Kapitel 1

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Box für Box stapelt sich im Kofferraum und die Hälfte befindet sich noch nicht einmal auf der Veranda. Umzüge sind anstrengend. Viel mehr als ich dachte. Stöhnend wische ich mir über die schweißnasse Stirn. „Heather!" ruft meine Mutter vom Fenster aus. „Die Kisten schleppen sich nicht von alleine ins oberster Stockwerk, Fräulein" „Ich komme schon" Keuchend balanciere ich drei Umzugskartons die Treppe hinauf, obwohl meine Arme sich bereits wie Wackelpudding anfühlen. Ich stelle die Kartons in der Mitte des Zimmers ab, die Wände sind brüchig und kahl, der Boden schmutzig. Bis auf mein metallenes Bettgestell ist der Raum noch völlig leer. Ich starre auf dem Fenster. Im Auto stapeln sich noch mindestens zehn weitere Kartons. Was würde ich jetzt für ein Glas Limonade geben. „Die sind auch für dich" Mein Vater drückt mir zwei weitere Kartons in die Hand. „Vorsicht, das sind meine Gemälde" Sachte schiebe ich die Pappkartons in eine nicht ganz so staubige Ecke. „Ich hoffe wirklich, dass die auf der Fahrt nicht zerknickt sind" „Wenn ist es auch nicht so schlimm, Spatz. Du kannst dir in London sicher neue kaufen" „Ja sicher" Ich seufze und begleite ihn hinunter auf die Straße. Zurück zum Auto. Noch mehr Kartons. Vermutlich werde ich meine Arme heute Abend nicht mehr spüren. Ich summe eine verträumte Melodie während ich die Schilder auf den Stapeln begutachte. Alle meine Kartons sind mit einem dicken, schwarzen H markiert. Ich lehne mich gegen unser Auto und starre in die Sonne, welche mich blendet. Das ist von nun an mein Zuhause. Eine kleine Straße mit Reihenhäusern und hässlichen, grauen Vorgarten. Wenn der Vermieter uns nicht aus Brighton rausgeschmissen hätte, wäre das alles gar nicht passiert. Ich sollte das Beste daraus machen. Immerhin hat es auch Vorteile seinen Garten nun mit niemandem mehr teilen zu müssen. Ich umklammere zwei Kisten, die gefühlte drei Tonnen wiegen und schlage die Autoklappe zu. „Brauchst du vielleicht Hilfe?" Vor lauter Schreck fällt mir beinahe einer der Umzugskartons aus der Hand. „Was?" Sprachlos starre ich den Jungen an, welcher vor mir steht. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine lässige Jeans, seine braunen Haare wirken leicht zerzaust. „Mit den Kartons?" Er deutet auf meine schwer bepackten Arme. „Ich dachte du könntest vielleicht Hilfe gebrauchen. Ich hab dich vom Fenster aus beobachtet. Übrigens, wir sind Nachbarn. Ich wohne im Haus nebenan" Immer noch verwirrt starre ich ihn an. „Du wohnst hier?" „Ja, ich bin hier aufgewachsen" Als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt nimmt der Junge mir die Kartons ab. „Die sehen ganz schön schwer aus" sagt er. „Ich brauche keine Hilfe, aber vielen Dank für das Angebot" Ich hole zwei weitere Kartons von der Rückbank. „Wirklich nicht? Du wirkst ziemlich erschöpft" „Nein, wirklich nicht" Ich gehe an ihm vorbei auf die Veranda zu. Er folgt mir – natürlich muss er mir folgen. „Ich kenne nicht mal deinen Namen" fahre ich fort und stoße die Tür mit dem Fuß auf. „Wo ich herkomme stellt man sich zuerst vor, bevor man jemanden seine Hilfe anbietet" „Wie unachtsam von mir" Der Junge grinst, dann streckt er mir übertrieben höflich eine Hand entgegen. „Matthew Morris" sagt er. „Heather Wood" Bewusst erwidere ich den Händedruck nicht, sondern laufe stattdessen die Treppe nach oben. „Wo sollen die denn hin?" fragt Matthew. Er steht unschlüssig auf der Treppe. „Hierher" antworte ich. „In diesen Raum" Er platziert sie in der Mitte meines zukünftigen Zimmers. „Sieht ziemlich kahl aus" bemerkt er. „Die Wand hat noch keine Farbe" erwidere ich. „Das Haus ist nicht im besten Zustand, aber es war günstig" „Klingt ja als wärst du gerade zu gezwungen gewesen hierherzuziehen" „Kann man so sagen" Ich betrachte die auf dem Boden verstreuten Kartons. „Heather?" Meine Mutter kommt die Treppe nach oben. Als sie den Jungen erblickt stockt ihr für einen Moment der Atem. „Ich helfe Ihrer Tochter nur die Kartons hochzutragen" entgegnet Matthew selbstbewusst wie eh und je. „Er ist unser Nachbar" Bei diesem Wort verdrehe ich die Augen und meine Mutter braucht einen Moment um sich zu sammeln. Sie schüttelt den Kopf, dann lächelt sie. „Das ist sehr freundlich von dir" Sie wirft mir einen niederträchtigen Blick zu, der nichts anderes als Schwierigkeiten bedeuten kann. „Heather im Auto steht noch der Rest. Beeilst du dich?" „Natürlich, Mum" Ich deute Matthew an mir zu folgen und drücke ihm kurz darauf die nächsten Kartons in die Arme. Er kann mühelos vier auf einmal tragen, wo mir schon bei zweien die Puste ausgeht. „Eine reizende Frau, deine Mum" murmelt er. Ich zucke bloß die Schultern. „Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen oder?" Gemeinsam schleppen wir die letzten Kartons nach oben. „Brauchst du Hilfe beim Auspacken?" „Nein, Danke, ich denke das schaffe ich auch alleine" erwidere ich. „Wenn du meinst" Matthew verschränkt die Arme vor der Brust. „Da liegt eine Menge Arbeit vor euch, soll ich meinen Bruder fragen ob er auch mit anpacken will?" „Nett von dir" Ich verdrehe erneut die Augen. „Aber wir kommen schon klar." „Meine Familie hat noch Eintopf von gestern übrig, wollt ihr welchen? Sozusagen als Willkommensgeschenk" „Matthew" Ich sehe ihn an und er zieht die Augenbrauen hoch. „Ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen, aber ich komme klar. Wirklich. Ich brauche nichts" „Na dann" Er nickt mir zu. „Ich denke man sieht sich. Wenn was ist, kannst du jederzeit klingeln, Süße" „Süße?" Nun bin ich diejenige die die Arme verschränkt, doch Matthew zwinkert mir zu und verschwindet die Treppe hinunter. „Ein guter Junge" mein Vater taucht im Türrahmen auf. „Er scheint dich zu mögen" „Ach, er wollte nur nett sein" Ich schüttele den Kopf und beginne damit den ersten Karton zu öffnen. „Es kann ja nicht schaden sich bei der Nachbarstochter einzuschleimen" „Immerhin kennst du jetzt schon jemanden, Heath" Dad streicht mir über die Wange. „Ich bin nicht diejenige die einen Neuanfang wollte, Dad" Ich entziehe mich meinem Griff. „Ich vermisse die Küste jetzt schon" „Ich weiß, aber wir können Brighton jederzeit besuchen, Schatz" Dad seufzt. „Ich überlasse dich dann mal deinen Kartons" Er schenkt mir ein sanftes Lächeln während ich Karton um Karton aufschneide. Die kahlen Wände sind eine absolute Katastrophe. Wer hinterlässt ein Haus in einem solchen Zustand? Entschlossen hänge ich mein erstes Gemälde an die Wand. Daneben direkt das nächste. An die gegenüberliegende Wand die anderen drei. Hinter der Tür ein viertes. Über das Bettgestell nochmal zwei, bis das ganze Zimmer schon viel freundlicher und einladender aussieht. Immer noch dunkel, aber immerhin nicht mehr so kahl und leblos. Hoffentlich werden die neuen Möbel bald geliefert. Heimatlich fühlt sich das nicht an. Ich streiche über mein Lieblingsgemälde, das mit dem Mohnblumenfeld. Die einzigen Erinnerungen die ich aus Brighton mitgenommen habe. Ich öffne die Fenster und lasse das Sonnenlicht hinein. Auf der Veranda gegenüber entdecke ich Matthew. Er streckt sich demonstrativ den Sonnenstrahlen entgegen, sodass sein Shirt ein Stück hochrutscht und den Blick auf einen gut durchtrainierten Oberkörper freigibt. Grinsend winkt er mir zu. Kopfschüttelnd drehe ich mich vom Fenster weg

So das war das erste Kapitel der Vorgeschichte! Wie hat es euch gefallen? Ich freue mich über Feedback!

Eure Isa

Matthew und Heather - #ProjectInnocenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt