Wie ein Wirbelwind.

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»Ich bleibe nur ein paar Tage, maximal eine Woche«, versichere ich meinem Bruder zum gefühlt hundertsten Mal und schleife meine Reisetasche die Treppenstufen nach oben. Vier Stockwerke ohne Fahrstuhl – für den Zeitraum meines Aufenthalts kann ich mir das Fitnessstudio sparen.

»Mach dir keine Gedanken, Nika. Henry kommt erst in drei Wochen wieder und bis dahin kannst du sein Zimmer haben.« Mit erstaunlicher Leichtigkeit trägt Robbie einen Umzugskarton mit meinen wichtigsten Habseligkeiten nach oben. Alles Dinge, die ich auf gar keinen Fall im Studentenwohnheim lassen wollte.

»Und er hat sicher nichts dagegen?«, frage ich nach und bleibe schnaufend vor der Wohnungstür stehen.

»Absolut nicht. Er hat mich sogar gebeten, dass ich ein paar Fotos von dir beim Schlafen schieße.«

Ich schüttle mich bei dem Gedanken. Henry ist einer der nettesten Jungs, die ich kenne. Das Objekt seiner Fantasien möchte ich trotzdem nicht sein.

»Größere Sorgen mache ich mir allerdings um dich und Sixten.«

Der Name seines zweiten Mitbewohners löst eine Gänsehaut aus. Sixten Hendricks – es gibt viele Eigenschaften, die den dunkelhaarigen Womanizer beschreiben, aber die wenigsten davon sind positiv.

»Wieso denn?«, frage ich, als ob ich nicht wüsste, was gemeint wäre.

»Tu doch nicht so«, entgegnet Robbie lachend. »Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr beide euch an die Gurgel geht, liegt schätzungsweise bei einer Million Prozent.«

Abwehrend verschränke ich die Arme vor der Brust, während Robbie seinen Schlüsselbund aus der Jackentasche zieht und aufschließt.

»Im Gegensatz zu ihm kann ich mich benehmen«, murre ich und folge meinem Bruder in die Wohnung.

Mein fleischgewordener Albtraum steht bereits im Flur, als könne er es gar nicht abwarten, mich persönlich zu begrüßen.

»Schade, ich hatte die leise Hoffnung, dass du den Giftzwerg unterwegs ausgesetzt hast.« Seine monotone Stimmlage schafft es innerhalb von Sekunden, mich aggressiv zu machen. Als hätte er ein einen siebten Sinn dafür, wie man mich am schnellsten auf die Palme bringt.

»Hallo, Sixten, solltest du nicht mit dem Kopf zwischen den Beinen einer Blondine sein, deren IQ gerade so im zweistelligen Bereich ist?«, erwidere ich mit einem künstlichen Lächeln und lasse die Reisetasche auf den Boden fallen.

Robbie verdreht genervt die Augen und trägt den Karton in »mein« Zimmer.

»Ich bin mir sicher, dass zwischen deinen Beinen schon lange keiner mehr gewesen ist, Herzchen.«

Ich fange bereits an, meinen Aufenthalt hier zu bereuen. Die einzige Alternative – unter der Brücke schlafen – klingt momentan geradezu verlockend.

»Da dürfen nur Menschen mit Niveau hin, Vollidioten wie du ausgeschlossen«, sage ich und quetsche mich an ihm vorbei, um zu meinem Bruder zu kommen.

»Schafft ihr beide es eigentlich, euch fünf Minuten im selben Raum aufzuhalten, ohne aufeinander loszugehen?«, fragt Robbie und sieht zwischen mir und Sixten, der mir still gefolgt ist, hin und her.

»Wir begrüßen uns nur«, erkläre ich schulterzuckend und kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Egal wie sehr Sixten mir manchmal auf die Nerven geht, die Auseinandersetzungen mit ihm machen auf eine merkwürdige Art und Weise Spaß.

»Wie ihr meint. Das Bett ist frisch bezogen, fühl dich wie zu Hause.« Ganz der große Bruder drückt er mir einen Kuss auf den Kopf und geht ins Wohnzimmer.

Challenging Disasters - Trusting Me (ehemals Game of Hazard)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt