Kapitel 1

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Schweiß lief über meinen Rücken, aber ich bewahrte mein Pokerface bis ich starb. Hannano sollte nicht merken, wie schlecht es um mich stand.
Sie saß mir gegenüber, die Beine überkreuzt, hatte sich einen braunen Pelzmantel aus Kunstfell, natürlich, lässig über die Schultern geworfen, ihre weißen Haare fielen in leichten Wellen darauf und aus ihrem wohlgeformten Gesicht, das sie halb mit ihren Handkarten verbarg, blitzten mir ihre lilafarbenen Augen entgegen. Ihr Blick war durchdringend und erotisch, aber ich durfte mich davon nicht aus der Fassung bringen lassen, genauso wenig wie von der weißen Katze, die sie aus mir nicht weiter bekannten Gründen auf dem Schoß trug und mit ihrer freien Hand am weichen Fell um den Hals kraulte.
Das hier war das Duell meines Lebens, es ging um Alles. Jahrelang hatte ich mich in meinem Keller verbarrikadiert und Monopoly Go geübt, die Kartenspielvariante des berühmten Klassikers, die es irgendwann mal als Bonus pro zehn Euro Einkaufswert bei Rewe gegeben hatte. Keine Schleichwerbung an dieser Stelle.
Unser knochenhartes Duell neigte sich dem Ende zu, sie hatte bereits zwei Sets vervollständigt, ihr fehlte nur noch eines. Ich hingegen hatte noch keine einzige Dreiergruppe vor mir liegen, es sah wirklich nicht gut für mich aus.
Nervös musterte ich mein verbliebenes Blatt. Ich hatte zwei "Nix da"-Karten, einmal gelbe Miete und eine rote Straße, allerdings hatte Hannano bereits ein angefangenes Set aus roten Karten vor sich liegen. Ich konnte nicht riskieren, meine Straße zu spielen, denn ich wusste, dass sich noch eine "Schlau geklaut"-Karte im Spiel befand, und wenn meine Gegnerin sie nicht auf der Hand hatte, dann befand sie sich im Nachziehstapel. Zwar konnte ich sie mit "Nix da" regulieren, aber wer wusste schon, was Hannano plante. Sie war nicht ohne Grund die weltweit beste Monopoly-Go-Spielerin, deswegen wollte ich kein Risiko eingehen. Aber nun war sowieso erst einmal ihr Zug.
"Ich baue ein Haus." Ihre Stimme war so kalt wie ihre Aura und jedes Wort jagte mir einen neuen Schauer durch den Körper. Nichts an ihrem Ausdruck schien zu verraten, was ihr Plan war. Die Bewegung, mit der sie die Ereigniskarte auf ihrem fertigen Set platzierte, wirkte genauso gekonnt wie kontrolliert. "Und dann", ich hatte den Eindruck, ein kurzes Grinsen über ihre Lippen huschen zu sehen, "treibe ich Miete ein. Für Lila." Diesmal war die Bewegung nicht ruhig, aber dennoch wirkte jede Zuckung geplant, als sie die verhängnisvolle Karte aus ihrem Blatt zog und schwungvoll auf den Tisch niedersausen ließ. Ich brauchte nur Bruchteile von Sekunden, um die Situation zu erfassen, nun zahlten sich die Reflexe aus, die ich seit meiner frühsten Kindheit bei Spitz pass auf und Halli Galli trainiert hatte. Meine Eltern, ebenfalls renommierte Monopoly-Go-Spieler hatten mein Training damals als nutzlos und lächerlich beschrieben. Wenn sie mich doch nur jetzt sehen könnten!
Ich erkannte, dass ich, sollte ich ihr die acht Dollar Miete zahlen, pleite wäre und demnach bei erneuten Kosten gezwungen wäre, ihr eines meiner Grundstücke zu überlassen, und das konnte ich nicht zulassen. Zu hart hatte ich für diese Karten gespielt.
Ohne ein Wort zu sagen zückte ich eine meiner beiden "Nix da"-Karten und donnerte sie so heftig auf den Tisch, dass das Publikum geschlossen zusammenzuckte, und ja - ich meinte auch Hannano kurz zusammenfahren zu sehen, ihre Katze maunzte kaum hörbar. Für eine Sekunde, ja, für eine Sekunde hatte ich das Gefühl, meine Gegnerin aus der Fassung gebracht zu haben. Doch dann blitzten ihre Augen auf, kurz zuckten ihre Mundwinkel nach oben, als sie die Augen niederschlug und mein Intervenieren schweigend zur Kenntnis nahm.
"Dann beende ich meinen Zug", hauchte sie, es musste der gleiche Klang sein, den auch ein Windhauch hatte, der im Winter über einen zugefrorenen See fegte und das Eis zum Brechen brachte.
Nun war ich dran. Ich zog zwei Karten - einmal Miete für Gelb, was ich nicht besaß, und einen Joker für Rot und Gelb, was mir ebenfalls nicht viel brachte. Ich biss mir auf die Unterlippe, denn die Regeln des Spieles zwangen mich dazu, mindestens eine Karte abzulegen. Ich hatte keine Wahl.
Meine Fingerspitzen zitterten schwach, als ich meinen Joker und meine rote Karte zusammenschob und sie auf dem Tisch vor mir ablegte. Einen Kommentar gab ich dazu nicht ab, mein Mund war zu trocken, um zu sprechen. Aber es war geschehen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Meine rote Straße war gelegt und ich hatte das Gefühl, den schlimmsten Fehler meines Lebens begangen zu haben.
Ein paar Sekunden lang hatte ich nicht die Kraft, um den Kopf zu heben, doch als ich mich endlich überwand und den Blick nach oben richtete, wurde mein Gefühl zu einer Gewissheit.
Der Blick meiner Gegnerin war nahezu getränkt von einer Mischung aus Triumph und Verlangen, eine unstillbare Gier schien Besitz von den lilafarbenen Pupillen ergriffen zu haben und sie von innen heraus zu dem zu bewegen, was sie nun tat.
Seufzend ließ ich meine Finger sinken. Abwenden konnte ich das Unvermeidliche nun auch nicht mehr, zumindest noch nicht, alles, was ich nun noch versuchen konnte, war die nächste Runde zu überstehen. Wenn mir das gelang und ich erneut zwei Karten ziehen konnte - dann hatte ich noch eine realistische Chance, mich zu retten. 
"Ich beende meinen Zug", murmelte ich, mein Herz schlug so heftig gegen meine Rippen, dass es schmerzte. 
Langsam, sehr langsam, löste Hannano ihre Hand aus dem weißen Fell ihres Haustieres, zog eine einzelne Karte auf ihrem Blatt hervor und platzierte sie mit einer sanften, gelassenen Bewegung direkt vor meinen ausgelegten Sets. 
Als ich sah, welche es war, rutschte mir das Herz in die Hose.
Es war sie. Es war die "Schlau geklaut"-Karte, die ich so sehr gefürchtet hatte. 
"Ich hätte gerne deine rote Straße", verlangte die Königin des Kartenspiels gebieterisch, doch ich hatte schon reagiert. Nun weder gelassen und gefasst, noch schwungvoll und Eindruck schindend löste ich meine zweite "Nix da"-Karte und warf sie schon beinahe darauf. 
"Ich weigere mich." Meine Stimme zitterte noch mehr als ich selbst.
"Wie du meinst." Schulterzuckend schlug Hannano die Augen nieder und nahm eine zweite Karte, um sie genau neben ihrer ersten zu platzieren.
"Dann verkauf sie mir doch bitte für vier Dollar."
Als ich auf die Oberseite ihrer Karte starrte, wurde mich schlecht. Eine brennende Überkeit raste durch meinen Hals, schoss in meinem Magen und explodierte dort, ich musste mich zusammenreißen, um mich nicht auf der Stelle zu übergeben. 
"Zwangsverkauf". Ich hatte vollkommen vergessen, das diese Karte noch im Spiel war.
Es war vorbei. Ich hatte verloren, nein, ich hatte versagt. Und ich konnte mich nicht einmal dagegen wehren.
Das Publikum applaudierte donnernd, Hannano lehnte sich grinsend zurück, ihre Katze war eingeschlafen, und ich, ich fühlte mich an meine Vergangenheit als Pokémontrainer erinnert und beschloss, einfach in Ohnmacht zu fallen. 

Boku no Monopoly Go no M!!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt