1. Dezember

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Dicke Schneeflocken rieselten vor dem Schaufenster aus dem grauen Dezemberhimmel und bedeckten alles unter einer stillen weißen Decke. Mit einer dampfenden Tasse heißen Kakao in den Händen beobachtete ich das Schauspiel. Ich liebte diese verschneiten Tage. Jetzt konnte die Weihnachtszeit beginnen. Mein warmer Atem ließ das Glas vor mir beschlagen. Wassertropfen flossen langsam über die glatte Oberfläche. Unten in den Ecken, wo sich das Wasser sammelte, bildeten sich die ersten Eiskristalle.

Ich stand hinter der Kasse meiner kleinen Buchhandlung und betrachtete nachdenklich das Schneetreiben.

„Schreibst du an deinem Brief für Santa Claus, Selina?" hörte ich die Stimme meiner Geschäftspartnerin und besten Freundin Autumn fragen.

„Ja" hörte ich die kurzangebundene Antwort meiner siebenjährigen Tochter. Schmunzelnd drehte ich mich zu den Stimmen. Autumn kam mit einem Karton auf mich zu. Dahinter sah ich die Kleine konzentriert über ein Blatt gebeugt an einem der vier Tische sitzen. Ich war schon gespannt was heuer für Wünsche darauf standen. Hoffentlich nichts was ich mir nicht leisten konnte.

„Sie wird dir immer ähnlicher" stellte Autumn augenrollend fest und stellte den Karton auf einen Stuhl.

„Ganze Sätze werden überbewertet" gab ich lachend zur Antwort. „Was hast du hier für mich?" wollte ich wissen und lugte neugierig über den Kartonrand.

„Das ist die alte Weihnachtsdeko" Sie rümpfte die Nase. „Ich muss leider sagen das sie ein wenig – wie soll ich dir dass erklären? – von jemanden angeknabbert wurde" Sie zog einen Wichtel aus grünem und rotem Filz aus dem Karton. Die grüne Filzmütze war zerrissen.

Ich seufzte. „Alles oder können wir etwas retten?" Insgeheim fürchtete ich mich schon vor ihrer Antwort.

Das Gesicht von Autumn verdunkelte sich. „Der hier schaut noch am schönsten aus. Bei den meisten erkennt man nicht mal mehr was es ist" Sie zog einen der armen Exemplare heraus. Es war nur noch ein unförmiges Stück Filz. „Und die Lichterketten haben sie auch angeknabbert" Sie zog die schwarzen Kabel aus dem Karton, der in zwei Hälften geteilt war und nur noch durch ein dünnes Stück Draht miteinander verbunden war. „Was sollen wir tun?"

„Ich werde morgen neue Deko besorgen" seufzte ich. „Sind die Kugeln wenigstens heil?" wollte ich von ihr wissen. Ihr Gesicht verzog sich ein weiteres Mal zu einer Grimasse. „Nein, sag nichts. Ich werde morgen einkaufen gehen" erklärte ich schnell und schloss den Deckel des Kartons.

„Dann bringe ich die kaputten Sachen weg" Autumn nahm wieder den Karton und verschwand geschwind im Magazin.

Frustriert betrachtete ich den Wichtel mit der zerrissenen Mütze. Neue Deko zu kaufen hatte mir noch gefehlt. In den letzten Monaten war das Geschäft schleppend gelaufen. Heute mit dem Schneesturm hatten sich gerade mal drei Kunden aus ihren Häusern getraut und sind ins Geschäft gekommen. Gedankenverloren drehte ich den Wichtel in der Hand während ich wieder dem Schneetreiben vor dem Fenster zuschaute. Wenn es so weiter ging würde ich das Geschäft schließen und mir einen Job suchen müssen. Nur noch ein Wunder konnte den Buchladen retten.

Um sechs Uhr abends schloss ich schließlich das Geschäft. Das starke Schneetreiben hatte sich am späten Nachmittag zu einem Schneesturm entwickelt. Der Wind heulte geisterhaft in der Stille. Gähnend löschte ich die Lichter und stieg die Treppe hoch in den zweiten Stock, in die kleine Altbauwohnung, die ich mit Selina bewohnte.

Diese kniete auf einem der Küchenstühle und faltete hochkonzentriert ein rosafarbenes Stück Papier. Ihre langen dunkelbraunen Locken hingen wie ein Vorhang vor ihrem kleinen Gesicht. Vor ihr auf dem runden Küchentisch stand eine kleine hölzerne Truhe mit silbernem Schloss, gerade mal so groß wie meine Handfläche.

„Was hast du mit der kleinen Holztruhe vor?" Nachdenklich nahm ich sie in die Hand und betrachtete sie von allen Seiten. Wo hatte Selina das Teil überhaupt gefunden? Wahrscheinlich auf dem Speicher bei den alten Sachen meiner Mutter, kam mir der Gedanke.

„Da hinein kommt der Brief an Santa Claus" erklärte mir meine Tochter und hob den klitzeklein zusammen gefalteten Zettel in die Höhe. „Und dann stelle ich sie auf das Fensterbrett. Dort holt sie dann ein Weihnachtself und bringt sie zu Santa" Blitzschnell schnappte sie sich das Holzkästchen aus meiner Hand.

Verdutzt betrachtete ich meine übereifrige Tochter, die den Brief nun in die Truhe legte und mit beidem verschwand. Schließlich drehte ich mich zum Herd und begann das Abendessen zu machen.

Der Rest des Abends verlief ruhig, bis ich Selina ins Bett schickte.

„Mama, Mama. Du wirst es nicht glauben" schallte es durch die Räume. Schon kam ein kleiner Wirbelwind auf mich zu gerannt. Ihr Gesicht war gerötet. Mit glänzenden braunen Augen blickte sie zu mir hoch. „Das Kästchen ist weg" flüsterte sie begeistert.

Verwirrt starrte ich in das Gesicht meiner Tochter, das mir in vielen Dingen so ähnelte. „Was meinst du damit, es ist weg?"

„Das ein Elf vom Weihnachtsmann es geholt hat" erklärte sie mir aufgeregt und umarmte mich in ihrem rosa Pyjama.

„Ein Elf?" Ich schien langsam alt zu werden da ich nicht verstand von was meine Tochter sprach.

Sie nickte aufgeregt. „Ja Mama. Als ich nachschauen wollte, habe ich gesehen wie die Truhe aufleuchtete und dann ist sie verschwunden"

Fantasie hatte sie, das musste ich meiner Tochter lassen. „Und du denkst es war ein Elf" frug ich skeptisch. Für mich war es eher der Wind, der das kleine Kästchen nun wahrscheinlich bis London blies.

Sie nickte wieder. „Ich kann es beweisen" und hob ihre Hand. Darin lag ein einzelnes silbernes Glöckchen, so groß wie eine Kirsche. Verdutzt nahm ich das Glöckchen in die Hand. Ein leises zartes Klingeln ertönte als es über meine Handfläche rollte. Wie war das möglich? Ich war mir sicher, dass ich das zum ersten Mal in meinem Leben sah.

„Jetzt wird alle Gut" jubelte sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ich habe dich lieb, Mama" flüsterte sie mir ins Ohr und hüpfte fröhlich den Gang entlang zu ihrem Zimmer.

Als sich die Zimmertür hinter ihr schloss und das Licht erlosch starrte ich immer noch auf das Glöckchen in meiner Hand. Ein kalter Windhauch blies mir entgegen als ich immer noch mit dem Glöckchen in der Hand mein Zimmer betrat. Das Fenster stand sperrangelweit offen und bewegte sich leicht mit dem Wind. Schneeflocken stoben durch das Fenster und bedeckten schon den Boden. Wie glänzende kleine Sterne schwebten sie durch die kalte Winterluft.

Ich ging zum Fenster. Als ich auf das Fensterbrett schaute, hielt ich erstaunt inne. Im Fingerbreit hohen Schnee hatte das Kästchen eine gut sichtbare Einbuchtung hinterlassen, die sich nun langsam mit Schnee füllte. Doch daneben waren ebenfalls Löcher zu sehen. Löcher, die kleinen Fußabdrücken ähnelten. Ich schüttelte den Kopf. Nun ließ ich mich schon von der lebhaften Fantasie meiner Tochter anstecken. Ich schloss das Fenster und legte das Glöckchen auf das Fensterbrett in den schmelzenden Schnee. Das Mondlicht schien genau darauf und ließ es für einen Moment golden aufleuchten. Verdutzt blieb ich stehen, doch als ich wieder hinsah leuchtete es nicht mehr. Ich schüttelte den Kopf. Es musste Einbildung sein. Warum sollte ein Glöckchen leuchten? Ich legte mich ins Bett und löschte das Licht. Schon bald schlief ich tief und fest.

Das Glöckchen auf dem Fensterbrett lies ein leises Klingeln ertönen und verschwand schließlich in der kalten Winternacht. Seine Aufgabe war erfüllt.

Santa Tell me (Leseprobe) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt