lonely mirror

Vergangenheit

Über Mollys Vergangenheit wusste man nicht viel. Und sie schon gar nicht. Woher sollte sie auch wissen wo sie herkommt, wie sie heißt oder wann sie Geburtstag hat, wenn es niemanden gab der es ihr sagen konnte?
Den Namen Molly wurde ihr gegeben um ihr einen Ausweis ausstellen zu können. Ihren Geburtstag schätzten Ärzte zwischen dem 29.November und den 02. Dezember. Aber wo sie herkam, davon hatte keiner eine Idee. Man fand sie - erst ein paar Tage alt - auf dem Hof des Waisenhauses, eingebettet in einem Flechtkorb und eingewickelt in mehrere Decken am Nikolausabend vor. Eine 10cm hohe Schneeschicht bedeckte den Boden, doch es waren keine Füßabdrücke zu erkennen, die zu dem Korb hin oder weg führten. Polizei und Ärzte waren ratlos. Keiner konnte sagen zu wem dieses Baby gehörte. Bis zu ihrem vierten Lebensjahr wuchs sie im Waisenhaus auf.
Bereits damals hörte sie auf den Namen Molly.
Sie war ihren Altersgenossen mit der Entwicklung sehr weit vorraus, nur sprechen mochte sie nicht. Das Brabbeln der anderen schüchterte sie meist ein. Spielaufforderungen von Erzieherinnen oder auch von Kindern ging sie nicht nach. Verschiedenen Kinderpsychologen bereitete sie ebenfalls Kopfzerbrechen. Niemand wurde schlau aus ihr, also ließ man es dabei. Von Molly wurde von da an nicht mehr abverlangt als nötig. Wann sie im Bett zu sein hatte, wann sie zum Essen am Tisch zu sitzen hatte und wann sie drinne zu bleiben hatte verstand sie. So war das Leben im Waisenhaus eigentlich sehr annehmbar für sie.
Dann kam der Tag an dem sie endlich ein neues Zuhause finden sollte. Frau und Herr Genfer entschieden sich für sie. Ein erfreulicher Moment für die Erzieherinnen, die das Schicksal von Molly mitgerissen hatte. Für Molly stellte es jedoch eine Veränderung und Umstellung dar. Das eine ging mit dem anderen einher und beides konnte sie nicht leiden.
Zunächst zeigten ihre Eltern viel Interesse an ihr. Es wurden viele Fotos mit ihr geschossen. Bald aber waren sie mit Mollys Eigenart überfordert und das Mädchen war oft alleine. Das gefiel Molly. Endlich Ruhe. Und viel Freiraum zum Entfalten. Nur leider in die falsche Richtung...