Kapitel 2

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Das Leben auf der Straße war kein einfaches. Aber ich hatte keine Wahl, das Schicksal hatte mir die Entscheidung abgenommen. Es war es gewesen, was damals meine Eltern umgebracht hatte, ohne den Autounfall würden sie nun noch leben, und aus dem Waisenhaus hatten sie mich rausgeworfen, weil ich zu viel geheult hatte. Irgendein dubioser Typ, den ich auf der Suche nach Nahrung aus dem Fluss gezogen hatte, hatte mir zwar erklärt, wie man sich in einen Tiger verwandelte, aber es hatte nicht geklappt, und er war dann gegangen, weil er sich wohl beim heulenden Waisenjungen vertan hatte. Seltsamer Kerl.
So kam es nun also, dass ich im Untergrund aufgewachsen war, alles, was ich hatte, war mein Monopoly-Go-Kartendeck, dass es mir ermöglichte, mich mit illegalen Monopolyspielen über Wasser zu halten. Es war ein schmutziges Geschäft, das war es definitiv, aber ich hatte keine andere Wahl, wenn ich nicht elendig in den Slums verhungern wollte. Hier gab es weder Regeln und Gesetzte, noch so etwas wie eine Gemeinschaft. Hier draußen, am Berghang, außerhalb der Stadt, gab es nur mich und meinen Herzschlag.
Manchmal erkannten mich Leute als den Spieler, der einmal ganz oben gewesen war, und sie lachten mich aus, wenn ich gegen sie verlor. Seit meiner grausamen Niederlage gegen Hannano war es mit meiner Karriere steil bergab gegangen - ich hatte schlicht und einfach die Motivation verloren.
Jahrelang hatte ich trainiert, ich hatte analysiert und ich hatte gelernt, um eines Tages der Beste Monopoly-Go-Spieler zu sein, DER BESTE, noch besser als meine Mutter und mein Vater, die ganz oben an der Weltrangliste gestanden hatten. 
Aber dieser Platz war belegt. Auf diesem Thron residierte nun einmal Hannano, und vor ihr waren es ihren Vorfahren gewesen. Allein schon für ein Duell gegen sie musste man eine Laufbahn hinlegen, die einen Marsch durch alle neun Höllenkreise, voll von singenden Blumen und Hunden, die sich fragten, ob es Huhn gab, wie einen gemütlichen Sonntagsspaziergang aussehen ließ. 
Und dennoch, ich hatte es einmal geschafft.
Ich hatte ihr gegenüber gesessen und ich hatte gegen sie gespielt.
Erfolglos. Ich hatte nicht nur verloren, nein, ich hatte versagt, und mit einem Mal hatte ich all das Ansehen verloren, dass ich mir über die Jahre hinweg so hart erarbeitet hatte. 
Nun lebte ich hier, an einem Ort, an den sich kein normaler Mensch jemals wagen würde, und meine größte Erungenschaft war ein flippiges Bandana, dass ich mir einmal in einem Duell erspielt hatte und seitdem gewissenhaft trug. 

Wenn ich eines gelernt hatte, dann war es, dass dieser Ort niemals schlief. Egal, wie hoch der Mond am Himmel stand, egal, wie weit die Sonne schon von Osten nach Westen gewandert war: Man traf auf dem, was man schon gar nicht mehr mit dem Begriff Straße beschimpfen konnte, immer unzählige Menschen, und man musste immer auf der Hut sein. Die Not hatte uns alle in die Kriminalität getrieben.
Aus genau diesem Grund hatte ich es mir angewöhnt, bei Nacht in die etwas gehobeneren Viertel zu fliehen. Mein Favorit war eine Gegend, in der vorwiegend Arbeiter hausten, die zwar auch nicht die Reichsten waren, aber immerhin über einen Job und ein Einkommen und einen sicheren Wohnsitz verfügten und nicht bei jedem Regenguss bangen mussten und dafür beteten, dass das Wasser aus dem Himmel das einzige Dach über dem Kopf nicht hinwegschwemmte wie als wäre es nur Schmutz am Straßenrand.
Ja, genau das waren Menschen wie ich.
Schmutz am Straßenrand, den man am Besten gar nicht beachtete, sondern sich selbst überließ.
In der Gegend, die ich des Nachts zu besuchen pflegte, gab es viele enge, verwinkelte Gassen, in denen man sich gut verstecken konnte. Sehen lassen durfte ich mich natürlich nicht - sie würden mich mit Füßen treten oder einfach die Polizei rufen. 
Aber in den düsteren Seitengässchen trieb sich beinahe nie jemand herum, und wenn doch, dann waren es so zwielichtige Gestalten, dass sie wir lieber nicht miteinander sprachen, weil wir uns gegenseitig kein Alibi für unsere Anwesenheit geben wollte. 

