Kapitel 1: Ich, der hässlichste Mann der Welt

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„Prudence Kingsley! Auf einer Skala von 1 bis 10, wie betrunken bist du im Moment?"
„Gar nicht, Rose. Wieso fragst du bitte?"
„Weil das erklären würde, warum du es für eine gute Idee hältst, als McLovin verkleidet auf eine Party zu gehen! Verdammt nochmal, du bist 24, Single and ready to mingle, und du solltest dir langsam mal einen Typen schnappen. Denkst du, dass es da hilft sich wie ein Schwachkopf anzuziehen?"
Rose, die nun gefühlte Hundertmal an mir herumfummelte, meine Billig-Nerdbrille aus Kunststoff zurechtrückte, zuckte übertrieben mit den Achseln.
„Du kannst doch nur betrunken sein. Dieser Rucksack, meine Augen! Konntest du ihn nicht noch enger stellen? Was soll die Überbissattrappe? Prudence, ich liebe dich, aber du bringst mich echt zum Heulen."
Hysterisch griff sie nach meinen Schultern, schüttelte mich wie einen Martini.
„Denk doch mal nach, du verrückte Kuh! Deine biologische Uhr tickt unaufhörlich, und du siehst aus wie ein Teenager, der seinen Führerschein faked um Bier an einer Tankstelle kaufen zu können."
Auf ihr Gesicht hatte sich ein besorgter Ausdruck geschlichen, sie redete, als würde sie das FBI verfolgen. Ehrlich gesagt würde ich sogar darauf wetten, dass ihr Blutdruck mittlerweile höher als der Mount Everest geklettert war – zumindest würde mir das begreiflich machen, wieso ihr Kopf eine purpurrote Färbung angenommen hatte. Besänftigend hob ich die Hände, während mein Mund wie von selbst ihr zuzulächeln versuchte.
„Rose..." Ich setzte die Stirn entschuldigend kraus „Ganz langsam, es ist kurz nach acht, okay? Denkst du echt, ich bin schon in zwischenmenschlicher Höchstform?"
„Das solltest du lieber sein!", giftete sie verbittert „Mc. Fucking. Lovin!"
„Naja..."
„Naja?!"
„Na... Naja eben."
Ich ließ die Finger zu meinen Schultern wandern, wo Rose mich ja fast schon manisch umklammert hielt, und pustete mir gefrustet eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Vielleicht hatte sie Recht, meine beste Freundin; Vielleicht hätte auch ich mich als Harley Quinn verkleiden sollen. So wie wahrscheinlich alle anderen Frauen, die auf der Halloweenparty auflaufen würden. Netzstrumpfhose, Hotpants, süße Zöpfe. Bisschen Schminke, bisschen verwischen, fertig.
„Ich geb mich geschlagen, Allerdyce." Mit frustrierter Miene fasste ich mir in den Mund, fischte den Plastiküberbiss heraus, der mir das Reden erschwerte – Dann warf ich ihn gekonnt in den offenen Müllkorb, den meine Kommilitonin in ihrer Wohnung stehen hatte. „Aber das McLovin Tshirt lass ich an, dass das klar ist! Und die Brille bleibt auch. Was zum Wechseln hab ich notfalls..."
„Vergiss es", folgte sofort der Widerspruch „Zumindest die Brille lässt du noch da, sonst ermorde ich mich gleich hier und jetzt!"
Wow, wie dramatisch. Ich setzte zum Widerspruch an, schürzte die Lippen. Das Feuer in mir war bereit, mit Sarkasmus und Zynismus um mich zu schlagen, Rose platt zu argumentieren – Mir wurde allerdings schlagartig schwindlig, als ich auch nur Luft geholt hatte, und so konnte ich nichts anderes tun, als stützend nach ihren Armen zu greifen.
„Siehst du?", plärrte sie weiter, hielt mich fest. Auf ihren knallrot geschminkten Lippen sammelte sich ein triumphierendes Grinsen, ehe sie mich anlachte. Nicht, dass eine gute Freundin an dieser Stelle mal gefragt hätte, ob alles okay wär. Wo dachte ich nur hin? „Das ist die bekloppte Brille, Süße. Die falsche Stärke zerstört dir noch den Gleichgewichtssinn. Das hast du nunmal davon, Kostümartikel bei Wish zu bestellen."
„Was ein Bullshit..."

Tja. Wie soll ich es sagen? Es war vielleicht doch kein Bullshit. Nach diesem ersten, merkwürdigen Anfall, den ich mir als Zyklusbedingte Schwäche einredete, ging es eigentlich nur noch bergab. Zwar zwang Rose mich erfolgreich dazu, mir zumindest die Haare zurechtzumachen, aber auch das half mir herzlich wenig beim kommenden Fast-Sterben.
Kaum in der U-Bahn angekommen bekam ich eine Schweißattacke, so, als wären es grade 30 Grad im Schatten, obwohl wir doch längst Mitte Oktober hatten. Auf dem Fußweg zur Party war mir, als würden blinkende Sternchen um mich herum schweben. Und grade, als ich mit meinem Fuß den Eingang des Clubs überschritten hatte, schienen meine Lungenflügel zu kollabieren.
Ich konnte mir grade noch das erstbeste Klo suchen (natürlich nicht ohne, dass man mich auf dem Weg mehrfach wie einen Junkie anschaute), um dort in Ruhe zusammenzubrechen;
Die Toilettentür war ins Schloss gefallen, das automatische Licht angegangen, da erzitterten bereits meine Augenlider.
Mein Herz schien leicht zu werden, mein Körper schwer.
Es fühlte sich an, als würde ich zerreißen;
Und dann war da nichts mehr, was man als Bewusstsein hätte bezeichnen können.


× × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × × ×



„Wow, das ist ja mal ein selten hässlicher Mann!"
Nur langsam, wabernd, fast schon zäh erreichte mich die Klarheit. Mein Geist ließ sich massig Zeit damit, zurück in meinen Körper zu kehren. Meine Lippen krampfen angestrengt aufeinander.
„Naruto, reiß dich mal zusammen. Du bist so lächerlich! Auf jeder Mission musst du Blödsinn erzählen und nerven. Bitte, halt doch einfach den Rand!"
War das ein Mädchen? Tschuldigung? Ich war hier bewusstlos, lag wahrscheinlich auf dem Fußboden herum, und die mussten streiten? Konnte mal nicht einer einen Krankenwagen rufen? Ich denke, das wäre angemessen.
Mein Herzschlag wurde kräftiger, ich spürte wieder Wärme in meiner Brust. Mein Körper schien nach einem Neustart hochzufahren, ähnlich, wie wenn ich mal wieder meinen Laptop-Akku beim Netflixgucken leerlaufen lassen hatte. Fehlermeldungen und kritische Warnsounds inklusive.
„Leute, ihr benehmt euch ziemlich kindisch. Reißt euch doch einmal zusammen, ist ja kaum auszuhalten."
Mittlerweile war mir klar geworden, dass es die Stimmen von drei pubertären Kindern sein mussten, die mich zurück in die Realität laberten. Mit einem gedehnten, brüchigen, kaum hörbaren Stöhnen machte ich mich bemerkbar – Ich sammelte noch einen Moment lang meine Kräfte, ehe ich die kalten Handflächen auf dem Boden zu Fäusten ballte. Es schien nass zu sein, geregnet zu haben.
„Sasuke! Du hast natürlich recht. Wie immer!", hektisch quäkte das Mädchen los, bestätigte offenbar die letzte Aussage, die „Sasuke" getätigt hatte. Dabei erinnerte sie mich an einen Golden Retriever, der seinem Herrchen eine Zeitung gebracht hatte, und nun mit wedelnder Rute auf einen belohnenden Snack wartete. Aber Moment mal! Wo waren wir hier bitte?
Naruto, Sasuke? War das China Town? Die Leipziger Buchmesse? Irgendeine japansiche Reality-TV-Sendung, in die man mich gestopft hatte? Vielleicht ein Drogentraum, nachdem das Billo-Wish-Plastik mich in andere Sphären gegiftet hatte?
„Aber ein bisschen Recht hat Naruto schon, hässlich ist der Typ wirklich."
...
...
...Ich hoffte wirklich inbrünstig, die Teenager redeten nicht von mir. Von meinem bewusstlosen Selbst, das da so im regennassen Schlamm rumlag, verkleidet als uncoolste Filmfigur jemals. Mein Pony? Wahrscheinlich völlig zerzaust. Der Rucksack? Hing mir immer noch unter den Achseln. Meine Laune? Mitsamt meinem Kreislauf tief unten im Keller, wahrscheinlich Kartoffeln hochholen. Mit flauem Gefühl im Magen nahm ich einen tiefen Zug Luft und machte Anstalten, mich auf die Knie zu setzten. Mein Körper gehörte langsam wieder mir, gehorchte meinen Befehlen mit wenig Verzögerung.
„Oh, Sensei Kakashi! Der furchtbar unattraktive Mann wird wach!"
...
...
Mir war, als würde jemand mein Ego mit einem Kugelschreiber erdolchen. Ich wusste, dass ich ungeschminkt, ungeduscht und knittrig auch mal wie Shrek aussehen konnte - Aber wie ein richtiger, echter Kerl? Das war schon beleidigend.
„Ich..." Begann ich zu murren, noch bevor ich wusste, was ich mit meiner Aktion erreichen wollte „Ich... Ich bin kein..."
„Kein Mann?" Eine weitere, raue Stimme, defintiv maskuliner Herkunft, mischte sich ins Geschehen "Ist doch offensichtlich."

Noch bevor ich meine Gesprächspartner ansehen, ja, noch bevor ich überhaupt die Augen öffnen konnte, spürte ich einen spitzen, kühlen Gegenstand, der neben mir zu Boden rauschte - Und dabei nur knapp meinen Kopf verfehlte.
Was war das denn jetzt wieder?

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⏰ Last updated: Oct 21, 2019 ⏰

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Chakra-Was? Ist das so Esoterikscheiß?Where stories live. Discover now