13-Liah

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Ich wurde wach weil mich jemand am Arm zog und schüttelte. Unsanft kippte mein Kopf nach vorne und schlug gegen den Vordersitz. Ich öffnete die Augen und erblickte Ria, die mich inzwischen losgelassen hatte um sich festzuhalten. Ich wunderte mich, dass sie nicht mehr neben mir saß, denn ich hatte nicht bemerkt, wie sie aufgestanden war.
Ich holte tief Luft für meinen Ausraster und begann:„Ria! Was soll-"
Weiter kam ich nicht, denn da bemerkte ich das braunhaarige Mädchen, dass neben ihr stand und mir unsicher zulächelte. Ich schaute von ihr zu Ria und nun wusste ich, was sie gemacht hatte. Sie hatte echt keine Ahnung, dass man nicht einfach so fremde Leute im Zug ansprach. Aber offensichtlich hatte Ria eine Freundin gefunden, denn das Mädchen sah nicht gerade so aus als würde sie im nächsten Moment flüchten.
Ria aber erklärte stolz:„Liah, darf ich vorstellen? Das ist Maja." Sie fuchtelte wild mit ihren Händen herum und Maja winkte mir zu. „Hi. Ria hat mir erzählt, dass ihr von zuhause weggelaufen seid.", erklärte sie. Ich sah Ria finster an. Wie konnte sie nur so töricht sein und einfach irgendjemandem davon erzählen, dass wir sozusagen auf der Flucht waren.
Maja bemerkte meinen Blick und versuchte mich zu beschwichtigen. „Schon okay. Wirklich. Ich hab nicht vor es jemandem zu verraten.", erläuterte sie mir. Pah! Das konnte ja jeder sagen. Fakt war, dass es jetzt eine Person zu viel wusste und falls uns jemand suchte wären wir somit ein kleines Bisschen mehr in Gefahr. „Liah! Sie ist selbst abgehauen. Sie wird uns nicht verraten. Und ich dachte mir, dass wir uns vielleicht zusammentun könnten." Nun begriff ich. Ich blickte Maja an, die sich immernoch nicht ganz wohl in ihrer Haut zu fühlen schien und nickte schließlich. Es war eigentlich gar keine schlechte Idee. „Okay", sagte ich, „Dann sind wir nicht allein." Ich versuchte ein Lächeln und es gelang mir sogar einigermaßen. Wieso machte ich mich denn so verrückt? Alles würde gut werden. Ria hatte eine Freundin, wir alle waren nicht alleine und vermutlich hatten wir zusammen auch eine größere Überlebenschance. Ich seufzte.
„Also gut, wir brauchen einen Plan."
Ich stand auf und schnappte mir Rias und meinen Rucksack und schleppte sie zu einem Vierersitz. So konnten wir uns alle zusammensetzen und in Ruhe reden. Ich klopfte auf den Platz neben mir und rief den anderen zu:„Was ist? Kommt ihr?"
Die beiden ließen sich das nicht zweimal sagen und setzten sich. Ria neben mich und Maja uns gegenüber.
„Also... was machen wir jetzt?", fragte Maja, „Was genau willst du denn planen?"
Was für eine blöde Frage. Natürlich alles!
„Naja... alles.", sagte ich dann auch, „Ich würde vorschlagen, wir steigen bei der nächsten Station aus und suchen uns einen Platz zum schlafen. Wenn wir uns dann dort organisiert haben können wir ja noch genauer alles klären."
Ich sah unauffällig zu Ria, die meinen Blick erwiderte und leicht nickte. Wir mussten es Maja sagen. Wenn sie mit uns reiste hatte sie auch ein Recht darauf, zu erfahren was wir konnten.
„Später", murmelte ich in Rias Richtung und Maja sah mich fragend an.
„Was ist los? Ihr verheimlicht doch irgendetwas.", fragte sie misstrauisch und blickte abwechselnd zu mir und Ria. Ich wusste, dass wir es ihr sagen mussten, aber hier im Zug war das zu riskant. Der Junge weiter hinten im Abteil sah immer wieder unauffällig zu uns und ich hatte wirklich keine Lust darauf, im erklären zu müssen, warum wir so etwas konnten. Wir wussten es ja selbst nicht so genau. Also blieb mir nichts anderes übrig, als Maja zu sagen, sie solle abwarten und dass wir es ihr irgendwann erzählen würden. Wenn die Zeit gekommen war...
Maja nahm es erstaunlich locker auf und nickte verständnisvoll.
„Na gut", sagte sie, „Aber sonst keine Geheimnisse, okay? Wir müssen uns vertrauen können."
Wir nickten und Stille breitete sich aus. Keiner wusste, was er sagen sollte und es war unangenehm, ohne Worte hier zu sitzen, obwohl es doch so viel zu sagen gab. Nur fehlten mir die Worte. Ich sah von Ria zu Maja und hoffte, dass einer von ihnen das Schweigen brechen würde, aber keiner tat es. Ich spürte Majas Blick auf mir und mir stieg die Röte ins Gesicht. Schnell sah ich auf meine ineinander verschränkten Finger und hoffte, dass sie bald irgendwo anders hinsehen würde. Was sie schließlich auch tat. Ich jedoch seufzte und brach das Schweigen.
„Also steigen wir jetzt aus?"
Ein zustimmendes Gemurmel von den beiden anderen bestätigte meine Frage und ich erhob mich von meinem Sitz. Auch die anderen standen auf und zusammen liefen wir zur Zugtür, die bald aufgehen würde, da wir den nächsten Bahnhof erreicht hatten.
Als die Tür sich pfeifend öffnete stieg ich aus und lief ein Stückchen weiter weg, wo ich auf die anderen beiden wartete, die kurz nach mir ausstiegen. Ich sah die erwartungsvoll an und fragte:„Wo lang? Ich hab keine Ahnung wo wir sind."
Maja drehte sich einmal im Kreis und deutete dann nach rechts.
„Da lang", sagte sie und lief zielstrebig auf den vor ihr liegenden Ausgang zu. Ria sah mich fragend an, dann liefen wir Maja hinterher und gelangten auf einen Parkplatz dicht neben einer gut befahrenen Straße. Wieder entschied Maja den Weg und wir folgten ihr. Was konnte den schon passieren?
Als wir an der Straße entlangliefen entdeckte ich einen Park, der in guter Nähe lag und von wo man direkt in die Innenstadt kam. Ich zeigte darauf und rief Maja zu, dass wir ja dort übernachten könnten. Sie nickte und steuerte darauf zu, aber Ria sah mich geschockt an.
„Wir schlafen draußen?!", fragte sie und verlangsamte ihr Tempo. Ich musste ein Lachen unterdrücken und fragte stattdessen:„Was dachtest du denn? Wir haben kein Haus hier. Oder wolltest du irgendwo klingeln und fragen, ob du da schlafen kannst?"
Rias Blick war Antwort genug und ich konnte nicht anders, als meine Hand gegen meine Stirn zu schlagen. Obwohl ich es Ria nicht verübeln konnte. Ich selbst wollte auch nicht auf der Straße schlafen. Maja hingegen hatte wohl keinerlei Probleme damit. Sie war schon weit voraus und hatte sich zu uns umgedreht. Auffordernd winkte sie uns zu sich und uns blieb nichts anderes übrig als ihrer Aufforderung zu gehorchen und weiterzugehen.

Meine unendlichen GesichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt