Kapitel 2

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„Ciao Kakao!“, verabschiedet sich meine Freundin mit einer Umarmung von mir und hastet in den Bus, bevor sich dessen Türen schließen und der Fahrer mit grimmigem Gesichtsausdruck davonfährt. Himmel, hat der eine Laune.
Naja, um genauer zu sein, geht es mir gerade echt nicht anders. Das Gespräch mit meiner Lehrerin vorher hat mich eine Menge Kraft und Energie gekostet, da es echt nicht einfach war, sie davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Komischerweise fühlt es sich aber tatsächlich so an. Meine Noten sind zwar durch meine aktuell nicht vorhandene Beteiligung am Unterricht nicht so gut wie im letzten Jahr, aber im Großen und Ganzen läuft es. Ich habe Camilla, meine Familie ist zwar ein bisschen verkorkst, aber nichts, was wirklich schlimm ist und eigentlich geht es mir echt gut. Wenn man einen Vergleich zu Entwicklungsländern wie zB. Viele in Afrika zieht, bin ich schon so gut wie reich.
Und trotzdem fühle ich mich irgendwie unvollständig. So, als ob ein Puzzleteil, das entscheidende, was das Bild komplett macht, fehlt. Okay, das hört sich jetzt dramatisch an, schlimmer, als es vermutlich in Wirklichkeit ist, aber das sind nun mal meine Gedanken und die kann ich leider Gottes nicht einfach wie einen Lichtschalter ausknipsen.
Während ich darüber nachdenke, dass das echt eine verdammt gute Idee wäre, steige ich in meinen Bus, der mittlerweile auch gekommen ist, und zeige dem Fahrer abwesend meine Fahrkarte. Zu spät erst kommt sein „Hallo!“ in meinem Kopf an, sodass ich ihm nur noch halbherzig über die Schulter zulächle. Es gibt anscheinend doch nette Busfahrer in dieser Welt.
„Fuck“, murmle ich allerdings, als ich meinen Kopf zurück in Richtung Gang drehe, und sehe, dass der Bus rammelvoll ist. Eine riesige Reisegruppe von Rentnern hat sich bereits einen Großteil der Plätze gesichert, doch zum Glück finde ich ganz hinten noch einen Zweier-Sitz, der nicht belegt ist. Leise schiebe ich mich bis dorthin durch und lasse mich mit einem Seufzen fallen. Heute ist echt nicht mein Tag.
Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und mache das Lied „Dancing on my own“ an, welches mich immer in noch traurigere Stimmung versetzt. Das Prinzip davon habe ich zweifellos verstanden. Ich schließe erschöpft meine Augen, während ich darauf warte, dass der Bus sich endlich in Bewegung setzt. Ich will nur noch nach Hause, ist das denn zu viel verlangt?
Eine Ewigkeit tut sich nichts, aber ich gebe mich einfach der Musik hin, bis mich ein Räuspern aus meinem Dämmerzustand reißt. Rasch öffne ich meine Augen und blicke direkt in die eines Jungens, der vielleicht ein Jahr älter sein mag als ich und mich undurchschaubar anstarrt. Och nee, bitte kein Scheiß Anmachspruch, das würde dem heutigen Tag echt noch die Krönung verleihen. Doch es kommt nichts, außer ein genuscheltes: „Ist hier noch frei?“, was ich mit einem knappen Nicken beantworte.
Komischer Typ, mir ist selten einer begegnet, der derart schüchtern war. Aber was interessiert mich das, bevor ich eine Beziehung eingehen könnte, muss ich erstmal mit mir selbst klarkommen, was im Moment das deutlich größere Problem darstellt. Ich stöpsle meine Kopfhörer wieder ein und lehne meinen Kopf an das Fenster, bis sich der Bus mit 20 Minuten Verspätung endlich in Bewegung setzt.
Ohne es zu wollen, werfe ich jedoch immer wieder einen Blick zu dem Jungen neben mir. Er starrt jedes Mal ins nichts und dreht seine Musik immer lauter. So hört es sich zumindest an, da bekomme ja sogar ich fast einen Hörsturz. Die Bässe, die auf Metalmusik zurückzuführen sind, müssen ohrenbetäubend laut sein, und ich frage mich, was er damit erreichen will. Cool wirken? Glaube ich nicht. Sonst hätte er sich direkt anders benommen, außerdem passt sein Aussehen auch nicht wirklich zu diesem ganzen Bad-Boy Getue. Die dunkelbraunen Haare fallen ihm wirr ins Gesicht, man könnte fast meinen, sie wären schon seit heute Morgen so. Und der alte Over-Sized Pulli, der nebenbei mega gemütlich aussieht, steht ihm zwar, wirkt aber im ersten Moment nicht wirklich anziehend auf Mädchen. Zumindest nicht auf die, die auf Bad-Boys stehen. Aber auf …
Okay Kira, hör sofort auf an sowas zu denken. In dieser Welt gibt es tausende von hübschen Jungs, du brauchst dich nicht direkt in den ersten zu verknallen, schon gar nicht, wenn er sich zu 100% nicht für dich interessieren wird. Und schon gar nicht jetzt.
Mit diesen Worten an mich selbst, drehe ich meine eigene Musik ebenfalls um einiges lauter, in der Hoffnung, meine Gedanken an ihn damit auszuschalten. Ich werde ihn sowieso nie wiedersehen, was bringt es dann, weitere Blicke an ihn zu verschwenden?
Bis der Bus in meinem Dorf angekommen ist, rede ich mir sämtliche dieser Dinge ein. Und trotzdem geht mir der Junge mit dem, wie ich bemerkt habe, traurigen Gesichtsausdruck auch während dem Heimweg nicht aus dem Kopf.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 23, 2019 ⏰

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