1 - Un souhait

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Nachdenklich zog ich einen dunkelblauen Pinselstrich, oder wie Monsieur Clément damals gesagt hätte: Einen azurblauen Akzent. Ich biss mir auf die Lippe. Stop. So war es perfekt.
Noch immer mit Pinsel und Palette in der Hand wich ich einige Schritte zurück und musterte mein Werk.
Groß, chaotisch, farblich korrekt. Für mich bildete dieses Wirrwarr an Farben eine liebevolle Verknüpfung von Gedanken und Emotionen, die ich meinen Kunden gerne geben wollte. Dieses Bild vor mir war keines, das ich selbst ausstellen würde, sondern eine Wunschanfertigung für eine meiner Kundinnen. Madame Loraine wünschte es sich. Wer die Loraine's waren? Eine wohlhabende Familie aus dem Süden Nizza's mit fünf Kindern, gigantischer Villa und protzigen Wägen, welche man sich nur in den kühnsten Träumen vorstellen wollte. Für jemanden wie mich unglaublich.
"So bist du wunderbar", murmelte ich mehr zu dem Bild als zu mir selbst.

Seit ich mein Studium abgeschlossen hatte widmete ich mich meiner kleinen Galerie. Oder wie mein Cousin Hugo es gern nannte: Mein Museum. Es war ein Laden inmitten Nizza's westlichem Künstlerviertel, ein Ort der unendlichen Kreativität und Freiheit. Damals hatte ich meine letzten Pfenninge dafür geopfert, alles zusammen mit Hugo renoviert und mich letztendlich dauerhaft hier niedergelassen.
Seufzend schob ich diese Gedanken beiseite und überlegte scharf, ob ich denn noch etwas am Bild ändern konnte.
Madame Loraine würde es auch so lieben, mit Sicherheit nur der Feinschliff...

Ein leises Klopfen am Durchgang von der Ausstellung meiner Werke zum Atélier stoppte meine intensive Analyse. Stirnrunzelnd drehte ich mich herum und entdeckte einen älteren Mann in Anzug vor mir. Ich kannte ihn zu gut.
"Didier Deschamps", sagte ich und lächelte.
"Schön hast du es hier", antwortete er. Schnell wischte ich all die Farbe von meinen Fingern und nahm ihn in die Arme.
"Wie lange habe ich dich nicht mehr gesehen?" fragte ich ihn glücklich. Didier hielt mich eine Armlänge von ihm entfernt und musterte mich.
"Sehr lange, Julie. Viel zu lange." Zum Vergleich stellte er sich mir gegenüber. "Jedenfalls bist du unheimlich groß geworden."
"Und sehr alt!" Lachend ließ ich mich auf meinen Hocker fallen.
"Wegen was bist du hier?" wollte ich neugierig wissen.
Es wunderte mich ein wenig, denn Didier war schon immer ein viel beschäftigter Mann gewesen, der nur selten Zeit für meinen Vater aufbringen konnte. Er lächelte als ich ihn erwischt hatte, deutete um sich und schien begeistert.
"Ich, beziehungsweise der französische Fußballverband hätte einen Job für dich. Ich habe mich daran erinnert, dass Adrien einmal erwähnt hatte, dass du malen würdest und unser Trainerstab hat beschlossen den Spielern ein unvergessliches Erlebnis zu gewähren", erzählte er. Die Hände in den Hosentaschen. Didier war alt geworden, doch er war noch immer ein Herr mit Stil.
"Und dieses unvergessliche Erlebnis soll sein?"
"Wie du weißt ist in einigen Monaten die Weltmeisterschaft in Russland. Uns wurden Standorte und Hotels bereits zugeteilt und wir werden alles in blau gestalten", erklärte er mir. "Du weißt schon, überall mit unseren Farben, unserer Nation... Die Spieler sollen sich besonders fühlen. Und Pauline - sie ist soetwas wie unsere Koordinatorin - hatte da die Idee, dass wir auf jede Zimmertür Bilder von den Spielern anbringen. Sie wollten das alles günstig gestalten und einfach eine Art Aufdruck aufkleben." Ich rümpfte meine Nase, denn ich konnte mir bildlich gut vorstellen, dass das am Ende mehr als vermurkst aussehen würde.
"Lass mich raten. Ich soll sie zeichnen?" hakte ich nach. Didier grinste breit. Für mich war er schon immer jemand gewesen, der gut durchschaubar war. Manchmal glich er einer Glasfigur und all seine Gefühle und Emotionen strömten nur so durch seinen Körper. Wie damals.
"Für dich springt eine unglaubliche Bezahlung dabei raus plus", mit erhobenem Zeigefinger drehte er sich herum, "darfst du exklusiv bei uns bleiben, weil wir dich vermutlich bis zum Schluss benötigen. Du fotografierst doch noch, richtig?" wollte er wissen.
"Schon, aber nicht mehr sehr häufig..."
"Ist egal! Ist super. Du hast das Detail im Auge und wir würden dich gerne als Fotografin dabei haben, die Eindrücke vom Training, den Spielen und so weiter festhält und wir damit unseren Anhängern eine Freude bereiten können." Didier stoppte seine kleine Rede. Erwartungsvoll musterte er mich.
"Wär das was für dich?" Ich dachte daran, dass ich den Laden für diese Zeit schließen musste, andererseits bot sich für mich die Gelegenheit durch meine Fotos mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und vielleicht war einer von diesen Fußballern ja an meinen Bildern interessiert? Somit hätte ich eine erhöhte Reichweite.
"Julie?" Erschrocken zuckte ich zusammen.
"Ich war in Gedanken." Ich rückte mich nochmals gerade. "Wie lange habe ich dafür Zeit?"
Didier brauchte einen Moment um zu verstehen, was ich ihm da gerade gesagt hatte, welch wahnsinnigen Gefallen ich ihm tat. Erfreut lief er auf mich zu, küsste mich links und rechts und links und wieder rechts und hielt mein Gesicht anschließend zerquetscht zwischen seinen Händen.
"Chérie das wird fabelhaft! Ich kann die Gesichter der Jungs schon vor mir sehen!", jubelte er begeistert.
"Didier", brachte ich leise hervor, denn mein Gesicht erinnerte noch immer an einen zermatschten Apfelkuchen.
"Und dann kommen sie ins Hotel und.."
"Didier!" versuchte ich es etwas energischer. Er starrte mich geschreckt an. Sofort ließ er von mir ab und rückte sein Hemd zurecht.
"Pardon, Julie. Ich habe das vor Euphorie übersehen. Weißt du, dieses Jahr zählt es. Wir wollen Weltmeister werden und da muss alles passen. Vom Team über die Spieler bis hin zum Aufenthaltsort."
"Verstehe."
Didier erklärte mir nochmals ausdrücklich wie wichtig diese Sache für ihn war, da es - seiner Meinung nach- eine der letzten Chancen für ihn als Coach der l'Equipe war, einen internationalen Titel dingfest zu machen und er die finale Truppe nach tiefgründiger Beobachtung über die noch laufende Saison fast schon eins zu eins im Kopf hatte, so wichtig war es. Überlebenswichtig.
"Wann soll ich dann da sein?" war alles was mich wirklich interessierte.
"Wie viel Zeit wirst du bei 23 Türen benötigen?" Ich überlegte kurz.
"Einen Monat?" stellte ich in den Raum und er hielt seine Hand flach nach oben. Glücklich schlug ich mit dem guten Freund unserer Familie ein.
"Ein Monat ist super. Ich wusste, dass ich auf eine Margant zählen kann!"

Julie ~ A.GriezmannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt