PROLOG

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"Ich sage es nicht noch einmal. Wer ist dieser verfluchte Mann, der es wagte, meinen Besitz anzufassen!" Der Mann torkelte wie im Wahn weiter auf seine Freundin zu, die ängstlich ein paar Schritte zurückwich, bis ihre nackten Füße den Fließenboden der Küche verließen und auf das Parkett des Wohnzimmers trafen. Der sonst hellbraune Untergrund war überschwemmt mit Wein, dessen Farbe selbst nach mehrfachen Putzen nicht mehr verschwinden würde; das Weinglas, welches auf dem Tisch gestanden hätte, war umgefallen. In ihrer einen Hand trug die junge Frau ein Glas, in der Anderen die fast leere Weinflasche. "Bitte, Schatz. Ich schwöre, da gab es niemanden! Bitte beruhigte dich und trink noch ein Glas-" Ihre Stimme war so leise, dass man sie fast nicht verstehen konnte und wurde gegen Ende immer leiser. "Du elendes Weib!" Er unterbrach sie - falls er sie überhaupt verstanden hatte- zeigte anklagend auf ihr Gesicht und sie senkte den Blick, um ihn nicht noch wütender zu machen. "Du hast es bestimmt gewollt! Dieser Bastard hat dich bestimmt nicht überreden müssen! Bist bestimmt gleich mit dem in die Kiste gestiegen!" Er dreht sich um und lief leicht schwankend zu dem hölzernen Küchentisch, auf denen das Abendessen auf weißen Tellern fein säuberlich und mit einem gewissen Grad der Perfektion angerichtet war. Mit einer schwungvollen Bewegung riss er das Gedeck auf den Boden und das weiße Porzellan mit den kleinen Verzierungen zerbrach mit einem lauten Scheppern, das Essen verteilte sich auf dem Boden und vermischte sich mit dem Wein. Die Scherben verteilten sich überall und die Erbsen rollten über das Parkett bis unter die Couch, während das Schnitzel einfach mit einem leisen Platsch auf den dunklen Fliesen landete. Das weißes Hemd des wütenden Mannes war nun mit braunen Sprenkeln der Pilzkremsoße übersät. Die Frau zuckte aufgrund des Lärms zusammen, wich weiter zurück, in Richtung des Wohnzimmertisches, um nicht in die Splitter zu treten. Dort stellte sie das Weinglas ab und umfasste mit ihrer linken Hand den Stein ihrer Kette. Leise flüsterte sie :"Bitte..." Doch er unterbrach sie, indem er mit seinen Schuhen über die Scherben stieg und sie packte. Seine Hände krallen sich in ihre Oberarme und er schüttelte sie. "War es denn nicht genug, dass ich dir deinen Freiraum gelassen habe? Habe ich dir nicht ausdrücklich verboten, das Haus zu verlassen? Ich hab dir sogar die Kette zur Verlobung geschenkt, ich Idiot. " Sie fing an zu schluchzen. Das schien ihn noch wütender zu machen und er schubst sie in Richtung Küche. Sie schrie auf, als sie ausrutschte und in die Scherben fiel. Ihr glitt die Flasche aus der Hand und die Weinpfütze vergrößerte sich. Sie wimmerte. Eine Glasscheibe hatte sich in ihre Hand gebohrt. Sobald sie sich bewegte ritzten die Splitter ihr in die Haut und gesellten sich zu den Narben, von denen noch, von denen man he nicht nicht ganz verheilt waren. Sie konnte nirgends hin. Um sie herum hatten sich die Scherben dicht auf dem Boden verteilt, sodass sie selbst mit ihren zarten Füßen keiner hätte ausweichen können. Ihr Verlobter trat näher und sie kauerte sich trotz der Schmerzen zusammen, doch er beachtete sie gar nicht mehr. Mit seinen großen Händen packte er die Weinflasche und trank den Rest, der sich noch darin befand, aus. Dabei lehnte er sich weit zurück und taumelte. Er breitete sie Arme aus und drehte sich mit dem Rücken zu seiner weinenden Verlobten, sah aus dem großen Terassenfenster und brüllte :"Ich dummer Idiot! Ich bin zu bedauern, dass mich meine geliebte Verlobten hintergeht!" Er drehte sich ruckartig um und sah sie mit blitzenden Augen an. "Du... Du bist das Allerletzte! Womit habe ich das verdient?" Er lief mit großen Schritten auf sie zu. Unter seinen Arbeitsschuhen splitterte das Glas, doch es konnte ihm nichts anhaben. Kurz vor ihr stoppte er und sah von oben auf sie hinab. Sie ließ ihren Blick auf seinen Schuhen, damit er nicht ihr tränennasses Gesicht sah. Er hasste es, wenn sie Schwäche zeigte. Doch wer konnte schon stark bleiben, wenn der eigene Mann diese entsetzlichen Dinge tat, die nicht nur äußerliche Narben hinterließen. "Sieh mich gefälligst an!" Seine laute Stimme war plötzlich so nah an ihrem Gesicht. Sie zuckte zurück, hob jedoch den Kopf und sah in sein von Brüllen rotes Gesicht. Er hob seine Hand und verzog das Gesicht vor Hass und Missbilligung. Sie erwartete, zu fühlen, wie seine Faust ihr Gesicht traf, ihr vielleicht wieder die Nase brach oder diesmal vielleicht den Kieferknochen. Sie erwartete, von der Kraft den Schlagers zurückgeschkeudert zu werden. Und sah schon ihren Kopf an der Kante des Holtisches hinter ihr auftreffen, spürte, wie ihre Schädeldecke nachgab und in diesem Moment war es ihr plötzlich egal. Es war ihr egal, ob sie heute starb, denn plötzlich fühlte sie sich frei. Es wäre die Erlösung, wenn ihre Seele in den Himmel aufsteigen würde, denn zu lange lebte sie schon in ihrer eigenen Hölle. Sie saß da, und wartete auf das Ende, ihre Augen und seine Augen verbunden, wie bei einem Blickduell. Doch es kam nie zu dem Schlag, denn seine Hand stockte mitten in der Bewegung. Überrascht weitesten sich ihre Augen. Hatte sie es geschafft, ihn zu bezwingen? Hatte ihr leerer Blick ihn zögern lassen und er erkannte, was er falsch gemacht hatte? Egal was es war, es verschob nur das Unvermeidbare.
Doch dann taumelte er und unterbrach den Blickkontakt, seine Augen wanderten hinunter und sein Mund klappte auf. Doch anders als vorher kamen keine Worte heraus. Nur ein überraschtes Keuchen, als wäre etwas passiert, was er nicht erwartet hätte. Ihre Augen wanderten ebenfalls hinunter. Und falls sie vorher dachte, ihre Hölle könnte ein Ende gefunden haben, so sah sie zuerst rot. Ein roter Fleck, wie der Wein, der auf dem Boden lag und langsam in das Parkett einzog. Fast hätte sie aufgelacht, denn sie verstand nicht, wieso er so ein geschocktes  Gesicht machte. Das Hemd war doch eh ruiniert. Doch dann breitete sich der Fleck immer weiter aus, ein blutroter Kreis, der die braunen Sprenkel der Soße überdeckte, bis er den Rand des Hemds erreichte. Ab dort tropfte es dann hinunter auf den Boden. Sie betrachtete wie in Trance, wie der erste Tropfen auf eine der traf und sich mit dem Wein vermischte. Ihr fiel auf, dass der Tropfen eine andere Farbe hatte, wie der Wein. Und dann machte es in ihrem Kopf Klick. Sie sah nach oben und sah ihren Verlobten wie in Zeitlupe nach vorne kippen und folgte der Bewegung mit den Augen. Mit einem dumpfen Geräusch traf er auf dem Boden auf, inmitten der Glasscheiben, die sich in seine Haut bohrten, unmittelbar vor ihr. Sein Gesicht wieß keine Regung auf, nur aus seinem Mund lief das Blut.
Sie schnappte nach Luft, und fühlte, wie ihr schwindelig wurde. Da vor ihr lag ihr Fiancé, in einer Blutlache. Stoßartig atmete sie ein und aus. Sie konnte ihren Blick nicht von der Leiche vor ihr entfernen. Keine Kriminal-Serie konnte sie auf diesen Anblick vorbereiten. Die Augen, die wie fixiert auf einen Punkt starrten anstatt wütend und voller Hass in ihre Augen. Die Arme, einen neben seinem Kopf, der andere an seiner Seite. Ohne Kraft, ohne... Alles. Nicht einmal sein Bewusstsein war geblieben.
Ihr wurde ganz kalt. Ihr lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter und sie versuchte den Blick zu lösen. Versuchte sich zu bewegen. Die Glasscheiben knirschten leise, als sie ihr Gewicht verlagerte, doch sie spürte keine Schmerzen. Ihr Blick wanderte hoch an seinem Rücken, in dem eine Scherbe steckte. Der sichtbare Teil war etwa so lange, wie ihr Zeigefinger, blutverschmiert und eisblau. Ihr Blick blieb daran hängen,wahrend sie vorsichtig versuchte, aufzustehen. Sie konnte es immernoch nicht ganz begreifen. Ihr persönlicher Teufel, der sie fast zwei Jahre lang in seinen Klauen hatte, war von jeztz auf nachher... Einfach weg. Die Kälte schien sich in ihrem ganzen Körper auszubreiten, bis zu ihrem Herzen. Kälter, als Eis, so kalt, dass sie nicht einmal den stechenden Schmerz empfand. Sogar ihr Atem gefrohr in ihren Lungen, das Atmen wurde schwer und weiße Wölkchen waren in der sonst warmen und behaglichen Küche zu sehen. Sie konnte sich nicht bewegen, festgefroren am Boden in den Scherben. Und dann fingen die Lichter an, zu flackern, an den Glühbirnen bildeten sich Eiskristalle, und im flackernden, kalten Licht saß sie zitternd auf dem Boden, zwischen den Splittern, die sie nicht mehr spürte, mit ihrem Toten Verlobten mit dem Glasdolch im Rücken vor ihr. Sie konnte fühlen, wie ihre Augen langsam zufiehlen, doch in diesem Moment sollten sie aufbleiben. Mussten sie aufbleiben. Denn sie konnte nicht glauben, was sie sah, und schob es deshalb auf ihre Unterkühlung, die fast ihr Herz erreicht hatte. Das Übernatürliche konnte es nicht geben. Diese Kälte konnte nicht von Unnatürlichem verursacht worden sein, doch da war etwas. Eine Präsenz, die auf viele Weisen nicht natürlich sein konnte.
Innerhalb einer Sekunde, in der das Licht zweimal aus und wieder an ging, war es plötzlich da. Eine Gestalt, die die Kälte praktisch ausstrahlte. Es gab keine genaue Kontur, nur ein Schatten, der sich schnell auf sie zubewegte. Trotz ihrer gefrorenen Gliedmaßen versuchte sie sich zurückzudrücken, in ihren blauen Fingern steckten kleine Splitter, doch sie blutete nicht. Als ob selbst ihr Blut gefroren wäre. Als die Gestalt vor ihr stand schloss sie ihre Augen. Ihr war so kalt, dass die nicht einmal mehr empfinden konnte, alles wirkte langsamer und die Gestalt kam immer näher. Unter ihre Füßen knirschten die Splitter nicht, ebenso wenig bohren sie sich in ihre Füße. Als würde sie aus dichtem Nebel treten, wurde ihre Silhouette immer deutlicher. Nackte Zehen die bei jedem Schritt unter dem schwarzen Unterrock ihres roten Kleides herausragen. Der Saum war mit edlen, schwarzen Mustern bestickt, die sich wie Schlangen um das Kleid drehten. Um ihre schmale Taille war ein dünnes Band gebunden, am Knoten befand sich eine lockere Schleife, deren Enden locker nach unten fiehlen. Der Obere Teil des Kleides war einfach gehalten, um die Aufmerksamkeit nicht etwa auf ihren Ausschnitt zu lenken (der sorgsam bedeckt war), sondern auf die Kette, die die Augen des Betrachters in den Bann zu ziehen schien. Ein einfaches schwarzes Lederband mit einem schwarzen Stein. Doch eben dieses eigentlich unauffällige Schmuckstück strahlte eine gewisse... Wärme aus. Ein kleines Licht, in der dunklen Küche, ein warmer Schein in einem Eisland. Bei genauerem Betrachten könnte man erkennen, dass der Schein aus dem Inneren kam, genauer gesagt, von den kleinen Lichtern, die sich in dem Stein befanden. Wie kleine Sterne gefangen in der Dunkelheit und Kälte des Universums. Doch dies war nicht das Schockierendeste. Ihr Hals wurde von einem weiteren Band von Rest des Körpers getrennt. Doch dies war weder Kette, noch Halsband. Eine unregelmäßige, dicke Linie, die sich aus schwarzer, blauer und violette Farbe zusammensetzte. Als wäre sie...
Nein. Sie war bestimmt nur eine Nachbarin, die den Krach gehört hatte und kam, um nach dem Rechten zu sehen. Das Kleid gehörte bestimmt zu einer Kostümparty. Und den weißen Schal auf ihrem Kopf trug sie bestimmt, weil ihr genauso kalt war... Es gibt keine übernatürlichen Wesen.
Und doch kam diese Frau lautlos auf sie zu geschwebt, blieb bei ihrem Verlobten stehen und sah auf ihn hinab. Dann ging sie vorsichtig in die Hocke, behielt jedoch ihre vornehmlich Haltung. Ihre schmale, linke Hand umfasste den Eisdolch aus Glas und zog ihn mit einer rückwärtigen Bewegung aus dem Rücken des Toten, wobei dessen Shirt weiter aufriss.
Sie wollte schreien, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Vor Angst und Trauer. Und als diese Frau mit dem Dolch auf sie zu kam, wandelte sich ihre Angst in Panik. Ihr Atem verschnellerte sich, weiße Wölkchen stiegen auf und verschwanden wieder, ihre Augen waren weit aufgerissen und sie konnte fühlen, wie ihr Herz sich zusammenkrampfte. Tränen bildeten sich, doch sie rollten nie seitlich an ihrem Gesicht herunter, denn sie gefroren mitten in der Bewegung und erstarren auf ihren Wangen. Und erst, als die Frau direkt vor ihr stand, sah sie in ihr Gesicht.
Schwarze Haare, bedeckt von einem weißen Schleier, umrandeten das Gesicht, blasse Haut, weiß wie Schnee und glatt wie Porzellan, und Augen, die einem den Atem nahmen. Große, klare, stechend blaue Augen starrten ohne eine Regung auf die am Boden liegende Frau. Die Zeit schien still zu stehen, die Lichter hörten auf, zu flackern und kurzzeitig schien es ein paar Grad wärmer zu werden. Doch dann veränderte sich der Ausdruck in den blauen Augen von neutral zu Hass und... Trauer? Sie kniete sich direkt neben der verängstigten Frau hin, diesmal knirschten es unter ihren Füßen, und führte ihr Gesicht ganz nah zu dem ihres Gegenüber. Dann öffnete sich ihr Mund. Zuerst ein Krächzen, als wäre ihr Hals tugewchnürt, doch dann bildeten sich Worte.
"Bruch eines Versprechens. Schuldig im Namen des Rates, des Allmächtigen."
Sie neigte den Kopf in die eine Richtung und musterte die vor Angst erstarrte Frau vor ihr. Diese hatte ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle, konnte keines ihrer Gliedmaßen bewegen, nicht einmal zittern konnte sie. Nur stumm daliegen, wehrlos, blutend, ohne Gedanken.
Wie ein Raubtier, das seine Beute betrachtet und abwägt, ob es sich lohnt, es zu töten, bohrte sich der Blick wieder in ihre Augen.
"Du hast mein Herz gebrochen. Durch diene Schuld wurde ich Schuldig genannt!"
Ihre Stimme hatte sich mit jedem Wort gehoben, klang fast schrill, doch nun atmete sie keuchend ein, als ob sie Schmerzen hätte. Sie wippte leicht vor und zurück.
"... Liebte dich... Deine Schuld. Deine Schuld! Leide!"
Sie drückte der Frau ihre Hand auf die Brust, da wo ihr Herz schlug. Diese krümmte sich zusammen, ihr Herz krampfte sich zusammen. Die Lichter fingen wieder an, zu flackern.
Und innerhalb des Bruchteil einer Sekunde war es vorbei. Die Lichter stoppten, eine der Glühbirnen blieb sogar ganz aus, die Frau war weg. Nichts würde an sie erinnern.
Sie wusste nicht genau was geschehen war und niemand klärte sie auf. Alles zog wie ein Nebel and an ihr vorbei. Die Polizei und der Krankenwagen, die irgendwann eintrafen, der Wortwechsel zwischen irgendwelchen Personen.

... Eine Frau mittleren Alters hat gestern in ihrer Wohnung ihren Verlobten getötet. Es liegen Berichte einer Zeugin vor, dass der Mann sie geschlagen habe, doch mehrere Andere berichten von einem herzensguten und zuvorkommenden Menschen. Also kann das Motiv der Tat noch nicht genau festgelegt werden. Die Tatwaffe wurde kurze Zeit später gefunden, es handelte sich um einen Glassplitter, mit dem sie ihn hinterrücks erstochen hat. Sie selbst wies einige Verletzungen auf, jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich diese nicht selbst zugefügt hat. Sie habe zudem die gemeinsame Wohnung verwüstet, der Krach hat die Nachbarn aufgeschreckt, die sofort die Polizei riefen, da sie einen Einbruch erwarteten.Eine Befragung der Verdächtigen ergab, dass diese nicht Zurechnungsfähig sei, sie habe laut Bericht von einer "verkleideten Frau aus der Nachbarschaft" gesprochen, die "dem Raum die Wärme entzog". Sie wurde nach Behandlung im Krankenhaus in eine Psychiatrische Klinik gebracht und wird seitdem dort behandelt...

BloodstreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt