Die Fackel, die Taube und das schwarze Wasser

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"Papa, liest du mir wieder aus dem Familienbuch vor? Wer hat es eigentlich geschrieben?" "Mein Ururgroßvater hat es von seinem Großvater erhalten und ihm einen schönen neuen Ledereinband gemacht. Aber sein Großvater hat es auch nur von Teilen des alten Familienbuchs abgeschrieben, das Generationen vor ihm jemand aus aufgeschriebenen Geschichten, die Mitglieder der Familie erlebt haben, zusammengestellt hat. Es ist auch gar nicht mehr sicher, ob ich noch direkt in der Verwandtschaftslinie liege, aber ich nenne diese Menschen trotzdem mal meine Vorfahren," antwortete der Vater. Ungeduldig schlug das Kind eine Seite in der Mitte auf: "Da sind sogar Bilder dabei! Von einer Höhle, die sieht spannend aus! Lies mir die vor!" "Ach ja, diese Geschichte habe ich auch noch nie gesehen, also lesen wir mal. Sie hat keinen Titel, es steht nur, dass sie zur Zeit des Überfalls der Assyrer in Äthiopien geschrieben wurde, ein Zeitpunkt steht nicht dabei. Wahrscheinlich ist sie noch vor unserer Zeitrechnung entstanden." "Unsere Vorfahren sind also aus Äthiopien?" "Es sieht ganz danach aus, wobei man dazusagen muss, dass alle Menschen, sagen die Wissenschaftler, einmal in Nordafrika ihre Vorfahren hatten. Diese Geschichten sind auch mündlich weitergegeben, die Menschen konnten damals noch nicht alles aufschreiben. Die Schrift war erst erfunden worden, sie beherrschte nicht jeder und außerdem war Papier sehr aufwendig herzustellen." "Und wie haben die Leute damals ohne Zeitrechnung sagen können, welches Datum gerade ist? Und welcher Wochentag?", fragte seine kleine Tochter. "Ich denke mal, die hatte auch einen Kalender, der sich aber noch nach der Sonne gerichtet hat, den wir heute aber nicht mehr verstehen. Es ist ja auch gar nicht wichtig, wann das genau passiert ist. Auf jeden Fall beginnt die Geschichte so:

Nach dem Einfall einiger dutzend bewaffneter Krieger beschloss unser Stammesführer, in der selben Nacht mit dem ganzen Stamm in die Berge zu fliehen. Wir weckten unsere Familien und packten das Nötigste ein, wohlwissend, niemals mehr an diesen schönen Ort der Heimat zurückkehren zu können. Da der Weg von nun an durch Wüsten und Berge führen würde, schnürten wir unsere Schuhe fest und trugen unseren Jagdbogen mit uns, den jedes Stammesmitglied vom Stammesführer bei seiner Aufnahme in den Kreis der Älteren erhielt. In ihn war das Symbol unseres Stammes eingeschnitzt, ein Zeichen, dass wir uns überall als Mitglieder des Stammes auswies, falls wir uns verlieren sollten. Auch wer sich vom Stamm abwandte, konnte es nicht mehr von seinem Bogen entfernen. So war man einmal Mitglied bei uns, immer uns zugehörig.

Der Weg war entbehrlich, Hunger, Hitze und Kälte waren von nun an unsere Begleiter. Ab und an hörten wir die Schreie kriegerischer Auseinandersetzungen, doch wir verloren niemals Zuversicht, denn unser weiser und vom Geist der Voraussicht beseelter Anführer ging uns voraus und sorgte auch, dass niemand zurückgelassen wurde. Es verging kein Tag, dass wir nicht doch einen sicheren Schlafplatz finden und eine Mahlzeit einnehmen konnten, so lebensfeindlich die Gegend auch war." "Das ist ja wirklich ein toller Anführer, ich will auch so einen! Aber du bist das ja auch in unserer Familie, auf dich ist immer Verlass," meinte das Kind und kuschelte sich auf dem Sofa enger an seinen Vater. "Ach, so klug und erfahren wie dieser Führer bin ich lange nicht. Ich wäre damals wahrscheinlich nicht mal sein Putzdiener gewesen," lachte der Vater. "Aber lesen wir weiter: Eines Tages erreichten wir eine unüberwindliche Gebirgskette, und unser Stammesführer meinte, wir sollten jetzt genau jedem seiner Schritte folgen und aufeinander achtgeben, dass auch keiner verlorengehe, denn der Weg war sehr schmal.

Wir kamen schließlich in ein Höhlensystem, es wurde mit jedem Schritt dunkler und kälter. Doch wir hatten keine Angst, denn unser Führer wies uns dem Weg. Wir müssen nun einen unterirdischen Weg durch die Berge einschlagen. Bleibt dicht hinter mir und lasst keinen zurück. Folgt nicht den Pfeilen und Zeichen an der Wand, denn diese haben unsere Feinde dorthin gemalt, um uns in die Irre zu führen, gab er bekannt und jeder war angehalten, die Meldung auch an den letzten, der seit einem Sturz in den Bergen hinkte und ganz hinten ging, weiterzugeben. Es wurde jedoch immer enger und der Weg endete schließlich an einem unteririschen See. Wir mussten inzwischen bis tief in den Berg eingedrungen sein und konnten nichts außer unseren Fackeln erkennen. Als die Mitglieder unseres Stammes das sahen, dass der Weg hier endete, wurden sie stutzig und zweifelten. Dies ist der falsche Weg, hier geht es nicht weiter, meinte einer. Doch der Anführer entgegnete: Wenn wir zurückgehen, laufen wir den Feinden in die Arme. Ich werde in den See tauchen, um nach einem Ausgang zu suchen. Wenn ich einen gefunden habe, gebe ich euch ein Zeichen. Ein Schweigen lag in der Luft. Schwarz und kalt sah das Wasser aus. Welches Zeichen?, fragte einer. Es war der engste Vertraute des Stammesführers. Dies kann ich noch nicht genau sagen, aber ihr werdet es erkennen, wenn ihr in meinem Sinne sucht. Habt keine Angst, ich werde mein Leben nicht retten, ohne das eure sicher zu wissen Und er tauchte ins Wasser ein, auch wenn er ahnte, dass nicht jeder ihm folgen werde. Man sah ihn zucken; das Wasser musste sehr kalt sein. Ab da sah man kein Lebenszeichen mehr von ihm. Nach einer langen Weile wurden wir besorgt, dass nicht doch etwas passiert war. Kann einer von euch etwas entdecken?, begann einer. Nicht, wenn wir nicht wissen, nach was wir suchen müssen, meinte ein anderer. Es kann alles sein, sodass wir Gefahr laufen, es zu übersehen. Alle lauschten angstrengt und blickten sich in der stockdunklen Höhle um. Das Zeichen kam nicht, wir sahen nur die Schwärze der Dunkelheit und die langsam abbrennenden Fackeln.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 02, 2019 ⏰

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