Die Freundin

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We all wear masks, and the time comes when we cannot remove them without removing some of our own skin.

- André Berthiaume -






D I E    F R E U N D I N 


„Ich bin nicht untervögelt, Ana", kommentiert Nika meine halbherzigen Versuche, ihr beim gemeinsamen Mittagessen die Vorzüge von Gelegenheitssex näherzubringen. Anstatt sich ständig mit ihrem unsympathischen, aber verflucht heißem Mitbewohner Sixten zu streiten, könnte meine beste Freundin ihre Energie um einiges sinnvoller einsetzen.

Just in dem Moment schleicht Diego Ramirez, Quarterback unseres Football-Teams, den RAWRcats, an uns vorbei und berührt Nika am Hals. Dass die beiden gelegentlich das Freundschaft-Plus-Prinzip aufleben lassen, ist kein Geheimnis. Bin ich deswegen neidisch auf Nika, weil Diego eine absolute Sahneschnitte ist? Möglicherweise. Werde ich ihr deswegen wie ein unreifes Fangirl eine Eifersuchtsszene machen? Definitiv nicht.

„Siehst du?", erwidert sie mit einem selbstgerechten Gesichtsausdruck und mal wieder stellt sich dieses vollkommen unpassende Gefühl von Neid bei mir ein.

„Angeberin", nuschle ich und schiebe mir ein dampfendes Stück Tortellini in den Mund. Gedanklich versuche ich, mich nicht damit zu befassen, dass Diego mich keines Blickes gewürdigt hat, und schreibe im Kopf bereits einen Artikel für die Studenten-Zeitung, bei der ich mich unabhängig von meinem Studienfach, Biomedizin, engagiere. Die Liebe zum Journalismus ist eines der wenigen Dinge, die ich mit Nika, die es zusammen mit Media Relations als Studienfach gewählt hat, teile. Sie hat heute Morgen bereits die Fotos für einen Artikel über die mangelnde vegane Küche in der Mensa geschossen, zu dem wir vor unserem Mittagessen den dazugehörigen Text verfasst haben.

„Ich schreibe dir, wenn der Artikel die Korrektur überlebt hat", sage ich zu ihr auf dem Weg zu unseren Kursen und checke parallel meine Mails auf dem Handy.

„Wenn er schon wieder aufgrund einer falsch verwendeten Redewendung abgelehnt wird, werde ich zum Grinch", erwidert sie grinsend und verabschiedet sich mit einer kurzen Umarmung von mir.

Und auf mich wartet jetzt eine dreistündige Vorlesung in Histologie, zu der ich mich aufmache.

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Am frühen Abend schultere ich meine Sporttasche und knipse das Deckenlicht aus, bevor ich mein winziges Apartment im Studentenwohnheim verlasse. Ein kleiner Schubs in Kombination mit Geld in Richtung Wohnheimleitung reichte in meinem Fall glücklicherweise aus, um auf eine Mitbewohnerin zu verzichten. Ich würde nicht soweit gehen, mich als Einzelgängerin zu bezeichnen, aber auf eine schnatternde, Bad blockierende Kommilitonin kann ich bestens verzichten.

Die wenigen Minuten Fußweg zum Fitnessstudio vertreibe ich mir mit einem alten Lied von Britney Spears auf den Kopfhörern, bis ich meine Aerial-Yoga Partnerin Jinjin erblicke. Wir haben uns vor ein paar Wochen gleichzeitig zu diesem Kurs angemeldet und schnell einen Draht zueinandergefunden. Für Jinny, die jetzt schon Panik vor ihren Prüfungen im Spätjahr schiebt, und mich, die generell angespannt ist, ist eine Stunde voller akrobatischer Verrenkungen genau das richtige als abendlicher Ausklang.

„Hey Ana", begrüßt Jinny mich fröhlich. Wie immer für den Kurs sind ihre schulterlangen, schwarzen Haare zu einem hohen Zopf gebunden und einige Strähnen haben sich daraus gelöst.

Challenging Disasters - Losing You (ehemals Two Faces)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt