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Ich wachte mit einem heftigen Pochen im Kopf auf. Der Stoff unter meiner Wange war rau und hatte mir mit Sicherheit schon ein schönes Muster auf die Haut verpasst.

Ich schlug die Augen auf und setzte mich langsam auf. Keine gute Idee. Sofort drehte sich alles und ich lies mich vorsichtshalber zurück in die Kissen sinken.

Moment mal. Wo zum Teufel war ich eigentlich?

Die Einrichtung hier kam mir kein Stück bekannt vor und überhaupt ... was war das für ein komischer Geruch von Schweiß und After Shave in der Luft?

Plötzlich hörte ich über mir polternde Schritte.

Heilige Scheiße, ich glaube, ich war bei einem Typen aufgewacht. Es musste so sein, anders konnte ich mir die Umstände hier nicht erklären.

Leider konnte ich mich nur an überhaupt nichts erinnern. Alles von letzter Nacht war weg. Ich war feiern gegangen in irgendeinem der Clubs hier. Das war so ziemlich alles, was ich noch aus meinen Erinnerungen kramen konnte.

Ich sah an mir herunter. Ich war angezogen und allein. Schon mal ein gutes Zeichen. So schlimm konnte es also nicht sein.

Wieder ertönten die Schritte, diesmal oben auf dem Treppenansatz im ersten Stock.

Scheiße. Ich musste hier raus. Aber ganz schnell.

Was immer letzte Nacht passiert war, ich wollte es gar nicht unbedingt wissen und da ich mich nicht erinnern konnte, war bestimmt eine Menge Alkohol im Spiel. Oder anderes.

Wie auch immer, könnte peinlich gewesen sein – also nichts wie weg hier.

Ich schnappte mir meine Tasche, die Gott sei Dank neben dem Sofa lag, auf dem ich geschlafen hatte, und sprintete fast zur Tür. Das andauernde Schwindelgefühl versuchte ich dabei einfach zu ignorieren.

Nach dem morgendlichen Fiasko holte ich mir erstmal ein Kaffee beim nächstgelegenen Bäcker und hoffte, dass das sowohl etwas gegen meinen Kater, als auch gegen meine Müdigkeit tat.

Okay, als erstes heute auf der Tagesordnung: wenn ich nicht wieder bei wildfremden Menschen übernachten oder mir eine Parkbank suchen wollte, musste ich heute unbedingt mit der Wohnungssuche beginnen.

Da ich nicht an der Uni angemeldet war, fiel ein Wohnheim schon mal raus. Schade eigentlich, wäre sicherlich günstiger gewesen.

Also wird es wohl eine WG. Gestern war ich bereits in der Uni und habe am schwarzen Brett nach Ausschreibungen gesucht. Ich hatte auch mehrere gefunden, aber eine stach mir ganz besonders ins Auge:

Suche neuen Mitbewohner

So schnell wie möglich

Da das Semester schon angefangen hatte, war das etwas ungewöhnlich, aber ich hoffte einfach, dass es kein Perverser oder Messie oder sowas war, der eine Mitbewohnerin suchte.

Als ich die Nummer gewählt hatte, die dabei stand, war ich etwas nervös gewesen, aber sobald ich die freundliche Stimme einer jungen Frau gehört hatte, ging es mir schon besser. Sie klang wirklich cool, ich freute mich schon richtig darauf sie heute kennenzulernen.

Und hier stand ich jetzt.

Fünf vor drei. Ich versuchte mich an das letzte Mal zu erinnern, als ich pünktlich gewesen war, aber ich war mir nicht sicher, ob das überhaupt schon mal der Fall war.

Diesmal wollte ich aber unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen. Ich brauchte dieses Zimmer dringend. Und wenn es nur für drei Monate war. Das Geld dafür würde ich schon auftreiben.

Als es an der Tür summte, öffnete ich sie und ging die Treppe hoch. Die Tür zur Wohnung war bereits offen und ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter, stand dort mit einem fröhlichen Lächeln. Ihre langen blonden Locken hatte sie versucht mit Haarspangen zu bändigen, sodass sie ihr nicht mehr ins Gesicht fielen.

"Hi, du musst Riley sein!", begrüßte sie mich und hielt mir ihre Hand hin.

"Hey", sagte ich, während ich die Hand ergriff. "Du bist bestimmt Summer?"

Sie grinste breit, wobei sie so strahlte, dass sie mich ernsthaft an die Sonne erinnerte. Ihr Name hätte kaum passender sein können.

"Ja genau! Komm rein, ich habe gerade Tee aufgesetzt — du magst doch Chai Tee oder?"

Selten ein Getränk, was ich mehr hasste, aber ich nickte lächelnd. Ich brauchte diese Wohnung. Und wenn ich dafür mit Summer jeden Tag dieses widerliche Getränk trinken musste, dann tat ich das eben.

Sie führte mich durch einen länglichen Flur, wo sie mir vor der Gaderobe bedeutete, die Schuhe auszuziehen. "Okay, also das ist die Küche, das dort das Wohnzimmer und hier ist dein Zimmer."

Sie ging voraus durch die Tür und ich sah mich für einen Moment um, während sie meine Reaktion beobachtete.

Es war sauber. Es schimmelte nirgends. Und es hatte sogar schon einen weißen Schreibtisch an der einen Wand stehen. Brauchte ich jetzt nicht wirklich, aber immerhin war er da. In einer Ecke standen zwei große Koffer.

"Sind die vom Vormieter?", fragte ich verwundert.

"Was? Oh, ähm ja. Ja, sind sie." Summer sah etwas durcheinander aus, aber setzte sofort wieder ihr freudiges Lächeln auf, als sie meinen Blick bemerkte.

Ookay. "Und wann holt er oder sie die ab?"

"Tja..." Sie wickelte sich eine ihrer Locken um den Finger. "Morgen! Also zumindest wenn dir das Zimmer gefällt."

Mit großen Augen schaute ich sie an. "Wie jetzt? Soll das heißen ich krieg das Zimmer? Einfach so?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Naja, ja. Wenn du möchtest, kannst du gleich morgen früh einziehen!"

Meine Kinnlade klappte runter. Das konnte doch nicht sein!

"Oh mein Gott!" Ich fiel ihr um den Hals. "Danke, danke, danke! Du glaubst gar nicht, wie sehr du mir gerade das Leben rettest!"

"Wem sagst du das", murmelte sie lachend, aber ich ging nicht weiter darauf ein.

Ich hatte eine Wohnung! Ein Zuhause! Kaum zu fassen, wie einfach das gewesen war.

Eigentlich ... fast schon zu einfach. Ich ließ Summer wieder los und betrachtete sie.

Sie war hübsch, freundlich und großherzig. Die Wohnung sah toll aus und die Lage war auch nicht schlecht. Wie kam es, dass sie dann so scheinbar schwer einen Untermieter fand?

Ich wollte sie gerade danach fragen, als ein Pfeifen aus der Küche kam. Gott, sie hatte sogar einen dieser altmodischen Teekessel. Sie war echt niedlich.

Über den Heißgetränken, das wegen meiner übermäßigen Glücksgefühle nur ein bisschen ekelhaft schmeckte, und frischem veganem Gebäck, unterschrieb ich den Mietvertrag.

Zum Abschied umarmten wir uns nochmal und ich sagte Summer, dass ich morgen Vormittag mein Gepäck vorbeibringen würde. Sie gab mir schon mal den Hausschlüssel, damit ich reinkam, falls sie nicht da war und ich machte mich auf den Weg zum Bahnhof.

Dort war mein Koffer — ja Singular — in einem Schließfach gelagert und ich konnte es kaum erwarten ihn in meinem eigenen Zimmer auszupacken!

Ich wusste, ich durfte mich nicht zu sehr an diese Stadt gewöhnen, aber die nächste Zeit sah bis jetzt eigentlich ganz nett aus. Auf jeden Fall aushaltbar.


Race Against the PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt