Kapitel IV. - Etwas stirbt

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Leevi saß auf der Mauer vor dem Winterquartier und beobachte eine Spinne, die sich über ihr eingesponnenes Opfer hermachte

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Leevi saß auf der Mauer vor dem Winterquartier und beobachte eine Spinne, die sich über ihr eingesponnenes Opfer hermachte. Das Netz spannte sich von der Mauer bis zum Torfstapel seiner Tante. Aufgrund der frühen Stunde glitzerten blasse Tautropfen zwischen den Fäden, funkelten wie Kristalle. Es war ein schöner Anblick, zumindest wenn man selber keine Fliege war. Die Sonnen hatten nun schon seit einer Kerzenlänge den Horizont verlassen, dennoch war von Elyn nichts zu sehen.

Missmutig knirschte er mit den Zähnen. Diesen Sommer würde er volljährig werden und es wurde nun Zeit, seine Aufgaben als Herdenhüter weiterzugeben. Wie es der Zufall wollte, war seine Cousine als Nachfolgerin ausgewählt worden, ein Umstand, über den er sich von Tag zu Tag weniger freute. Es war nicht so, dass er sie nicht mochte, tatsächlich war sie sogar eine der wenigen Menschen die er liebte. Aber ihr etwas beibringen zu müssen fühlte sich wie eine Strafe an. Sie ließ sich leicht ablenken, war flatterhaft, unzuverlässig und völlig verzogen. Leevi seufzte tief und trat gegen einen Stein, der im hohen Bogen das Spinnennetz durchschlug.

Gerade, als er aufspringen und gegen die massive Eingangstür hämmern wollte, öffnete sie sich und Elyn schlüpfte hindurch. Ihr rot gesäumter Mantel schmiegte sich eng an ihre Gestalt und prophezeite, dass sie sich in den nächsten Jahren zu einer Schönheit entwickeln würde. Ihre Augen funkelten durchtrieben, als sie betont langsam auf ihn zu spazierte. „Guten Morgen, Cousin. Wartest du schon lange?"

Leevi zischte erbost und erinnerte sich zu spät daran, dass er der ältere von beiden war. Ihm oblag es, sie zu lenken und zu führen. Zumindest wenn es nach den Lehrprotokollen ging. Ein unmögliches Unterfangen. Die Einzige, auf die Elyn wirklich hörte, war Riana und die leistete gerade ihren Dienstmonat im kaiserlichen Heer ab. 'Keine Aufsicht, keine Aufgaben' schien Elyns Motto zu sein. „Komm jetzt", murrte er, sprang über den Torfstoß und lief den Pfad hinab, an den massiven Steinhäusern entlang. Mit jedem Tag rückte die Pflichtenübergabe näher und bei dem Umzug ins Sommerquartier würden seine Fähigkeiten an ihrem Erfolg gemessen werden. Es graute ihm davor.

Er erreichte die Trainingswiese, auf denen die Zwillinge ihre Nachfolger trainierten und stellte erst dort fest, dass Elyn trödelte. Schon wieder. Mit schmalen Augen beobachtete er, wie sie den Pfad entlang schlenderte, ab und an eine Frühlingsblume pflückte und sich die Blüten in den geflochtenen Zopf steckte. Er atmete einmal tief ein. Wenn sie merkte, dass es ihn aufregte, würde sie ihn nur weiter provozieren. So war sie nun einmal. Er genoss ihr Wesen deutlich mehr, wenn sie als Verbündete für Unfrieden sorgten.

Hinter ihr ertönte ein scharfer Pfiff und er erkannte Lloyd, der vor der Tür stand und versuchte, Elyn durch fördernde Gesten anzutreiben. Hinter ihm, wie ein dunkler Schatten, stand die verfluchte Bronwyn. Er konnte kaum seine Abscheu verstecken. Es war ihm ein Rätsel, wie seine Tante zwei so unterschiedliche Kinder haben konnte. Bronwyn war mittlerweile zehn und sprach abgesehen von ihrem Vater mit Niemandem. Nicht dass er es wollen würde, es war nur einer von vielen Punkten, die ihn an ihr störten. Er konnte es nicht in Worte fassen, aber immer wenn sie ihn mit ihren kalten grünen Augen musterte, machte sich Furcht in ihm breit. Es war albern, sich vor einem Kind zu ängstigen. Über die Jahre hinweg, war es zu einer Art Sport geworden, ihr Streiche zu spielen. Mal lockerten sie die Reitgurte oder versteckten ihre Wasserflaschen. Einmal hatten sie das Mädchen sogar in eine Höhle gejagt, die von Bergwölfen genutzt wurde - immer wand sie sich heraus. Es war ein mehr als deutliches Zeichen, dass sie von den Naturgeistern beschützt wurde.

Das Wunschkind - Eine Göttermeer-GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt