Salto, Uruguay, 1904
Meine Hand zieht am Lasso, an dem die Stute angebunden ist, die Nayeli und mich auf der Jagd nach den zwei Hasen begleitete, welche eingebunden in einem Baumwollentuch auf dem Rücken der Stute liegen, begleitet von den zwei Pfeilen, dessen blutrot verfärbte Spitze langsam trocknet, da wir schon seit etwa einer Stunde unterwegs sind.
Das Dolch mit dem ich den beiden Hasen die Kehle durchschnitt, um sie ausbluten zu lassen, nachdem Nayeli zwei saubere Schüsse mit dem Pfeil und Bogen abfeuerte - trage ich stolz in meinem Holster. Ich hatte es an dem Tuch abgewischt, bevor ich es erneut in mein Holster einführte.
Ich bin stolz auf mein Dolch, weil ich es selbst schmiedete - und stolz auf mein Holster, weil es ein Geschenk von Papá ist, den ich gleich wiedersehen werde, denn die ganze Bande und ich versammeln uns heute bei meinen Eltern zu Hause.
Bande - so nennt man uns. Wir selbst aber nennen uns Concordia Salto. Ob wir eine Bande sind oder nicht, ist Ansichtssache. Wir kämpfen für die Welt und nicht für die Meinungen anderer. Wir kämpfen seit den letzten Krieg vor sieben Jahren - gegen die Armut und gegen die Unterdrückung. Auch wenn wir dabei oft mit Selbstjustiz handeln. Man kann uns noch so sehr verfolgen und einsperren, wir bleiben immer gleich. Und jeder der das versteht, dass wir eine Eintracht und keine Bande sind, schließt sich uns an.
So wie Nayeli. Sie ist schon seit ein paar Jahren Mitglied bei uns - und hat es echt drauf. Obwohl sie etwas mollig ist, ist sie sehr schnell und robust - nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Sie trifft jeden Pfeil und gewinnt jedes Wettessen. Beim Saufen kann mit ihr keiner mithalten. Man könnte fast behaupten, dass sie ein richtiges Mannsweib ist, auch wenn sie keineswegs so aussieht.
>>Gut, dass wir bald da sind. Ich freue mich so auf das leckere Hasenfleisch!<<, sagt sie zu mir.
>>Du denkst echt nur ans Essen!<<, antworte ich mit gelassener Stimme.
>>Naja, nicht nur. Ich freue mich, dass wir alle versammelt sind - und auf's Essen!<<
>>Wusste ich's doch.<<
>>Dein Vater ist echt der Beste, der mit der Parrilla umgehen kann. Ich kenne keinen Besseren, obwohl ich sagen muss, dass deine Mama fantastisch kochen kann.<<
>>Es ist ja auch ihr Beruf, Nayeli. Sie muss kochen können.<<
>>Ich bin echt am Verhungern.<<
>>Wir sind ja gleich da.<<
>>Glaubst du, der Pastor ist schon da?<<
>>Ich denke schon. Er sollte um vier Uhr anwesend sein. Der Pastor Don Francisco hält immer sein Wort- bei mir jedenfalls.<<
Der Pastor Don Francisco, der eine kleine Baptistengemeinde bei uns in der Stadt leitet, ist ein weiser und gebildeter Mann, der auf jedes Problem eine Lösung findet. Er sagt immer, Gott hilft ihm dabei.
Heute ist er bei uns zum Essen eingeladen, weil wir eine Lösung finden müssen. Draußen herrscht seit einigen Monaten Krieg und wir wissen nicht, wie wir weiter machen sollen. Unsere Vorräte sind fast verbraucht, unser Fleisch wird nicht mehr so leicht verkauft. Ständig müssen wir jagen gehen, um was zu essen. Kein Wunder, dass Nayeli ständig Hunger hat. Das arme Mädchen kam zu uns, weil ihre Eltern beide im selben Jahr aufgrund der Revolution 1897 verstarben. Ihr Vater fiel als fanatischer Freiheitskämpfer an der Front und ihre Mutter einige Monate danach am Sterbebett. Dann wurde Nayeli mit fünfzehn Jahren zu einem Waisenkind.
Auch wenn wir im selben Jahr 1897 Concordia Salto gründeten, kam sie erst später zu uns. Ausgehungert, dürr, lebte von Diebstählen auf der Straße und erzählte mir sogar mal, dass sie vor lauter Hunger es fertig brachte, Katzen zu schlachten und sie zu essen, denn es gab ja nichts anderes.

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Concordia Salto
AdventureAlfonso Sánchez ist ein Viehhüter aus Uruguay. Aufgrund der politischen Situation wird er Mitgründer einer politisch aktiven Organisation, die jedoch für das Regime von Uruguay eine Gefahr darstellen und somit als kriminelle Bande verfolgt wird. Nun...