Das Schlummern

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Elisa setzt sich auf ihren üblichen Platz im Hörsaal. Ganz  vorne links. Diese Reihe ist nur spärlich besetzt, bis auf einige Streber. Aber sie wählt nicht diesen Platz um möglichst aufmerksam dem Professor folgen zu können. Sie sitzt hier nur um in Ruhe gelassen zu werden. Professor Langweiler öffnet Seite 112/523 des Skriptes über Wirtschaftsinformatik und sofort sind ihre Gedanken wo anders. Sie hat schon lange aufgehört dem Unterricht zu folgen. Lediglich schreibt sie mechanisch die Notizen ab, die der Professor ab und zu an die Tafel schreibt. Gespannt den neuesten Klatsch über Promis zu lesen öffnet sie ihren Browser, nur um festzustellen, dass das Universitäts-WLAN wieder mal nicht funktioniert. Na toll. Das kann heute ja was werden.  Sie richtet ihre Aufmerksamkeit nach vorne und hört dem Professor zu, der über Business Intellegence philosophiert. Nach wenigen Minuten driften ihre Gedanken ab.
Sie wird aus ihren Gedanken gerissen als urplötzlich die Tür aufknallt. Ein gehetzt wirkender großer Typ erscheint und murmelt „Tschuldigung". Schnell setzt er sich quer hinter sie. Der ganze Kurs scheint aus dem Komma zu erwachen und kurz beginnt es zu tuscheln. Jedoch dauert es nicht lange bis der Professor wieder alle mit seinem monotonem Gerede in den Tiefschlaf versetzt hat. Elisa sieht noch seinen gehetzten Blick vor sich. Sie wundert sich über seine Schulter-langen gewellten dunkelblonde Haaren. Sie sind so ganz untypisch für jemand in diesem Kurs. Alle Typen haben hier kurze Haare, die akkurat nach oben gestylt sind. Jedoch hat sie ihn auch noch nie hier gesehen. An diesen Kerl hätte sie sich erinnert. Solche Haare wecken in ihr die Sehnsucht ihre Hände darin zu vergraben. Wunderbar weich müssen sich sich anfühlen. In ihrem Kopf erscheinen Bilder wie sie an diesen Haaren zieht und sie will an sein Gesicht denken aber sie konnte nur einen kurzen Blick erhaschen. Die Umrisse seines Gesichten sind schon verschwommen. Sie muss noch einen Blick auf ihn erhaschen. Nur ganz kurz. Umso länger sie darüber nachdenkt umso mehr baut sich eine unangenehme Spannung auf. Also dreht sie sich kurzerhand um und will einen schnellen Blick erhaschen. Ihre Augen weiten sich vor Erstaunen als sie in intensiv blaue Augen schaut. In ihre Wange strömt das Blut und sofort sind ihre Wangen rot. Schnell dreht sie sich wieder um. Man war das peinlich. Natürlich muss er zufällig genau dann in ihre Richtung schauen, wenn sie ihn auschecken will. Oder war das kein Zufall? Es muss ein Zufall gewesen sein. Warum sollte ein so gutaussehender Typ sie anschauen. Seine eisblauen Augen drängen sich in ihre Gedanken. Sie hat noch nie so klare und helle Augen gesehen. Darin war kein Stück Wärme. Eiskalt hat sein Blick sie durchbohrt. So als ob er direkt in sie hinein schauen könnte und ihre tiefsten Gedanken sehen könnte. Schwachsinn. Es war nur ein kurzer Blickkontakt, denkt sie sich. Das war doch nichts. Du hast dich nur kurz umgedreht um zu schauen wer die Vorlesung gestört hat und ein attraktiver junger Mann hat zufällig gerade in diesem Moment in deine Richtung geschaut. Und tatsächlich langsam drängt sich der Rest seines schönen Gesichtes in ihre Erinnerung, wo vorher nur Platz für seine Augen waren. Geschwungene volle Lippen, eine gerade Nase mit einem kleinen maskulinem Hubel, und hohe Wangenknochen. Über seine Wangen erstreckt sich ein Drei-Tage Bart aber nicht dieser aktuell moderne, der ordentlich geschnitten ist an den richtigen Stellen, sondern eher einer der aussieht wie wenn er heute morgen keine Zeit hatte sich zu rasieren. Unverschämt gut findet sie. Doch wieder wundert sie sich über seinen Anblick in diesem Kurs. Es fehlt das Gel im Haar, die spießige Brille und das Hemd um in dieses Wirtschaftskurs zu passen. Stattdessen trägt er ein lockeres schwarzes T-Shirt, dass an den Armen umgeschlagen ist und damit eng an seinen kräftigen Oberarmen anliegt. Sie meint sich zu erinnern, dass er dazu eine zerrissene Jeans trägt aber sicher ist sie sich nicht. Sie erinnert sich sowieso schon an zu viele Details für den kurzen Blick nur, den sie auf ihn werfen konnte.  Warum hat sich sein Anblick innerhalb von Sekunden bei ihr eingebrannt? Sie schüttelt ihren Kopf um ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen. Wie lange war sie in Gedanken versunken? Ein Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass sie tatsächlich eine ganze Stunde in Gedanken versunken war und somit die Vorlesung fast vorbei ist. Der Professor ist inzwischen 50 Seiten weiter im Skript aber seine monotone Stimme ist noch die gleiche. Das rascheln der packenden Studenten deutet auf das Ende der Veranstaltung hin. „Bitte bereiten Sie für die nächste Stunde das nächste Kapitel vor." Damit ist Elisa aus den Qualen ihres Studiums für heute erlöst, auch wenn die Zeit heute dank ihrer Gedanken über den neuen Kerl schnell rum ging. Sie steht auf und wird im Gang der Sitzreihe von den rausströmenden Studenten aufgehalten. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sie im Gegensatz zum Neuen genauso langweilig aussieht wie alle anderen. Ihre weiße Bluse zwickt und die braunen Slipper quietschen. Sie sieht aus wie alle anderen. Wobei es gibt durchaus bessere Versionen ihrer selbst in diesem Kurs. Jetzt ist sie sicher. Niemals hat er sie so angesehen, wie sie ihn. Mit ihren langweiligen braunen Augen und glatten langen Haaren interessiert sich ja niemand für sie. Langsam kommt sie voran. Sie steht jetzt am Ausgang der nächsten Sitzreihe und starrt auf den Boden vor ihr. „Wie komm ich denn zum Wohnheim von hier aus?" Elisa reagiert nicht, weil sie eh nicht gemeint ist. Sie redet mit niemandem hier und niemand redet mit ihr. „Hey du da. Ich hab mit dir geredet." Jemand stupst jemand sie an der Schulter an und ein elektrisches Gefühl durchfährt ihren Körper. Schon bevor sie den Kopf anhebt weiß sie welche Augen sie erwarten. Schüchtern antwortet sie mit leiser Stimme: „Ist ein wenig kompliziert. Am besten folgst du der Masse. Fast alle wohnen da."
„ Du auch?" Antwortet er mit rauer Stimme.
„Ja" sagt sie mit piepsiger Stimme.
Sie sieht wie er sie von oben bis unten mustert. Auf einmal ist ihr peinlich, dass sie sich wieder mal nicht geschminkt hat und ihre Haare ungekämmt sind. Unter seinem kritischen Blick fühlen sich die Sekunden an wie Stunden.
„Hee lauf doch weiter!" rempelt sie ein Kommilitone an.
„Oh sorry" sagt Elisa und löst sich aus ihrer Schockstarre. Sie läuft nun Richtung Ausgang und spürt wie der
Unbekannte noch hinter ihr läuft. Hätte sie noch was sagen sollen? Naja jetzt ist es zu spät etwas zu sagen ohne, dass es komisch wird. Fragend was sie machen soll tragen ihre Beine sie zum Wohnheim. Sie will grade die Tür aufmachen, als er sie am Arm festhält und fragt: „Wie heißt du?"
Elisa." Grade will sie ansetzten ihn zu fragen, wie er denn heißt, da dreht sich der Kerl abrupt um und läuft davon in die Richtung aus der sie gekommen ist.
„Hey warte.Wo willst du denn aufeinmal hin.", ruft sie ihm nach aber es kommt keine Antwort. Verdattert steht sie da und schaut im nach. Seine Locken hüpfen im Tackt seines schnellen Schrittes. Sie sieht ihn das erste mal von hinten und bestaunt seinen muskulösen Rücken. Nachdem sie sich wieder einbekommen hat geht sie in ihr Zimmer. Sie schließt die Tür, schmeißt sich aufs Bett und versucht zu ergründen was der heutige Tag auf sich hatte.

Eisblaues VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt