Prolog

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Ich war zu spät. Mal wieder. Keuchend rannte ich die Treppen hinauf zu unserem Klassenraum. Wir hatten in den ersten beiden Stunden den wohl strengsten und miesesten Lehrer des gesamten Universums. Er hasste es, wenn du zu spät kamst. Und noch mehr hasste er dich, wenn du zu spät kamst und seine Hausaufgaben, die eigentlich nicht zu bewältigen waren gemacht hattest. Dummerweise war ich nun genau in dieser Situation. Ich könnte zwar sagen, dass ich mich am Morgen nicht wohlgefühlt hätte, doch diese Ausrede hatte ich schon zu oft benutzt, als dass er sie mir glauben würde. Schließlich kam ich vor der schmutzig gelben Tür, auf der mit schwarzen Stift „Arsch“ geschrieben wurde, an. Jap, ich war am Arsch. Dennoch atmete ich kurz durch, um nach diesem Marathon wieder Luft zu bekommen, klopfte an und drückte dann die Türklinke hinunter. Nein, dieses Gefühl in die Klasse zu kommen und dich alle anstarren, hatte ich wahrlich nicht vermisst. Doch da musste ich jetzt durch. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, trat Herr Unholzt an mich heran. Ich hatte gehofft einfach auf meinen Platz schleichen zu können und er ich wegen meines Zuspätkommens den Rest der Stunde ignorieren würde, doch dem war leider nicht so.

„Und wo kommst du jetzt her, junger Mann?“, fragte Unholzt schnippisch und klatschte mit dem schon etwas demolierten Zeigestock auf seine Hände, als wäre es ein Rohrstock. Doch ich behielt meine Ruhe. Das hier hatte ich schon öfter durch gemacht und ich hatte auf dem Weg genügend Zeit gehabt, mir alle möglichen Antworten ins Gedächtnis zu rufen.

„Von da draußen, hinter der Tür“, meinte ich und zeigte auf die Tür. Die Augenbrauen von Unholzt zogen sich etwas zusammen, während ein leises Kichern durch meine Klasse ging.

„So so. Ich hoffe du hast wenigstens den Aufsatz geschrieben, denn ich euch aufgegeben habe“, versuchte er es auf eine andere Weise.

„Ah!“, rief ich und schlug mir gespielt gegen die Stirn. „Tut mir leid, aber auf dem Weg hierher kam ich an einem Obdachlosen vorbei. Er meinte zu mir, dass ihm ziemlich langweilig wäre und da wollte ich ihm etwas zu lesen geben. Das einzige was ich dabei hatte, war der Aufsatz. Aber ich denke, dass ist nicht so schlimm, schließlich habe ich etwas soziales für einen anderen Menschen getan, dem es nicht so gut geht. So etwas machen Sie doch auch, oder? Ich hab jedenfalls gehört, dass sie den Suppenhäusern für die Obdachlosen öfter mal ausgelesene Bücher vorbei bringen, damit die Menschen dort was zu tun haben. Man haben wir viel gemeinsam! Aber ich schweife ab, Sie wollen ja sicherlich mit dem Unterricht weiter machen.“

Ich grinste ihn an und ging gemütlich zu meinem Platz. Herr Unholzt war so verwirrt, dass er genau das tat. Er drehte sich um zur dreckigen Tafel und fing an irgendetwas über die Naziezeit zu erzählen. Er redete so laut, dass er uns im Hintergrund nicht hörte. Denn wir hörten ihm nie zu. Nur ein paar Streber, die ganz vorne saßen und uns anderen ab und zu böse Blicke nach hinten warfen, aber wir nahmen diese nicht ernst. Sie würden uns nicht verpfeifen, dafür waren sie zu feige. Während also unser Lehrer uns versuchte etwas über die Geschichte von Deutschland bei zu bringen und in der Klasse Papierkügelchen und Papierflieger durch den Raum flogen, klopfte mir Paul auf die Schulter.

„Klasse gemacht!“, sagte er und zeigte seinen Daumen. „Dem Unholzt war gar nicht klar wie ihm geschieht.“

„Ja, aber sag mal wo warst du denn jetzt?“, meldete sich Fabio von hinten. „Du wolltest doch heute pünktlich kommen.“

„Das erzähle ich euch später, wenn alle da sind“, gab ich als Antwort zurück.

Paul, Fabio und ich waren die einzigen, die von uns in diese Klasse gingen. Alle anderen waren in ganz Hamburg verstreut, auf verschiedene Schulen, Asylhäuser und Brücken. Ja, wir waren ein bunt gemischter Haufen, doch wir hielten zusammen. Mein Name ist Jonas und ich bin der Anführer von ungefähr 35 Kindern und Jugendlichen, die sich zusammen gegen den Rest der Welt verschworen haben. Wir haben Freunde, Familie und Feinde und wir haben es uns zur Aufgabe gemacht unsere Heimatstadt zu verwüsten.

Der Köhlbrandbrücken-KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt