Es war mitten in der Nacht, als ich plötzlich hochschreckte und aufschrie. Ich zitterte am ganzen Körper, so kalt war mir.
Es dauerte nicht lang, da kam Vicky, meine Mitbewohnerin und beste Freundin in mein Zimmer.
„Lissi? Alles ok?“ fragte sie besorgt.
„Ja ja alles gut.“ antwortete ich knapp. Sie wusste, dass das nicht stimmte und legte sich zu mir. „Wieder einer dieser Träume mh?!“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
„Hmm..“ murmelte ich, zog die Decke bis unters Kinn und drehte mich auf die Seite.
„Lissi, rede mit mir. Ich hab das Gefühl in den letzten Wochen ist es schlimmer geworden. Ist vielleicht irgendetwas vorgefallen, wovon ich nichts weiß? Bitte rede doch mit mir!“
Vicky stellte sonst eigentlich keine Fragen, das liebte ich an ihr. Sie wusste, was sie wissen musste und war immer für mich da, ganz egal zu welcher Uhrzeit.
„Nein, nein…es geht schon wieder, glaub mir. Würdest du trotzdem hier bleiben? Ich halte die Kälte sonst nicht aus.“ versuchte ich sie zu beruhigen.
Ich hatte mir geschworen später mit ihr darüber zu reden. Es gab tatsächlich einen Grund, weshalb meine Träume schlimmer geworden sind. Aber ich wollte ihr nicht weh tun.
Vicky nahm mich in den Arm und nach einer Weile merkte ich, dass sie eingeschlafen war. Ich hingegen bekam keine Auge mehr zu. Wie so oft hatte ich Angst wieder einzuschlafen.Vicky und ich kennen uns schon seit unserer Kindheit, wir sind im selben Ort aufgewachsen und gingen bis zu unserem Abschluss auf dieselbe Schule. Seit ich denken kann, sind wir unzertrennlich. Sie ist einfach ein wundervoller Mensch, sie kennt mich wie kein anderer. Wir verstehen uns ohne Worte und merken sofort, wenn es dem anderen nicht gut geht. Vicky ist meine bessere Hälfte, wirklich. Auch wenn sie es bis heute verneint, aber sie ist mit Abstand die schönere von uns beiden. Ihre langen blonden Haare sitzen immer perfekt im Gegensatz zu meiner störrischen, braunen Lockenmähne. Sie hat blaue Augen, ein nahezu makelloses Gesicht und eine wunderschöne Figur. Neben mir wirkt sie immer wie ein Supermodel. Das soll nicht heißen, dass ich keine schöne Figur habe, nein, nein, aber mir fehlt eben dieses gewisse etwas. Außerdem fehlt mir eindeutig das Verständnis von Mode und Styling. Aber dafür hatte ich ja Vicky. Nach unserem Abschluss hatten wir beschlossen zusammenzuziehen. Auch wenn sich beruflich unsere Wege trennten, konnten und wollten wir das nicht auch tun. Vic wollte Journalismus studieren und mein Traum war es Konditorin zu werden. Ich liebte Schokolade, Pralinen und vor allem das Experimentieren. Wir warteten auf die Zusage der Uni an der Vic studieren wollte und als diese kam, machte ich mich auf die Suche nach geeigneten Stellen in dieser Gegend. Ich hatte wirklich Glück und bekam in einer namenhaften Confiserie die Chance mich zu beweisen. Scheinbar hatte ich überzeugt, denn ich bekam den Ausbildungsplatz. Vicky und ich nahmen uns eine kleine aber wirklich schöne Zweizimmerwohnung in einer sehr guten Gegend. Allein hätte ich die Miete niemals zahlen können. Da die Eltern von Vicky aber sehr wohlhabend und überaus großzügig sind, haben sie einen Teil der Miete übernommen, sodass Vic und ich uns in den Rest reinteilten. Jegliche andere Unterstützung ihrer Eltern lehnte sie aber ab. Sie wollte endlich auf eigenen Beinen stehen, also fing sie an neben dem Studium zu jobben. Wir lebten nun mittlerweile über 2 Jahre hier und kamen wunderbar zurecht. Mit meinem Ausbildungsgehalt und ihrem Nebenverdienst als Kellnerin in einer kleinen Bar, kamen wir super über die Runden. Mein Leben war nahezu perfekt. Zumindest bis vor genau einem Jahr, war es perfekt. Seither hatte ich diese Träume, seit einem Jahr konnte ich nicht mehr ruhig schlafen. Und Vicky machte sich bis heute Vorwürfe, dass sie an diesem Tag nicht bei mir war, als der Unfall passierte. Das war natürlich Quatsch. Sie hätte nichts ändern können, außer dass es ihr jetzt vielleicht genauso ginge wir mir. Und das hätte ich beim besten Willen nicht gewollt. Vicky ließ mich seit dem nicht mehr aus den Augen, sie kümmerte sich immer um mich. Jede Nacht in der ich schreiend oder weinend aufwachte, kam sie zu mir und blieb bis zum Morgen. Sie wusste von meinen Träumen, da es so offensichtlich war, konnte ich ihr das nicht verheimlichen. Sie merkte schnell, dass mich das sehr belastete, vor allem ihr jedes Mal davon zu erzählen, deshalb fragte sie irgendwann einfach nicht mehr nach. Stattdessen legte sich stumm zu mir und hielt mich einfach nur fest. Selbst meine Eltern wussten dieses Detail nicht. Sie hätten mich niemals weiter hier wohnen lassen, sie hätten sofort verlangt, dass ich wieder zu ihnen ziehe. Aber dann hätte ich meine Ausbildung abbrechen müssen und das wollte ich auf keinen Fall. Zum Glück hatte ich viel zu tun und arbeitete auch an den Wochenenden, sodass nicht so viel Zeit für meine Eltern übrig blieb und ich nach einem Besuch bei ihnen immer wieder einen Grund hatte zurückzufahren und die Nacht nicht dort zu verbringen. Hätte ich dort geschlafen und hätte einen meiner Träume gehabt, wäre ich sofort aufgeflogen. Außerdem wusste meine Mutter, wie ungern ich noch in meinen Heimatort kam. Für sie war er sehr schmerzlich aber sie verstand es dennoch. Zu allen wichtigen Ereignissen kam ich sie besuchen und ansonsten telefonierten wir sehr oft. Eigentlich liebte ich diesen Ort, ich verband ihn mit vielen schönen Erinnerungen. Mit meiner Familie und mit Vicky, aber diese eine Erinnerung, dieser eine Abend überwog alles. Ein Kälteschauer überkam mich und ich schüttelte mich unwillkürlich. Ich darf nicht weiter daran denken, sprach ich innerlich zu mir. Ich schmiegte mich an Vic und schloss die Augen. Wenn sie da war und ich ihre Wärme spürte, schlief ich viel ruhiger. Doch das würde sich bald ändern, bald konnte sie nicht mehr Nacht für Nacht bei mir sein.
Kurz nach meinem Unfall kam Vicky mit Robert zusammen. Sie hatte ihn in der Bar, in der sie kellnerte, kennengelernt und sie passten von Anfang an super zusammen. Ich mag ihn wirklich sehr. Er macht sie glücklich und das macht mich glücklich. Nun wollten sie den nächsten Schritt wagen und sich eine gemeinsame Wohnung nehmen. Robert wohnte außerhalb der Stadt und das pendeln, um sich zu sehen, war für beide sehr anstrengend. Ich konnte es gut nachvollziehen und freute mich wirklich für die zwei. Aber Vicky war da anderer Meinung, sie machte sich sowieso schon Vorwürfe, da sie an dem Tag als mir das passierte, nicht mit zu ihren Eltern fuhr sondern mit Robert ein Date hatte und nicht bei mir war. Ich hatte ihr schon so oft erklärt, dass sie sich nicht schuldig fühlen soll, dass sie nichts hätte ändern können und dass ich mich wahnsinnig für sie freute. Vic hatte vorher nie gute Erfahrungen mit Männern gemacht. Sie wurde von vielen angehimmelt aber keiner konnte ihr intellektuell standhalten. Sie war sehr schlau und wollte partout keinen dieser Dorfproleten. Als sie Robert kennenlernte, war sie sofort hin und weg von ihm. Er ist Bankkaufmann, stand schon damals auf seinen eigenen Beinen und war dazu noch sehr charmant. Wie ich bereits sagte, mag auch ich ihn sehr. Aber seit ich von dem Vorhaben der beiden wusste, sind meine Träume tatsächlich schlimmer geworden. Ich hatte Angst, Angst allein zu sein, Angst vor der Leere und Kälte, die mich nachts überkam. Aber dennoch wollte ich, dass meine beste Freundin wegen mir nicht auf ihr Glück verzichtet und deshalb hatte ich ihr nichts von den Veränderungen erzählt. Natürlich ist sie nicht umsonst meine beste Freundin und bemerkte es sofort, ihr konnte ich einfach nichts vorspielen.
Vielleicht war es wirklich langsam an der Zeit, ihr die Wahrheit zu erzählen, schließlich blieb nicht mehr viel Zeit bis zu dem Umzug. Wir hatten mir bereits auch eine neue Wohnung gesucht und in weniger als zwei Wochen ging es los. Womöglich würde es mir auch mal gut tun, über meine Ängste zu sprechen, dachte ich. Mit dem Gedanken, es ihr am nächsten Tag zu erzählen, schlief ich schließlich doch noch ein.Die restliche Nacht verlief wie immer ruhig, wenn Vicky bei mir war. Durch die Sonnenstrahlen die meine Nase kitzelten wurde ich wach. Es war bereits zehn Uhr und Vicky war schon aufgestanden. Ich roch Kaffee und hörte das Radio aus der Küche. Einen Kaffee konnte ich wahnsinnig gut gebrauchen, mein Kopf brummte. Jeden Morgen die gleiche Prozedur. Ich schlürfte ins Bad, sprang unter die Dusche, putze mir die Zähne und schlüpfte in eine Jogginghose und einen ausgeleierten Pulli mit der Aufschrift „Der frühe Vogel kann mich mal.“ Zum Glück war Samstag und ich hatte das ganze Wochenende frei. Seit ich nicht mehr so gut schlief, kam ich kaum noch aus dem Bett, es war immer wieder ein Kampf für mich. Mit nassen Haaren kam ich in die Küche und setzte mich an den kleinen Tisch, der hier gerade so rein passte. Kaffee stand bereits vor mir, so wie ich ihn mochte, schwarz. Hatte ich schon erwähnt, dass ich meine Mitbewohnerin liebte. Vicky stand tanzend vor dem Herd und bereitete uns Pancakes zu.
„Guten Morgen meine Liebe, konntest du noch gut schlafen?“ fragte sie mich trotz guter Laune etwas besorgt.
„Ja du weißt doch, wenn du da bist, ist es einfacher. Danke, dass du wieder einmal für mich da warst.“ Ich stand auf und nahm sie in den Arm. Vicky erwiderte die Umarmung, nahm meine Hände in ihre und sagte ruhig: „Dafür bin ich doch da. Und ich zweifel immer noch daran, dass es so eine gute Idee ist, mit Robert zusammen zu ziehen. Wenn du das nicht willst Lissi, dann sag es mir. Wir können auch noch weiterhin hier zusammen wohnen. Dann kauf ich mir endlich ein Auto und Robert muss nicht ständig pendeln.“ Ich sah wie traurig und besorgt Vicky ihr Blick war. Ich wollte nicht, dass sie das für mich aufgibt, also war es wohl an der Zeit endlich mit ihr zu reden. „Hör zu Vic, du hattest Recht gestern Abend. Die Träume kommen öfter und sind anders. Sie haben sich verändert, seit ich weiß, dass du ausziehen wirst. Aber ich möchte nicht, dass dir das im Wege steht. Ich bin 25 Jahre alt und kann doch nicht ewig mit meiner besten Freundin in einem Bett schlafen.“
Nach circa einer Stunde konnte ich sie davon überzeugen, dass ich auch ohne sie zurechtkommen würde. Ich hatte ihr meine neuen Träume nicht erklären müssen, denn sie wusste, wie schwer es mir fiel. Aber ich musste ihr versprechen, dass ich wieder zu meiner Therapeutin gehen und ihr davon erzählen würde. Ich hatte die Therapie nach einem halben Jahr beendet, weil ich soweit stabil war und auch relativ gut durch die Nächte kam, aber das hatte sich ja nun wieder geändert. Vielleicht war das gar keine so schlechte Idee, überlegte ich. Meine Therapeutin war sehr nett und vor allem kompetent. Sie hatte mir neben Vicky damals wirklich sehr geholfen, das ganze zu verarbeiten und sie war die einzige, die sehr ausführlich über meine Träume und Ängste Bescheid wusste. Gleich am Montag würde ich mich bei ihr melden und einen Termin ausmachen.Den restlichen Tag verbrachten wir damit, Dekoartikel für unsere neuen Wohnungen zu besorgen. Vicky liebte das Einkaufen, ich eher weniger, deshalb fiel meine Beute auch wesentlich kleiner aus als ihre. Wir hatten einen tollen Tag und ich spürte sofort, dass Vicky nach dem Gespräch gelöster war und sich nicht mehr ganz so viele Sorgen machte. Ich hätte viel früher mit ihr darüber reden sollen, aber ich dachte, sie würde sich dann noch mehr Vorwürfe machen und das Bedürfnis mich zu beschützen würde noch stärker werden.
Es war richtig so und es wurde auch für mich endlich Zeit, mich meinen Ängsten zu stellen. Das Gespräch mit Vicky war ein guter Anfang und es sollte noch lange nicht das Ende sein.

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Liebe gegen Angst
Romance~~~~~~ Das ist meine erste Geschichte hier und ich bin wahnsinnig aufgeregt. Bitte seid nicht zu streng mir mir, aber gebt mir trotzdem gern konstruktive Kritik. Und bitte macht mich auf jegliche Fehler aufmerksam, vor allem was die Zeitformen betr...