Der Käfig

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Category: Poetry Slam
Language: German/Deutsch
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Als ich kleiner war, erzählten mir meine Eltern, ich sei wunderschön. Ich glaubte ihnen. Doch dann sah ich die Frauen im Fernsehen. Sie waren schlank, braungebrannt und hatten blondes oder brünettes, langes Haar. Ich war pummelig und mein orangenes Haar kringelte sich um mein bleiches Gesicht. Erst später lernte und versuchte ich, mich dem System anzupassen. Ich aß weniger, ließ meine Haare wachsen und versuchte mich zu bräunen. Als ich älter wurde, engte mich der Käfig der Perfektion der Gesellschaft mehr und mehr ein. Ohne jegliche Chance, mich jemals schön zu fühlen, klatschte ich mir Make-Up und Lippenstift ins Gesicht, glättete meine Haare und trug angesagte Kleidung und fing an, mit den beliebten Leuten rumzuhängen. Mit zunehmenden Druck, perfekt zu sein, versteckte ich mein wahres Ich. Ich wollte schön sein, aber dieser Käfig ließ mir keine Luft zum Atmen. Meine so genannten Freunde mochten meine Maske. Ich sah, wie Menschen ihr wahres Selbst umbrachten und lieber eine Lüge lebten, nur um in den Käfig zu passen und von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Ich wollte auch in diesen Käfig passen, doch ich schaffte es nicht. War es der Zwang der Perfektion oder meine falschen Freunde, die mir zu sagen versuchten, wie ich zu sein habe? Ich weiß es nicht. Ich wollte mich nicht mehr von dem Käfig der Gesellschaft erdrücken lassen. Nicht mehr verstecken wer ich bin, nicht mehr verstecken, wie ich fühle. Die angesagte Musik ging mir auf die Nerven und die Maske jeden Morgen aufzusetzen kostete mich wertvolle Zeit. Doch ich schaffte es nicht. Ich vernachlässigte meine Hausaufgaben, tat nichts mehr für die Schule und war ganz damit beschäftigt in den Käfig zu passen, obwohl es mich innerlich zerstörte. „Zeig nicht dein wahres Ich! Du bist nicht gut genug! So bist du besser! Du bist glücklich! Du bist beliebt!“ Doch was ist es wert, jemand zu sein, der zwar bei den anderen gut ankommt, wenn man sich selbst aber nicht ausstehen kann?
Der Käfig versucht, einem eigene Hoffnungen, Träume und Vorstellungen zu nehmen. Er erstickt eigene Interessen und versucht einem die idealistische Lebensform einzuzwingen. Einige lieben den Käfig, weil sie sich dann keine Sorgen mehr machen müssen. Sie leben nach den Regeln der Gesellschaft und verlieren ihre Individualität. Ohne Grund stürzen sie sich in die Gleichheit dieser faschistischen Gesellschaft und verlieren dabei einen Teil ihrer selbst. Keine Sorgen und Mühen mehr. Das ist die eine Seite vom Käfig. Dann gibt es noch die Wahrheit. Die Unterdrückung aller Besonderheiten, da es nur den stereo-typischen Menschen geben darf. Die Wahrheit des Käfigs darf nie ans Licht gelangen. Die aufwendige Fassade, die über Jahre von der Gesellschaft aufgebaut wurde, darf keine Risse haben. Die perfekte Welt soll entstehen und lässt keinen Freiraum für eigenes Denken, eigene Ideen oder sogar zum Atmen. Doch was ist hinter dem Elektroschockerlächeln? Was ist hinter den gestylten Haaren und den mit Selbstbräuner angemalten Körpern? Nichts. Nichts von wirklichem Wert. Kalte Körper, die so nicht von der kapitalistischen Welt akzeptiert wurden. Sie haben keinen Wert mehr, da sie von ihrer selbst erschaffenen, „besseren“ Maske verstoßen wurden. Der Käfig verstecke all das Wahre, das Schlechte und das Schreckliche.
Wir vergessen unser selbst in diesem Käfig, ganz versessen darauf, dem Status Quo zu entsprechen. Mit kleinen Versuchen, versuchen wir, uns selbst mehr Luft zu geben, unserer Individualität mehr Freiraum zu lassen und einfach mal sich keine Sorgen mehr zu machen. Es ist schwer, ohne Frage, doch die Vorstellung den Geruch der Freiheit in der Nase zu haben nd den Geschmack der Individualität auf den Lippen, lässt die Stäbe des Käfigs erzittern. Ohne jemanden, der sich zuerst traut, die Gitterstäbe zu durchbrechen, kann es keine Freiheit geben. Ich kann nicht mehr. Ich will atmen und meinen eigenen Willen durchsetzen dürfen. Ich will nicht mehr die bereits rissige Fassade aufrechterhalten, hinter der ich mich verstecke. Meine Ausdauer neigt sich dem Ende und meine Hände können die Maske nicht mehr halten. Ich zittere und mein falsches ich fällt und zerbricht auf dem Boden des Käfigs. Ich bin allein. Auf einmal wenden sich alle von mir ab. Ich bin wieder das bleichgesichtige Mädchen mit den orangenen Haaren. Meine wimmernde Stimme schallt in meinem Kopf. Mit zitternden Händen versuche ich, meine Maske wieder zusammenzusetzen, doch es gelingt mir nicht. Ich gehe einen Schritt vorwärts und unter meinem Fuß höre ich ein Stück der Maske brechen. Den Schmerz der Scherben ignorierend, trete ich gegen die Stäbe, immer und immer wieder. Die Gitterstäbe brechen. Einer nach dem anderen gibt nach und der Käfig fällt in sich zusammen. Der Geschmack der Freiheit macht sich in meinem Mund breit und ich merke, wie meine Füße bluten. Es macht mir nichts aus. Ich möchte rennen und die Schmerzen spüren. Auch wenn sich dadurch die Scherben in mein Fleisch bohren, ich weiß, dass ich lebe. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich, als wäre ich ich. Ich weiß, dass ich anders als die anderen bin. Aber es stört mich nicht mehr. Endlich kann ich wieder atmen. Weg mit der angeagten Musik, weg mit dem Make-Up, weg mit der zu engen Kleidung. Mit einer Scherbe schneide ich mir die Haare auf Länge des Schlüsselbeins. Mit Still Breathing in den Ohren, einem Stapel Bücher in den Armen und frischer Luft in meiner Lunge laufe ich menschen entgegen, die mich mögen, nicht meine Maske. Ich darf endlich fühlen, mich so verhalten, wie ich will. Endlich Ich sein. Noch nie war ich so glücklich. All die Jahre hätte ich nur die Maske abnehmen müssen um die Wahrheit vor mir zu sehen. Wer weiß, wie ich jetzt wäre, hätte ich die Maske früher aufgegeben. Hätte ich den Mut gehabt, meiner selbst treu zu bleiben? Hätte ich früher den Anschluss finden können? Doch es ist schwer. Und sobald ich aufwache, sehe ich wieder die Gitterstäbe vor mir. Jeder tag ist ein Kampf, doch ich habe es einmal geschafft. Ich schaffe es wieder. Und am Ende ist es nur ein kleiner Käfig der Gesellschaft, errichtet um unsere Angst zu verstecken.

       

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