auch keine Spuren hinterlassen hatte, sprintete ich zum Fenster und stieg wieder auf die Feuertreppe.

Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, riss ich mir buchstäblich die schwarzen Handschuhe von meinen Händen, legte meinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Nur langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder. Das Adrenalin wurde weniger. Meine Hände fingen an zu zittern.

Die kalte Nachtluft umspielte sanft mein Gesicht, streichelte meine kantigen Gesichtszüge, fast so als würde sie mich trösten wollen. 

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⏰ Last updated: Jun 04, 2019 ⏰

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