An dem Abend, an dem sich noch einmal alles änderte, war ich wieder in einer dieser Straßen unterwegs, nervös war ich nicht, denn ich hatte mein Monopoly-Go-Kartenset immer bei mir. ich konnte mich jederzeit verteidigen, und suchte nach einem sicheren Schlafplatz. Mein Weg führte mich durch eine enge Gasse, die halb von großen, überquellenden Mülltonnen versperrt war, an den kahlen Hausfassaden erkannte ich keine Fenster. Niemand wollte einen solchen Schandfleck ansehen.
Die letzten Nächte hatte ich hier verbracht, denn eine der zahlreichen Tonnen war umgefallen und komplett leer, es war ein sicherer Ort. Auch, wenn es hier bestialisch stank, nicht nur wegen des Mülls, sondern auch wegen der zahlreichen Kanalöffnungen, aus denen aufgrund der dahinter verendeten Ratten ein ekelhafter Verwesungsgeruch entwich. 
Doch am heutigen Abend war ich mir schon beim Einbiegen in die Seitenstraße sicher, dass ich mir eine andere Unterkunft für die Nacht suchen musste, denn dieses Mal war ich nicht alleine. Eigentlich hatte ich das Gefühl, selbst Gott höchstpersönlich habe diese Gegend verlassen, doch an der linken Hauswand lehnte eine menschlich aussehende Gestalt. Er trug einen langen Mantel, der bis auf den Boden fiel, und einen Hut mit breiter Krempe, den er sich so nach vorne gezogen hatte, dass er sein komplettes Gesicht überschattete. Seine Arme hatte er vor seiner Brust verschränkt, und obwohl diese Kreatur ganz offensichtlich nach unten starrte, fühlte ich mich irgendwie beobachtet. 
Eilig schob ich meine Hände in die Hosentaschen, meine Finger klammerten sich fest an mein Kartenset. Ich mochte es nicht, in Gesellschaft von Zwielichtigen Gestalten zu sein.
"Du da." 
Ich war genau auf der Höhe des Fremden, als er mich von der Seite ansprach. Ich spürte, wie mein Herz einen Schlag aussetzte und ich heftig zusammenfuhr. Nichts anmerken lassen, sagte ich mir, der will dir nur irgendwas andrehen. Ohne weiter zu reagieren machte ich ein paar Schritte nach vorne. Dann erhob er erneut die Stimme.
"Ich meine dich, Janano. Ich will dir nichts Böses. Gib mir eine Chance."
Als er meinen Namen nannte, gefror mir das Blut in den Adern. Obwohl die Gegend, in der ich normalerweise lebte, komplett gesetzlos war, stellte ich mich aus Sicherheitsgründen nie mit meinem richtigen Namen vor. Man kannte mich unter einem Pseudonym. Aber dieser Fremde, diese Gestalt kannte, obwohl das unmöglich war, meinen echten Namen, nicht nur das, er sprach ihn auch noch korrekt aus. Mit der Betonung auf der zweiten Silbe, das wusste kaum jemand. Innerhalb von Bruchteilen von Sekunden jagte eine Gänsehaut über meine Arme.
Wer war dieser Fremde?
Und was wollte er von mir?
"Du fragst dich bestimmt, wer ich bin, und was ich von dir will", tönte es in dieser Sekunde von der Seite, "Verzeih mir den mangelnden Anstand. Ich werde mich vorstellen."
Aus reinem Schutzinstinkt hatte ich mich herumgedreht und beobachtete, wie er sich von der Wand abstieß, seinen Mantel richtete und seinen Hut nach oben schob. Mondlicht fiel auf sein angenehm geformtes Gesicht, offenbarte müde Augen, von dunklen Ringen unterzeichnet, und markante Wangenknochen, umrahmt von leicht gewelltem, schwarzen Haar. 
"Mein Name", murmelte der Fremde gedämpft, "Ist Howardo Dillipo Lovocrafto."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 18, 2019 ⏰

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