Zu den Sternen

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Kurzerhand schnitt ich ihren Lebensfaden durch. Ihre Zeit war gekommen, so leid es mir für ihr Kind auch tat, dass jetzt niemanden mehr hatte, der sich um es kümmern konnte. 

Als ihre Seele den Körper hinter sich ließ, und zum Himmel hinaufzuschweben begann, blickten mir zwei mitfühlsame Augen entgegen. Ich war gewohnt, dass Menschen ihren Frieden mit mir gemacht hatten, und auch, dass einige mich für sehr einsam hielten. Immerhin wurde ich in ihrer Welt auch selten anders dargestellt. 

"Du musst der Tod sein."

Eine außerordentlich scharfsinnige Beobachtung, so kurz nach dem Sterben. 

"Ja, der bin ich. Nein, du bekommst keine zweite Chance. Nein, du hast dein Leben nicht erfüllt gelebt. Nein, du darfst niemanden als Geist kontaktieren. Nein, es gibt keine Hölle. Ja, du darfst andere wiedersehen, wenn sie gestorben sind. Ja, du kannst ihnen zusehen. Ja, du darfst eine Frage stellen bevor du davonschwebst, ja, ich muss sie ehrlich beantworten, und nein, ich darf dir nicht sagen, was auf dich zukommt. Nein, ich weiß nicht woher ich komme."

Bei meinem letzten Patienten habe ich einfach eine ausgedruckte FAQ überreicht. Zu meiner Verteidigung - er war Supportmitarbeiter und hatte Humor. 

"Darf ich dir einen Moment Gesellschaft leisten?"

Noch tausende Jahre später wünschte ich mir immer wieder, dass mir noch jemand diese Frage stellte, um nur einen einzigen Moment lang erneut dieses Gefühl von Verbundenheit zu spüren. 

Vielleicht hatten die Erzählungen der Menschen ja doch Recht. Und in diesen Momenten betete ich oft, dass jemand endlich meinen Faden durchschneiden käme.

Gespräche mit dem TodWhere stories live. Discover now