Mαllorιe bedeutet Uɴɢlücĸ

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Augen auf.
Anziehen.
Keinen Hunger. 
Weitermachen.
Arbeiten.
Leben.
Von vorn beginnen.

"Reichst du mir das Salz, Mallorie?", fragte ihre Mutter und streckte ihr die Hand entgegen. Sie gab es ihr. Großzügig streute ihre Mutter es über das Gemüse. Es war ihre Art zu zeigen, dass es ihr nicht schmeckte. Mallorie machte es nichts aus. Ihr Vater beugte sich schweigend über den Teller und zerschnitt das Gemüse in winzig kleine Stückchen, bis man kaum noch sagen konnte, was der bunte Haufen einmal gewesen war. Ihre Mutter schob sich eine Gabel in den Mund und kaute bedächtig, wobei sie darauf achtete, dass Mallorie ihr missmutiges Stirnrunzeln auch mitbekam. 
Schließlich legte sie das Besteck beiseite und tupfte sich mit einer Serviette den Mund sauber. 
"Wie geht es dir?", fragte sie und hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. 
"Gut", antwortete ihr Mallorie. Sie sah auf ihren vollen Teller um ihre Mutter nicht ansehen zu müssen. Das Essen schmeckte abscheulich, aber es war alles, was sie auf die Schnelle auftreiben konnte. Das Gemüse stammte aus einer Dose in der hintersten Ecke ihres Küchenschrankes, der Kartoffelbrei aus einer verstaubten Packung direkt daneben. Ihre Eltern waren selbst schuld, wenn sie unangekündigt vorbei kamen. Hätte Mallorie von ihrem Besuch gewusst, wäre sie nach der Arbeit einkaufen gegangen. Sie war schon lange nicht mehr einkaufen.
"Mallorie", ermahnte ihre Mutter sie streng. Sie glaubte ihr nicht. Dabei hatte es ihre Mutter doch vorher auch nie interessiert, wie sie sich fühlte.
"Mir geht es gut. Ich habe eine eigene Wohnung und einen festen Job. Es geht mir sogar prächtig", wiederholte Mallorie und begann, den Tisch abzuräumen. Ihre Mutter seufzte theatralisch und wandte sich an ihren Mann. 
"Ganz deine Tochter", sagte sie und es klang wie eine Beleidigung. Mallories Vater hob den Kopf. 
"Ich habe keine Tochter. Du hast eine"
Mallorie verschwand in der Küche und räumte das Geschirr in die Spüle, wobei sie versuchte, so viel Lärm wie möglich zu machen, um das Streitgespräch ihrer Eltern zu übertönen.
"...alles deine Schuld..."
"...genug angerichtet..."
"Eine Schande..."
Sie ließ heißes Wasser einlaufen und schnappte sich den Spülschwamm. Das Spülmittel roch nach Apfel, ein vertrauter, angenehmer Duft, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Routiniert schrubbte sie den Dreck von den Tellern und Töpfen, mit kreisenden Bewegungen, fast schon mechanisch. Sie hörte, wie Stühle gerückt wurden und schließlich die Absätze ihrer Mutter, die über Küchenfliesen klapperten.
"Mallorie! Man erledigt keinen Abwasch, solange man Gäste hat", tadelte sie ihre Tochter und stellte den Wasserhahn ab. Sie suchte nach einem Geschirrtuch und reichte es Mallorie. Sie ergriff es und trocknete sich die, vom heißen Wasser ganz roten, Hände. Ihre Mutter beobachtete sie dabei mit einem traurigen Blick. "Dein Vater fühlt sich nicht gut, wir werden gleich wieder aufbrechen"
"In Ordnung"
"Du könntest mit uns kommen. Alle fragen uns nach dir, du gehörst zurück nach Hause. Was willst du überhaupt in dieser lärmenden Großstadt?"
Mallorie schwieg und knetete das Tuch in ihren Händen. Sie wollte dieses Gespräch nicht führen, sie wollte, dass ihre Eltern wieder gingen und sie in Ruhe ließen. Es hatte seine Gründe, wieso sie nach dem Abschluss sofort ihre Sachen packte und ihrer Heimatstadt den Rücken kehrte.
"Erinnerst du dich noch an den netten Nachbarsjungen? Er war neulich bei uns und hat sich sogar nach dir erkundigt. Wenn du uns besuchen kommst, könntet ihr beide viellicht ja etwas trinken gehen"
"Ich interessiere mich aber nicht für den Nachbarsjungen, also hör auf, mich verkuppeln zu wollen", sagte Mallorie schärfer als beabsichtigt. Ihre Mutter ignorierte es einfach.
"Aber du kommst uns doch bald besuchen?"
"Vielleicht irgendwann mal. Wenn ich mich hier etwas eingerichtet habe", erwiderte Mallorie ausweichend. 
"Ernestine!", donnerte die Stimme ihres Vaters vom Esszimmer her. Ihre Mutter schüttelte den Kopf. 
"Ich komme ja, du brauchst nicht so zu brüllen wie ein ungehobelter Esel!"
Mallorie legte das Geschirrtuch weg. "Ich begleite euch zu Tür"
"Das ist nicht nötig, wir finden schon aus diesem Schuhkarton hinaus", wehrte ihre Mutter ab und ging hinaus. Am Türrahmen hielt sie kurz inne und sah zurück über die Schulter. "Ich bin mir sicher, dein Vater würde es besser verkraften, wenn du es ihm erklären würdest. Er denkt, es liegt an ihm, an uns. Sag ihm, dass es nur eine Phase ist, die vorüber geht"
"Es geht aber nicht vorüber, weil es keine Phase ist" Langsam wurde Mallorie wütend. "Ich werde auch nicht wieder zu euch zurückkommen. Solange ihr das nicht versteht, würde ich vorschlagen, dass ihr auch nicht wieder vorbeikommt"
Ihre Mutter presste die Lippen zusammen bis sie nur noch ein dünner, rosafarbener Strich in ihrem geschminkten Gesicht waren. 
"Danke für das Essen und entschuldige die Umstände", sagte sie knapp und stöckelte davon. Mit einem leisen Seufzer lehnte sich Mallorie gegen ihre Spültheke. Sie hörte, wie ihre Mutter ihren Vater anfauchte bis schließlich die Haustür hinter den beiden zufiel. Erleichtert schloss sie die Augen und atmete tief durch.

𝕊𝕒𝕞𝕞𝕝𝕖𝕣𝕤𝕥ü𝕔𝕜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt