12. August 1802
Es regnete in Strömen. Kaum ein Mensch war auf den verschlammten Straßen von Invalides unterwegs. Es war kühl und mehr als ungemütlich, doch das war nicht das, was Arnos Gedanken bevölkerte. Bereits seit über einer Stunde wartete er im Schatten der Chapelle royale des Invalides, eng an das Gemäuer gedrängt. Seine Assassinenmontur war bereits vollkommen durchnässt. Östlich des Doms befand sich eine groß angelegte Gartenanlage und inmitten davon ein Springbrunnen, an dem trotz des Regens bereits seit einiger Zeit eine vermummte Gestalt ausharrte. Er war sich sicher, dass diese Person – wer auch immer sie war – Teil der Allianz sein musste und auf die übrigen wartete.
Arno fluchte leise, da er sich seinem Ziel nicht über die Dächer nähern konnte. Seine Verletzung heilte zwar gut, sodass er am Morgen bereits die Fäden entfernen konnte. Aber noch war er nicht wieder ganz bei Kräften. Es würde noch lange dauern, bis die Muskulatur komplett verheilt war und sicher würde er noch lange Schmerzen haben, doch sie waren erträglich. Er fragte sich, welche Zutaten diese mysteriöse Tinktur, mit der Lou ihn verarztet hatte, wohl enthielt. Er hatte weiß Gott schon oft unschöne Stichverletzungen davongetragen. Doch noch nie war eine nach so kurzer Zeit so gut verheilt.
Seit ihrem Verschwinden hatte er sie nicht wiedergesehen. Und je länger er darüber nachdachte, desto mehr konnte er es nachvollziehen. Nachdem er sie damals so furchtbar behandelt hatte, wie konnte er da erwarten, dass sie seine Nähe vorbehaltlos ertragen konnte? Er hatte zwar noch immer keine Antwort auf ihre letzte Frage und er wusste auch nicht, was er zu ihr sagen sollte, sollte er die Gelegenheit bekommen. Aber seit sie gegangen war, lechzte seine Seele nach ihrer Gesellschaft. Er hatte seitdem kaum geschlafen. Es gab nur einen Gedanken, der ihn bei klarem Verstand hielt: Dass sie an diesem Abend mit Sicherheit ebenfalls an der Chapelle auftauchen würde, um das Treffen der Allianz zu belauschen. Er war sich fast sicher, dass sie bereits irgendwo lauerte, eingehüllt von sicherem Schatten, zum Schlag bereit – auch wenn er nicht wusste wo oder was genau ihre Motive waren.
Arno kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit besser sehen zu können. Der vermummten Gestalt näherte sich eine zweite, die ebenfalls eine dunkle Kapuze trug, als auch weit ausgeschnittene Ärmel. Sie begrüßten sich mit einer vagen Verbeugung. Das Rauschen des Springbrunnens machte es ihm schwer, irgendetwas zu verstehen und wieder konnte er nur leise Fluchen. Er musste näher heran. Der Treffpunkt war gut gewählt. Es gab nicht viele Verstecke in der Nähe, lediglich die taillenhohen Buchsbaumhecken mochten ihm vielleicht Schutz bieten. Gerade, als sich dem Paar noch drei weitere Gestalten näherten, huschte er in den Garten hinein und duckte sich hinter einer Hecke. Seine Füße machten auf dem matschigen Boden leise Geräusche und auch hinterließ er unerwünschte Fußspuren, die hoffentlich nicht entdeckt werden würden. Tatsächlich gelang es ihm so aber, nahe genug an die Gruppe vermummter Personen heranzuschleichen, dass er ihr Gespräch belauschen konnte.
„... wo bleiben die anderen? Ich warte hier schon ewig.", hörte er eine rauchige Stimme mit schwerem spanischen Akzent fragen.
„Ihr hättet mit der Zeit vielleicht etwas präziser sein sollen.", erwiderte eine zweite Stimme, eindeutig die einer älteren Frau.
Arno hörte sich nähernde Schritte im patschnassen Gras, dann die tiefe, donnernde Stimme eines weiteren Mannes, der eindeutig auch Spanier sein musste.„Wo ist Dubois?"
„Er ist tot.", sagte die Stimme einer weiteren Frau, die dem Dialekt nach einer Französin aus dem Norden gehören musste, „Der Assassine hat ihn getötet."
„Seid Ihr des Wahnsinns? Wieso habt Ihr nichts gesagt! Sie werden sicher von dieser Zusammenkunft erfahren haben!"
Die Panik des älteren Spaniers war deutlich zu hören und Arno musste unweigerlich grinsen. Es erheiterte ihn doch sehr, dass er die Pariser Bruderschaft derart zu fürchten schien.
„Keine Sorge. Sie sind so unwissend wie eh und je.", erwiderte der andere Spanier und sofort fiel Arnos Grinsen wieder. Er hatte den Spitzel in seinen eigenen Reihen bereits beinahe vergessen.
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L'innocence est morte
RomanceParis, 1802 - Die Stadt erholt sich unter Napoleon langsam von den Strapazen der Revolution. Der Krieg zwischen Templern und Assassinen aber wütet unermütlich im Dunkeln weiter. Arno, der vor acht Jahren so viel verloren hat, wurde nach langen Bitte...