✧ ONE ✧

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Erstes Kapitel
«Wer will ich sein?»

„Oh mein Gott", waren die ersten Worte,
die ich von einer hellen Stimme aufnahm, nachdem ich mich mit schwerem Herzen aus dem Bett geschleppt und die Zimmertür ins Wohnzimmer aufgemacht hatte.

Meine Pipi Blase explodierte in jedem Moment.

Ich sah in zwei große, geweitete, blauen Augen die mich herabwürdigend anstarrten.

„Du siehst verdammt Scheisse aus",
waren die nächsten Worte, die von niemand anderem stammten, als meiner Freundin Nic.

Ich fragte mich einen Augenblick,
ob ich nur müde war und Wahnvorstellung hatte, doch diese Theorie- oder besser gesagt, dieser Traum- zerfiel, als ich den ekligen Geschmack, nach dem Aufstehen, in meinem Mund schmeckte.

Ich war wach.
Zu hundert Prozent.
Bäh.

Ich zwang mich zu einem Lächeln.

„Wow! Vielen Dank für das Kompliment. Warum siehst du so gut aus?", fragte ich nun und stemmte die Hände in die Hüften.

Sie lag gemütlich auf meinem Sofa, hielt in ihrer rechten Hand ihr Handy, in der anderen ein Glas Wein- von dem ich keine Ahnung hatte, vorher es stammte.

Eigentlich wäre das ein ganz normaler Anblick oder vielleicht sogar eine Tätigkeit für Mädels in unserem Alter, die sie oft taten.

Ich meine ein Glas Wein schadet nie, das war Nics Lebensmotto.

Doch es ist 6 Uhr morgens.
Fucking 6 Uhr morgens.

„Ach. Ich sehe immer gut aus. Aber du! Heilige Scheisse, bist du von den Zombies auferstanden ?"

„So ähnlich. Ich habe geschlafen. Das tun normale Menschen, weißt du?", ich musterte sie und in ihrer Mimik war nicht eine Spur von Müdigkeit zu erkennen.

Entweder ist sie ein totaler Morgenmensch
oder ein Vampir.

Sie spitzte die Lippen und musterte mich weiterhin.

„Du brauchst schleunigst eine Dusche", grinste sie.

Sie klang wie meine Mutter.

„Du brauchst schleunigst neue Gehirnzellen", ich setzte mich in den Sessel vor ihr.

„Und wenn du weiter so schaust und mir Befehle gibst, komme ich und hauche dir ins Gesicht. Glaube mir- der Mundgeruch am Morgen ist schlimmer als billiger Wein", ich deutete auf ihr Glas und im nächsten Moment warf ich den Kissen, der rechts neben mir lag, auf sie.

Naja ich versuchte ihn auf sie zu schmeißen.
Er flog knapp daneben.

„Oh Gott! Ich habe Wein in der Hand! Du wirst mein neues Outfit zerstören! Bitte verschone mich!", sie kniff die Augen panisch zu und ließ ihr Handy auf die Couch fallen, um sich die Hand auf den Mund zu pressen.

Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen.

Aber nur ein kleines.

Nic trug ein schwarzes Shirt, was ihr bis zum Bauchnabel reichte und ein Stück ihres Tattoos, auf ihrer Hüfte freigab.

Ich weiß noch wie sehr ich ihren
Mut für dieses Tattoo bewundert hatte.
Nicht nur, weil mit dünnen Nadeln und einem Instrument, das bis zu 3000 Mal in der Minute vibriert hatte, Farbpigmente in die Haut gestochen wurden, sondern ihre Eltern sie dafür umgebracht hätten.

Sie wusste es.
Hindern tat es sie nicht.

Bis heute haben sie es nicht entdeckt,
was wahrscheinlich daran lag, dass sie Nic nur in Kleidern, Blusen und Stiftröcken sahen, damit sie in ihr Familienbild passte.

too brokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt