4. Dezember

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Skeptisch betrachtete er mit leicht seitlich geneigtem Kopf den Tannenbaum, den ich für das Schaufenster des Buchladens ausgesucht habe. Aus den Augenwinkeln sah ich auch das nicht sonderlich begeisterte Gesicht von Selina. Irgendwie sahen sich die beiden in diesem sehr ähnlich, wie mir schlagartig bewusst wurde.

Es war vier Uhr Nachmittags und wir standen dick eingepackt in Wintermänteln, Wollmützen, Schalls, Handschuhen und Winterstiefeln auf dem von Nadelbäumen gefüllten Parkplatz. Der Verkäufer, ein ungemütlicher Mann mit großem Bierbauch und schwarzem Vollbart, beobachtete uns ungeniert aus seinem Häuschen. Es hatte wieder leicht zu schneien begonnen. Die weißen Flocken tanzten vor uns in der von freudigen Menschenstimmen gesäumten Luft. So standen wir also zu dritt in der eisigen Schneeluft und betrachteten einen ärmlich dreinschauenden Tannenbaum der aus geschätzten acht krummen Ästen und einer schiefen, abgebrochenen Spitze bestand.

„Ihr habt schon verstanden das der" Ich deutete auf das ausgewählte Objekt. „Nur in das Schaufenster des Buchladens kommt und nicht in unser Wohnzimmer?" Ich hörte Selina etwas murmeln, das ganz nach ‚Zum Glück' klang, dann war sie auch schon zwischen den Bäumen verschwunden.

Ich drehte mich zu Brian der sich mit Mühe ein Lächeln verkniff.

„Sag es schon" bat ich ihn. „Er sieht schrecklich aus"

„Du meinst das kümmerliche Häufchen Nadeln und Äste vor uns?" Er wandte sich zu mir. Auf seinem Gesicht lag ein entschuldigender Ausdruck. „Er hat große Ähnlichkeit mit einer Klobürste" kicherte er.

Nun musste auch ich lachen. Der Christbaumverkäufer warf uns von seinem Häuschen einen wütenden Blick zu. Er war nicht sonderlich begeistert davon das wir sein Prachtexemplar von Baum beleidigten.

„Die Klobürste muss reichen" stellte ich mit einem Blick auf die Preise der schöneren Bäume rund herum fest. „Ich kann mir keinen der anderen Leisten"

„Du machst wohl Witze" platzte es aus Brian heraus. Ich drehte mich wieder zu ihm. Er deutete auf den ärmlichen Baum. „Ich lass dich bestimmt nicht mit dem Häufchen Elend nachhause gehen"

„Hast du mir gerade nicht zu gehört?" sagte ich mit leiser Stimme, da mir bewusst war das uns die Leute beobachteten. „Ich habe kein Geld für einen schöneren" erklärte ich ihm mit Nachdruck.

Ein Lächeln umspielte wieder sein hübsches Gesicht. „Lass das meine Sorge sein" sagte er nur und ging schnurstracks zum Verkäufer. Was sollte das jetzt wieder bedeuten?

Ich war mir der Blicke der anderen Besucher ungemein bewusst als ich ungeduldig beobachtete wie Brian mit dem grobschlächtigen Mann sprach. Er deutete auf etwas was ich von meinem Standpunkt aus nicht sehen konnte und der Mann nickte mit zusammengekniffenen Augen. Nach einigen Minuten schienen die beiden auf eine Übereinkunft gekommen zu sein. Perplex beobachtete ich wie sich die beiden mit Handschlag und lachend voneinander verabschiedeten.

„Hast du das gesehen Mama?" ertönte die aufgeregte Stimme von Selina neben mir. „Jetzt haben wir den schönsten aller Bäume" schwärmte sie träumerisch und drehte sich einmal um sich selbst wie eine Ballerina.

„Was? Aber..., dass... von welchem Baum sprichst du?" stammelte ich. Das darf doch nicht wahr sein. Den schönsten aller Bäume? Mit was sollte ich das bezahlen?

Ich ließ mich von einer aufgeregten Selina bis zu dem Baum führen. Sie hatte nicht übertrieben. Er war wirklich wunderschön, mit seinen gleichmäßig buschig gewachsenen Ästen und der geraden Spitze war es die klassische Nordmanntanne in mittlerer Größe.

Und für mich unbezahlbar.

„Gefällt er dir?" ertönte Brians Stimme hinter mir.

„Ich kann mir diesen Baum nicht leisten" krächzte ich.

Er zuckte nur mit den Achseln. „Musst du ja auch nicht"

„Was soll das jetzt bedeuten?" Ich war vollkommen verwirrt. Wie meinte er das?

„Ich habe ihn gekauft" sagte Brian und beobachtet aufmerksam wie der schlaksige Sohn des Verkäufers den Baum in ein Netz einfasste und ihn dann seinem neuen Besitzer übergab. Mir stand sprichwörtlich der Mund offen.

Brian betrachtete mich belustigt. „Was ist los, Isobel?"

„Du kannst doch nicht..." begann ich.

„Was kann ich nicht?" unterbrach er mich. „Dir einen Baum kaufen? Wo steht das?"

Ich kaute verärgert auf der Unterlippe. Brian beobachtete mich dabei abwartend mit dem Baum in der einen Hand und seine Handschuhe in die Jackentasche stopfend.

„Nirgends, aber..." sagte ich schließlich. „Das hättest du nicht tun sollen"

„Und dich mit der Tannengrünen Klobürste nach Hause gehen lassen sollen?" Er lachte und packte das Netz mit beiden Händen und stapfte Richtung Auto. „Ganz ehrlich: Den hättest du zu Fuß nach Hause transportieren müssen" Er öffnete den Kofferraum seines Jeeps und legte den Baum behutsam hinein. „Der wäre mir nämlich nie ins Auto gekommen" Ich zuckte zusammen als der Kofferraum mit einem Rumms ins Schloss fiel.

Ich hob verlegen den Kopf. „Danke" murmelte ich während er Selina die Autotür offenhielt und sie flink auf die Rückbank kletterte als würde sie das schon seit Jahren machen. Die beiden waren sich sehr vertraut was mich irritierte.

Er ließ die Tür zufallen und wandte sich grinsend wieder zu mir. „Wie war das?"

Ich holte tief Luft. „Danke" wiederholte ich lauter.

„Für was?"

„Für den Baum"

Seine blauen Augen fixierten mich; betrachteten mich für eine gefühlte Ewigkeit.

„Ist das nicht der Sinn von Weihnachten? Anderen zu helfen?" wollte er wissen.

Ich nickte nachdenklich. „Das haben aber leider die meisten vergessen" stellte ich traurig fest.

„Dafür hast du dieses Jahr den schönsten Baum im Schaufenster" lachte er und hielt die Tür zur Beifahrerseite auf. „Na los, steig ein bevor wir hier noch Wurzeln schlagen und der Typ uns auch noch verhökert"

Mit den Augen rollend glitt ich auf den Autositz. Wärme umhüllte mich und ich musste mir eingestehen, dass ich mich schon lange nicht mehr so geborgen gefühlt habe. Vielleicht war das genau Brians Geheimnis: er ließ einen für einen kurzen Moment all seine Probleme einfach vergessen.

Ach, und er verschenkte die schönsten Weihnachtsbäume.



Santa Tell me (Leseprobe) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt